Grundsatzpapier des Finanzministers: Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Der FDP-Chef fordert eine Auflösung des Klimafonds und übt Druck auf den Arbeitsminister aus. Sparen will er bei Bürgergeld, Rente und Geflüchteten.
In dem Papier aus dem Finanzministerium, das der taz vorliegt, spricht sich Lindner für die Auflösung des Klima- und Transformationsfonds (KTF) aus, mit dem die Bundesregierung nachhaltige Technologien unterstützt – etwa in der Wasserstoffwirtschaft. Das deutsche Klimaziel soll nach hinten verschoben, das Datum für den Kohleausstieg aufgehoben werden. Der Finanzminister fordert eine „Wirtschaftswende mit einer teilweise grundlegenden Revision politischer Leitentscheidungen, um Schaden vom Standort Deutschland abzuwenden“.
Lindner verlangt, die „Bürokratiekosten“ in Deutschland zu senken, auch über die reguläre Amtszeit der Bundesregierung hinaus. „Für die nächsten drei Jahre sollte ein striktes Moratorium dafür sorgen, dass keine neuen Regulierungen und keine neue Bürokratie in Deutschland beschlossen werden“, heißt es in seinem Papier. Dabei nimmt der FDP-Chef vor allem SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil, ins Visier. „Das gilt insbesondere für die vom Bundesminister für Arbeit und Soziales vorgelegte Fassung des Tariftreuegesetzes, für das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und das Entgelttransparenzgesetz“, heißt es.
Nach dem Bekanntwerden des Papiers bezeichnete es der FDP-Chef in einer E-Mail an Parteifreunde als „Indiskretion“, dass seine Forderungen an die Öffentlichkeit gelangt seien. Das Konzept hätte zunächst nur im engsten Kreis der Bundesregierung beraten werden sollen. In der Mail, aus der verschiedene Medien zitieren, schreibt Lindner, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) habe ebenfalls Vorschläge zur Bewältigung der wirtschaftspolitischen Herausforderungen gemacht und dabei ein kreditfinanziertes Sondervermögen ins Spiel gebracht. Er wolle mit seinem Papier „eine alternative Richtungsentscheidung“ vorschlagen. „Wir werden im Gesamtkontext nun in Regierung und Koalition beraten.“
Habeck hatte vor kurzem ein Papier zur Wirtschaftspolitik vorgelegt, Olaf Scholz (SPD) und die FDP-Fraktion luden zu jeweils getrennten Wirtschaftsgipfeln ins Kanzleramt und in den Bundestag – beide Seiten wollen an diesen separierten Gesprächsrunden festhalten.
Der Finanzminister will die Einnahmen senken
Lindner heizt die wirtschaftspolitischen Konflikte in der Ampel mit seinem Papier enorm an. Vor allem für die Grünen müssen die Forderungen des Finanzministers wie ein Affront wirken. „Es hilft dem Klimaschutz nicht, wenn Deutschland als vermeintlicher globaler Vorreiter möglichst schnell und folglich mit vermeidbaren wirtschaftlichen Schäden und politischen Verwerfungen versucht, seine Volkswirtschaft klimaneutral aufzustellen“, schreibt Lindner.
Er fordert, die Klimapolitik künftig rein europäisch zu regeln und dafür ausschließlich auf das Werkzeug der CO₂-Bepreisung zu setzen. Zusätzliche Maßgaben, wie sektorbezogene Regelungen für die Verkehrs- oder die Baubranche hält Lindner für überflüssig. „Ebenso ist ein gesetzlich festgelegter Zeitpunkt für den Kohleausstieg nicht notwendig“, so Lindner. Zudem solle Deutschland gegenüber der EU-Kommission die Abschaffung der Berichts- und Nachweispflichten aus dem „Green Deal“ bewirken.
Lindner macht in seinem Papier Vorschläge, von denen er sich schnelle Impulse für die Wirtschaft erhofft. „Als Sofortmaßnahme sollte der Solidaritätszuschlag, der überwiegend von Unternehmen, Selbständigen, Freiberuflern sowie Hochqualifizierten gezahlt wird, entfallen“, fordert er. Den Zuschlag müssen derzeit nur noch Hochverdienende zahlen. Außerdem möchte er die Körperschaftssteuer von 15 Prozent, die etwa Kapitalgesellschaften zahlen, im Jahr 2025 um zwei Prozentpunkte reduzieren und in den Folgejahren zusätzlich senken.
Gleichzeitig möchte der Finanzminister bei den Staatsausgaben mehr sparen. Bei den Ausgaben für das Bürgergeld und dem dazugehörigen Wohngeld sieht der Finanzminister etwa ein Sparpotenzial von drei Milliarden Euro. Lindner fordert zudem eine weitere „Flexibilisierung“ des Renteneintrittsalters durch höhere Abschläge bei einem frühzeitigen Renteneintritt sowie Zuschlägen bei späterem Renteneintritt. Hier sieht der Finanzminister weitere 4,5 Milliarden Euro an Einsparmöglichkeiten im Vergleich zum bereits verabschiedeten Haushaltsentwurf der Regierung, über den der Bundestag zurzeit berät.
CDU-Politiker fühlt sich an Lambsdorff-Papier erinnert
Bei der Asylgesetzgebung fordert Lindner, einen „gesonderten Rechtskreis“ für subsidiär Schutzberechtigte zu schaffen, damit sie nach ihrer Anerkennung in Deutschland kein Bürgergeld erhalten, sondern weiterhin ein „abgesenktes Leistungsniveau ähnlich dem Asylbewerberleistungsgesetz“. Dadurch könne der Staat 800 Millionen Euro einsparen.
SPD-Generalsekretär Matthias Miersch forderte die Koalitionspartner auf, für die Stabilisierung der Wirtschaft zusammenzuarbeiten. „Nach dem Wirtschaftsminister bringt nun auch der Finanzminister seine Vorschläge in die Debatte ein. Wichtig ist jetzt, dass der Prozess konstruktiv und lösungsorientiert von allen Beteiligten begleitet wird“, sagte Miersch den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Unions-Vizefraktionschef Mathias Middelberg sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, das Papier lese sich wie ein Kündigungsschreiben Linders. „Es erinnert an das Lambsdorff-Papier von 1982, das zum Bruch der damaligen Regierungskoalition führte.“ Wenn es Lindner jetzt nicht gelinge, die wesentlichen Punkte seines Papiers durchzusetzen, müsse er die Ampel-Regierung verlassen.
Christian Lindner wolle offensichtlich endgültig das Ampel-Aus provozieren, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der Linken im Bundestag Christian Görke. „Die Vorschläge sind eine Luftnummer ohne Gegenfinanzierung und eines Finanzministers unwürdig“, sagte er. Lindner fordert Steuersenkungen für Superreiche und Wohlhabende, die von den Ländern und Kommunen finanziert werden sollen.
Die Grünen blieben bislang auffällig zurückhaltend. „Das Papier ist eine Nebelkerze. Wichtiger wäre es, dass sich der Finanzminister um den Haushalt kümmert“, sagte Grünenfraktionsvize Andreas Auretsch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen