Grünes Wahlprogramm 2025: Wirtschaft vor Klima
Die Grünen stellen ihre Ziele für die Bundestagswahl vor. Der Vergleich mit dem Programm zur letzten Wahl ist aufschlussreich, nicht nur, weil es kürzer ist.
Der Vergleich der beiden Programme gibt aber noch mehr her als das. Dass sich in den dreieinhalb Jahren dazwischen die Weltlage geändert hat, dass die Grünen von der Oppositions- zur Regierungspartei wurden, dass sie allerlei Attacken ausgesetzt waren und heute Angriffsflächen noch mehr fürchten als je zuvor – all das ist deutlich erkennbar.
Wirtschaft und Klima
Das grüne Wahlprogramm von 2021 begann mit einem Kapitel zur Klimapolitik und dem Satz: „Die Klimakrise ist die Existenzfrage unserer Zeit.“ Nun stellt die Partei die Wirtschaftspolitik nach vorne. „Der deutsche und europäische Standort“ und die Innovationskraft sollen gestärkt, die Bürokratie abgebaut werden. Die Menschen seien, so heißt es nun im ersten Satz des Kapitels, „zurecht stolz“ auf die Qualität ihrer Arbeit. Da kann wohl selbst die FPD nichts gegen sagen.
Konkret folgen dann einige bereits bekannte grüne Forderungen: Die Investitionsprämie von 10 Prozent für Unternehmen, der erleichterte Zuzug von Fachkräften und eine Industrie, die klimaneutral modernisiert werden soll.
Die zentrale Forderung der Grünen ist der Deutschlandfonds. Es ist ihr leicht patriotisch angehauchter Name für eine neue Investitionspolitik. Aus dem Fonds sollen das Bahnnetz, Schulen und Kitas saniert werden. Auf ein Volumen legen sich die Grünen nicht fest, sie sprechen aber von einem Investitionsbedarf im dreistelligen Milliardenbereich. Um Investitionen möglich zu machen, soll die Schuldenbremse reformiert werden.
Erst nachdem der Deutschlandfonds abgehandelt ist, geht es explizit um die Klimapolitik. Hervorgehoben wird dabei die soziale Frage. Die Grünen fordern ein Klimageld, durch das Menschen mit niedrigen Einkommen Einnahmen aus der CO2-Bepreisung erstattet bekommen. Auch MieterInnen sollen davor geschützt werden, dass steigende CO2-Preise auf sie abgewälzt werden. Richtig konkret werden die Grünen aber vor allem dort, wo Klima- auch Wirtschaftspolitik ist. So fordern sie eine Kaufprämie für E-Autos und Solaranlagen.
Arbeit und Soziales
Der zweite große Abschnitt des Programmentwurfs widmet sich der Sozialpolitik. Die Grünen fokussieren auf die arbeitende Mitte: Der Mindestlohn soll auf 15 Euro steigen, die Tarifbindung erhöht werden, das Tariftreuegesetz, das in der Ampel an der FDP scheiterte, endlich kommen. Ansonsten sticht der Vorschlag hervor, Gehälter in Stellenausschreibungen transparent zu machen.
Einen großen Stellenwert nehmen die gestiegenen Lebenshaltungskosten ein, etwa bei der Miete. Die Mietpreisbremse soll verlängert und angezogen werden, indem sie etwa schon für Wohnungen gilt, die nur 5 Jahre alt sind. In angespannten Wohnlagen sollen Mietsteigerungen gestoppt werden.
Das große grüne Projekt der zu Ende gehenden Legislaturperiode, die Kindergrundsicherung, gilt als gescheitert. Im Programmentwurf nehmen die Grünen aber für sich in Anspruch, damit eine „breite gesellschaftliche Debatte“ angestoßen und die Zahl der Anträge für den bisherigen Kinderzuschlag deutlich gesteigert zu haben. Am Ziel, mit einer Kindergrundsicherung mehrere bisherige Leistungen zu bündeln, hält die Partei fest.
Ansonsten nimmt sie in der Familienpolitik wieder die Klientel der Besserverdienenden in den Blick. Sie will das Elterngeld auf minimal 400 Euro und maximal 2.400 Euro erhöhen. Davon dürften vor allem gut verdienende Eltern profitieren, die bisher maximal 1.800 Euro erhielten. Der Minimalbetrag steigt nur um 100 Euro.
Das Bürgergeld, eine der größten Neuerungen der Ampel-Koalition, handeln die Grünen in wenigen Absätzen ab. Man will mit Anreizen statt mit Sanktionen Menschen in Arbeit bringen. Ansonsten ist wohl auch die grüne Schweigsamkeit in diesem Bereich Ausdruck des Zeitgeistes.
Finanzierung
Es gibt verschiedene Wege zu mehr Steuergerechtigkeit und die Grünen bevorzugen eine Vermögenssteuer von 1 Prozent für alles über 2 Millionen Euro: So stand es im Wahlprogramm 2021. Dieses Mal ist es umgekehrt: Eine Vermögenssteuer taucht im Entwurf zwar als eines von mehreren möglichen Instrumenten auf. „Fokussieren“ wollen sich die Grünen aber auf andere Maßnahmen: Die Einführung einer globalen Milliardärssteuer, wie von Teilen der G20-Staaten gewünscht, und das Schließen von Steuerlücken zum Beispiel bei „außerordentlich großen Erbschaften“.
Nahezu wortgleich entspricht das einem Kompromissbeschluss vom Parteitag im November. Einige, vor allem vom linken Flügel, wollten dort eine Neuauflage der Forderung von 2021. Andere fürchteten, dass die Grünen damit auf die Nase fliegen könnten – die Erfahrung habe man schon öfters gemacht, etwa bei der verlorenen Bundestagswahl 2013. Der Fokus auf Lücken im bisherigen System, und das auch nur für die Reichsten der Reichen, soll weniger Angriffsfläche bieten.
Der Europa-Abgeordnete Rasmus Andresen gehört zu den grünen Verfechtern einer Vermögenssteuer. Er sagte der taz, das Programm der Grünen habe sich zuletzt nach links verschoben. Andresen ist froh, dass die Forderung nach einer Vermögensteuer als „Signal“ im Wahlprogramm stehe. Einen innergrünen Streit um das richtige Instrument will er vermeiden. Konkreteres wünscht er sich beim Kampf gegegen die Marktmacht der großen Konzerne, um etwa Preistreiberei von Lebensmittelkonzernen zu verhindern. Ob er selbst Änderungsanträge einbringen werde, ließ er offen.Eine weitere Maßnahme, die der Entwurf neben Steuern und Krediten für mehr finanzielle Spielräume vorsieht, ist der Grünen-Klassiker „Abbau klimaschädlicher Subventionen“. Nach den Erfahrungen der letzten drei Jahre ist er aber vorsichtiger verpackt als 2021: Betroffene wolle man bei der Anpassung unterstützen, auf soziale Ausgewogenheit achten. Das Ende der Dieselsubventionierung taucht nicht mehr explizit auf.
Asyl
Auch im Entwurf für das Bundestagswahlprogramm covern die Grünen wieder den einstigen Horst-Seehofer-Leitspruch „Humanität und Ordnung“. Immerhin kommt er aber nur noch an einer Stelle vor und nicht gleich dreimal wie noch bei der Europawahl im Mai.
Inhaltlich war grünen-intern in den Regierungsjahren wohl kaum ein Bereich so umstritten wie die Asylpolitik. Auf dem Parteitag im November gab es auch hierzu einen Kompromissbeschluss. Die Passagen im Programmentwurf bauen jetzt ebenfalls darauf auf – fallen stellenweise aber trotzdem dahinter zurück.
Die Grünen wollen zwar das „Grundrecht auf Asyl verteidigen“. Sie stehen „weiterhin zum Kirchenasyl“, wollen Einschränkungen beim Familiennachzug „aufheben“ und die „Förderung der zivilen Seenotrettung fortführen“. In der Kürze des Programmentwurfs sind aber andere Forderungen des Parteitags entfallen. Es fehlt zum Beispiel die explizite Positionierung dagegen, im Zuge der europäischen GEAS-Reform sogar Kinder zu inhaftieren. Und dass sich Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan verbieten würden, wie man aus dem Parteitagsbeschluss zumindest mit gutem Willen herauslesen konnte? Auch davon ist nichts mehr zu lesen. Nur von einem „Abschiebestopp in den Iran und von Jesid*innen“ ist die Rede.
Der grüne Asyl-Politiker Erik Marquardt weist darauf hin, dass die Liste der Länder, in die abgeschoben werde, weniger eine politische Entscheidung sei, sondern von der menschenrechtlichen Lage vor Ort abhänge. Trotzdem geht er davon aus, dass es in diesem Punkt Änderungsanträge geben werde. Ansonsten bezeichnet er den Entwurf auf taz-Anfrage als „solide“ und ist froh, dass im Wahlprogramm keine innergrünen Kämpfe ausgefochten werden. Deutschland brauche wieder eine „progressive Migrationspolitik“, gerade im Unterschied zur CDU, die Zurückweisungen an der Grenze und einen Aufnahmestopp für Syrer fordert.
Krieg und Frieden
Die Grünen haben sich vorgenommen, wieder öfters vom Frieden zu sprechen, um dem Vorwurf der Kriegstreiberei entgegenzuwirken. Rein quantitativ haben sie den Vorsatz schon mal befolgt: 26 Mal taucht der Begriff „Frieden“ im Programmentwurf auf, die Begriffe „Taurus“ oder „Leopard“ fehlen dagegen. Inhaltlich ändert das nichts an den grünen Positionen der letzten drei Jahre. Mit „diplomatischer, finanzieller, humanitärer und militärischer Unterstützung“ stehe man an der Seite der Ukraine. Der deutsche Verteidigungsetat müsse „dauerhaft deutlich mehr als zwei Prozent des BIP“ betragen.
Ein paar klassisch friedenspolitische Forderungen sind daneben noch übrig. Die Grünen wollen weiterhin gesetzlich festgelegte und einklagbare Kriterien für Rüstungsexporte (daran sind sie in dieser Legislaturperiode gescheitert). Und sie möchten auch immer noch „Abrüstungsinitiativen und Rüstungskontrolle vorantreiben“. Die umstrittene Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland spart der Entwurf aber aus. Zum Krieg in Nahost gibt es nur einen Absatz – und der bleibt unkonkret.
Feuersalamander und Co
Einige Triggerpunkte früherer Wahlkämpfe werden geschickt umschifft: Die Worte vegan und vegetarisch tauchen nicht auf. Stattdessen müsse die Politik Antworten auf den sinkenden Fleischkonsum finden. Nicht die Grünen sind radikal, die Menschen sind es.
Aber keine Sorge, ein paar grüne Herzensthemen haben es in den Entwurf geschafft. Zum Beispiel der Feuersalamander, den die Grünen vorm Aussterben retten wollen. Andere Tiere müssen dafür weichen: „Indem wir beispielsweise beim Wolf die Regeln für Abschüsse in problematischen Fällen vereinfacht haben, erhöhen wir die Akzeptanz des Artenschutzes als Ganzes.“
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