Grünenpolitiker über Zukunft des Bauens: „Wir müssen mehr im Bestand bauen“
Grünen-Politiker Kassem Taher Saleh sagt, dass Union und SPD die Probleme auf dem Wohnungsmarkt unterschätzten. Es reiche nicht, nur neu zu bauen.

taz: Herr Taher Saleh, Schwarz-Rot hat sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Wie zuversichtlich sind Sie als Baupolitiker und Bauingenieur, dass die künftige Regierung die Wohnungsnot in den Griff bekommt?
Kassem Taher Saleh: Eigentlich habe ich gehofft, dass mittlerweile auch Union und SPD begriffen hätten, wie dringend das Wohnungsproblem ist. Doch die langen Diskussionen über eine Abschaffung des Bauministeriums und das zähe Ringen um eine Verlängerung der Mietpreisbremse lassen mich befürchten, dass die Prioritäten der Bundesregierung an anderen Stellen liegen. Wir brauchen dringend bezahlbaren Wohnraum, der das Klima nicht weiter aufheizt. Das heißt ganz konkret: Bestand erhalten, sanieren und auf diese Weise mehr leistbaren Wohnraum schaffen.
taz: Sehen Sie das im Koalitionsvertrag?
Taher Saleh: Der Gebäudesektor verursacht 34 Prozent der globalen CO₂-Emissionen und verbraucht 32 Prozent der globalen Energie. Zur Wärmewende, also dazu, wie wir CO₂ im Gebäudebereich reduzieren und unsere Gebäude effizienter und damit das Heizen günstiger machen, kann man im Koalitionsvertrag nur lesen: So lange aufschieben wie möglich.
taz: Das Verbändebündnis Wohnungsbau bezeichnet die Wohnungsnot als sozialen Sprengstoff Nummer eins. Ist das zu alarmistisch?
Taher Saleh: Wenn wir nichts tun, wird die Wohnungsfrage zum sozialen Sprengstoff. Viele Menschen können sich die Miete nicht mehr leisten oder finden gar keine Wohnung. Eine Studie der Universität Mannheim zeigt, dass steigende Mietpreise in städtischen Gebieten dazu führen, dass einkommensschwache Mieter zur AfD tendieren. Es geht also – neben dem Klima – auch um Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt.
taz: In den ersten 100 Tagen möchte Schwarz-Rot einen Gesetzentwurf für einen Bauturbo vorlegen. Aber wie schafft man es, dass am Ende wirklich bezahlbares Wohnen entsteht?
Taher Saleh: Das gelingt nur, wenn soziale Kriterien im Gesetz verbindlich verankert werden. Schon die letzte Baugesetz-Novelle hat gezeigt: Schnelligkeit allein reicht nicht. Ohne klare Vorgaben drohen steigende Bodenpreise und die Verdrängung einkommensschwacher Haushalte. Deshalb braucht es verbindliche Quoten für bezahlbaren Wohnraum und Mietpreisbindungen – sonst wird aus dem „Turbo“ nur weiterer Druck auf den Wohnungsmarkt.
taz: Für die Klimaziele ist der Gebäudesektor zentral. Gleichzeitig wird Klimaschutz oft als Kostenfaktor diskutiert. Auch Schwarz-Rot möchte beim Neubau wieder den niedrigeren Effizienzstandard EH55 fördern – das Gegenteil von dem, was die Grünen wollten.
Taher Saleh: Wir müssen die Wärmewende endlich ohne weitere Verzögerung angehen – mit klaren Zielvorgaben und ambitionierten CO₂-Grenzwerten. Es darf kein Entweder-oder geben. Wir müssen sowohl Emissionen senken als auch unsere Gebäude effizienter machen. Dafür braucht es eine Lebenszyklusperspektive, die nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern auch planungssicher ist. Diese muss entsprechend der europäischen Gesetzgebung zeitnah gesetzlich verankert werden, um Investitionen verlässlich zu steuern und Klimaziele realistisch zu erreichen.
taz: Wenn wir die Klimakrise ernst nehmen, müssten wir dann nicht möglichst wenig bauen?
Taher Saleh: Sozialpolitik und Klimapolitik dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, auch wenn Populisten das gerne tun. Wir brauchen Wohnungen, die man sich leisten kann. Einen Großteil des Problems können wir lösen, indem wir Gebäude aufstocken, umbauen und sanieren und dazu sicherstellen, dass nicht nur Luxuswohnungen im Dachgeschoss entstehen.
taz: Es gibt seit der Pandemie viele ungenutzte Büroflächen, die man zu Wohnraum umfunktionieren könnte. Aber es heißt, das sei sehr kompliziert.
Taher Saleh: Wir müssen unsere Baukultur verändern. Ich habe Bauingenieurwesen studiert: Es ging immer nur um Beton und Neubauen, anstatt um Bauen im Bestand. Aber Ingenieure und Handwerker können das! Wenn wir das Wissen über Bauen im Bestand endlich nutzen und in der Praxis anwenden, wird Umbau auch billiger. Beim Bauen geht es schließlich immer auch um Geld.
taz: Schwarz-Rot möchte, dass auch der Planungs- und Bauprozess schneller wird, damit es billiger wird. Wo hakt es?
Taher Saleh: Zur Ehrlichkeit gehört: Die Produktivität im Bausektor stagniert seit Jahren. Ich habe als Bauleiter gearbeitet und weiß, wie frustrierend das sein kann. Die Verwaltung muss digitaler und effizienter werden, damit es nicht Monate dauert, bis eine Baugenehmigung vorliegt. Gleichzeitig darf die Entbürokratisierung nicht zum Selbstzweck werden. Es hilft nicht, wenn wir schnell bauen, aber dann keine leistbaren und klimaeffizienten Gebäude entstehen und wir in wenigen Jahren wieder alles abreißen müssen.
taz: Viele klagen über zu viele Bauvorschriften. Stimmen Sie zu?
Taher Saleh: Ja, es gibt auf jeden Fall zu viele Normen und Regulierungen. Ein Vorschlag der Ampel für mehr Einfachheit im Bauen war ja der sogenannte „Gebäudetyp E“. Geplant war, auf Komfortstandards zu verzichten, die nicht zwingend erforderlich sind. Das heißt konkret: Wie viele Steckdosen in einem Raum sind oder ob eine Geschossdecke 35 oder 30 Zentimeter dick sein muss. Die Kernziele der Bauordnung wie Standsicherheit, Brandschutz, gesunde Lebensverhältnisse und Umweltschutz sind natürlich weiter zu erfüllen, aber Normen, die über dies hinausgehen, können in Absprache mit dem Auftraggeber vernachlässigt werden. Das macht vieles pragmatischer.
taz: Den Gebäudetyp E möchte Schwarz-Rot immerhin auch.
Taher Saleh: Das unterstützen wir. Wichtig ist, dass am Ende ein neues Gesetz angewendet wird, mit dem einfacher, aber trotzdem in guter Qualität gebaut wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Koalitionsvertrag schwarz-rot
Immer schön fleißig!
Schwarz-rote Koalition
Als Kanzler muss sich Friedrich Merz verscholzen
Anschläge vor Bundestagswahl
„Der Verdacht ist plausibel“
Rechte Drohungen und mediale Ignoranz
Wo bleibt der Aufschrei gegen rechts?
Schwarz-rote Koalition
Was befürchtet wurde …
Rassistischer Anschlag von Hanau
Terror-Betroffene reicht Beschwerde ein