Grünen-Kritik an Habecks Migrationsplan: „Vorauseilendes Anbiedern an Friedrich Merz“
In einem Brief an die Parteispitze kritisieren Grünen-Mitglieder ihren Kanzlerkandidaten Habeck. Sein Kurs könne Wähler*innen zur Linkspartei treiben.
„Einige Menschen überdenken derzeit ihre eigentlich für die Grünen ausgefallene Wahlentscheidung oder treten unserer Partei doch nicht bei, weil ihnen dieser 10-Punkte-Plan als ein vorauseilendes Anbiedern an Friedrich Merz sauer aufstößt“, heißt es in dem Papier, das als „interner Brief“ betitelt ist und über das am Montag zuerst die Bild berichtet hatte. „Selbst Menschen, die wegen der Einstellung zur Unterstützung der Ukraine und der Ansicht zur Nato eigentlich nicht die Linkspartei wählen würden, überlegen nun doch, dort ihr Kreuz zu setzen.“
Seit Freitag wurden in der Partei Unterschriften für den Brief gesammelt, für diesen Dienstag war der Versand vorgesehen. Bis zum späten Montagnachmittag hatte das Schreiben 237 Unterstützer*innen. Viele von ihnen kommen aus der Funktionärsebene der Grünen Jugend, andere aus Landes- und Bundesarbeitsgemeinschaften zu Migration und Flucht. Auch Mitglieder aus Landesvorständen der Partei, die Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete Miriam Block sowie die ehemalige Thüringer Fraktionsvorsitzende Astrid Rothe-Beinlich haben unterschrieben.
Empfohlener externer Inhalt
Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck hatte auf die öffentliche Debatte nach dem Messerangriff von Aschaffenburg mit einem Zehn-Punkte-Plan reagiert, den er über die Bild-Zeitung veröffentlichte. Die Vorschläge waren größtenteils schon zuvor von Grünen diskutiert oder von der Partei in der Ampel-Koalition mitgetragen worden, dennoch sind sie intern nicht unumstritten. Dazu zählt unter anderem die schnelle Umsetzung der EU-Asylrechtsreform GEAS, mehr Abschiebungen von Gefährdern und Straftätern und mehr Befugnisse für die Bundespolizei.
Kritik an dem Plan gab es schon vor dem jetzigen Brief. Unter anderem veröffentlichte die Grüne Jugend einen eigenen Zehn-Punkte-Plan – mit liberalen und präventiven Maßnahmen statt restriktiven Forderungen.
Habecks Plan und „rechte Narrative“
Um diesen Gegensatz geht es auch in dem neuen Schreiben. „Abschiebungen verhindern keine Morde. Wir brauchen und wollen keine strengere Asylpolitik“, heißt es darin. Stattdessen seien „Integration, effektive Behörden, zügige und faire Verfahren“ nötig.
Habecks Plan bediene „rechte Narrative“ und laufe „Stereotypen hinterher, die rassistische Debatten normalisieren wollen“. Er widerspreche auch dem im Januar von einem Parteitag beschlossenen Wahlprogramm, das sich „für eine humane Migrationspolitik“ einsetze und „Sicherheit deutlich breiter“ definiere. Weiter heißt es, der Plan verkaufe „bittere Kompromisse auf EU-Ebene, auf die Grüne sich notgedrungen einlassen mussten, als originär grüne Ziele, was mit den wirklichen politischen Zielen unserer Partei nichts zu tun hat“.
Näher am Wahlprogramm seiner Partei blieb Habeck am Dienstagvormittag während der letzten Bundestagsdebatte vor der Wahl. „Wir brauchen Steuerung und auch Begrenzung“, sagte er dort zwar. Daneben brauche es aber auch „mit großen Lettern geschrieben die Überschrift: Deutschland ist ein weltoffenes Land“. In der Debatte der letzten Woche habe es „große Lücken“ gegeben: „Wir haben viel zu wenig über Integration, die Ausstattung der Kommunen, die Integration der Menschen geredet.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Jetzt kommen die Erneuerbaren
Die Ära Atomkraft ist endlich vorbei
Grünen-Kritik an Habecks Migrationsplan
„Vorauseilendes Anbiedern an Friedrich Merz“
Plagiatsvorwurf gegen Robert Habeck
Schneller als sein Jäger
Berufsverbot für Klimaaktivistin
Zulassung zum Referendariat wird untersagt
Liberaleres Abtreibungsrecht
Keine Reform von Paragraf 218
Privat finanzierter Wohnungsbau
Hamburg will die Baubranche wieder zum Bauen bringen