Grüne in Baden-Württemberg: Steuermann im Shitstorm
Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz führt ein Online-Hinweisportal für Steuervergehen ein. Dafür wird er im Netz wüst beschimpft.
Inhaltsverzeichnis
Baden-Württembergs grün-schwarze Landesregierung hat ein Online-Hinweisportal für Steuervergehen eingeführt. Es wurde am Montag freigeschaltet und am Mittwoch präsentiert. Das Portal gibt BürgerInnen die Möglichkeit, Hinweise auf Steuerbetrug anonym anzuzeigen.
Bisher nahm die Landesregierung anonyme Hinweise zu Steuervergehen bereits telefonisch, schriftlich, persönlich oder per E-Mail entgegen. Nach ihren Angaben fehlten aber oft wesentliche Einzelheiten. Über das neue Portal kann die Steuerverwaltung demnach online und anonym mit den HinweisgeberInnen kommunizieren.
Mehrere Politiker von CDU, CSU und FDP übten scharfe Kritik am neuen Portal. Sie witterten die Gelegenheit, die Grünen im Bundestagswahlkampf in die Defensive zu bringen. Hamburgs CDU-Chef Christoph Ploß nannte es eine „staatliche Anstiftung zum Denunziantentum“. In Baden-Württemberg reagierte man auf die wütende Kritik – und erläutert das Vorhaben detaillierter.
„In allen anderen Bundesländern anonyme Anzeigen möglich“
„Steuerhinterziehung ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die ehrlich ihre Steuern zahlen“, sagte Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) der taz am Donnerstag. Sie koste den Staat geschätzt 50 Milliarden Euro im Jahr. „Das neue anonyme Hinweisportal ist ein ergänzendes Instrument im Kampf für mehr Steuergerechtigkeit.“
Bayaz betonte, dass in allen anderen Bundesländern seit Jahren anonyme Anzeigen per Telefon, Brief und Mail möglich seien. Bayern werbe ganz offensiv dafür. „So was sollte im Jahr 2021 auch online gehen, deshalb das Onlinesystem.“
Alle großen Steuerskandale der vergangenen Jahre seien durch – meist anonyme – Hinweisgeber aufgedeckt worden, sagte Bayaz. „Anzeigen müssen selbstverständlich gut begründet sein, sonst werden sie von der Steuerfahndung erst gar nicht bearbeitet. Ein einfacher Hinweis genügt ausdrücklich nicht.“ Niemand müsse fürchten, dass künftig die Steuerfahndung vor der Tür stehe, nur weil der Nachbar ihn angeschwärzt habe.
In der Tat ist die baden-württembergische Initiative in der Form eines Online-Briefkasten neu, nicht aber in der Sache. Das Bayerische Landesamt für Steuern wirbt auf seiner Webseite dafür, Steuerhinterziehung – auch anonym – anzuzeigen. „Mit einer Anzeige setzen Sie sich für mehr Steuergerechtigkeit ein“, heißt es da. Entsprechende Formulare werden zum Download angeboten.
Verstöße, die der Allgemeinheit schaden
Jene könnten dann per E-Mail oder Post an das zuständige Finanzamt übersandt werden. CSU-Generalsekretär Blume hätte sich bei den eigenen Behörden informieren können, dass die Praxis durchaus üblich ist.
Louisa Schloussen, Whistleblowing-Expertin von Transparency Deutschland, begrüßte die Initiative aus Baden-Württemberg. Begriffe wie „Denunziantentum“ und „Blockwartmentalität“ seien absolut fehl am Platz. „Es geht beim Whistleblowing um Hinweise auf Verstöße, die der Allgemeinheit schaden und deren Aufdecken im Interesse der Gesellschaft liegt.“
Wissenschaftliche Studien und die Erfahrungen in der Praxis zeigten ganz klar, dass absichtliche Falschmeldungen kaum vorkämen. „Statt die Verdunkelung von Straftaten weiter zu ermöglichen, ist es daher gut, dass die Politik Schritte unternimmt, um für Licht im Dunkeln zu sorgen.“
Die Möglichkeit, Finanz- und Korruptionsdelikte anonym zu melden, gebe es seit Langem, etwa bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) und bei Landeskriminalämtern. Bei solchen Delikten gebe es oft ein enormes Machtgefälle zwischen zwischen meldender und gemeldeter Person, betonte Schloussen.
Wüste Beschimpfungen seit Bild-Aufmacher
„Die Anonymität ist ein wichtiger Faktor, dieses Missverhältnis auszugleichen.“ Auch der Vorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft, Thomas Eigenthaler, wies die Kritik zurück. „Das ist zu einem großen Teil Wahlkampfgetöse“, sagte er dem Handelsblatt.
Bayaz, in Heidelberg geborener Sohn einer deutschen Mutter und eines türkischen Vaters, wird seit dem Bild-Aufmacher wüst im Netz beschimpft. „Was soll man bei dem Namen schon erwarten?!“, postete ein Nutzer auf Instagram. „Der Menschen Händler der grünen wird bald vom Militär aufgehängt“, schrieb ein anderer. Und: „Stasi Dreck brauchen wir nicht.“ Bayaz kündigte gegenüber der taz an, sich gegen Drohungen und rassistische Beleidigungen zu wehren.
„Strafbare Kommentare werden wir konsequent zur Anzeige bringen“, sagte er. Mit Blick auf manche Äußerungen von Wettbewerbern und Medien betonte er: „Es stimmt mich auch nachdenklich, wie einige Stimmen aus dem politischen und publizistischen Raum jeden politischen Anstand vermissen lassen.“ Auch ein Wahlkampf legitimiere keine geschichtsvergessenen Stasi- oder Nazi-Vergleiche.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“