Demografischer Wandel in Deutschland: Ist meine Rente sicher?
Weil die Gesellschaft in Deutschland immer älter wird, müssen wir unser Rentensystem überarbeiten. Dabei kann ein Blick auf andere Länder helfen.
Alte Menschen mit Glatze, dickem Bauch und Hexennase, die aussehen wie aus einer Satirezeitschrift, zeigt der Spiegel auf dem Titel. Sie stapeln sich auf den Schultern eines jüngeren Mannes, der bis zur Brust im Wasser steht.
Als Zeile darüber: „Renten in Gefahr“ – „Die Last wird zu groß“. Weiter hinten im Heft heißt es im dazugehörigen Text: „Wer trägt die Last im Jahr 2000, wenn immer weniger Arbeitnehmer immer mehr Ruheständler ernähren müssen?“
Klingt vertraut? Die Titelseite stammt aus dem Jahre 1985. Die damals Jungen sind die Ruheständler:innen von heute. Also die Boomerjahrgänge, die angeblich die Rentenkasse aussaugen, die zu lange leben und zu lange Ruhegeld beziehen, das die Jungen einzahlen müssen.
Die Sorge vor der „grauen Gefahr“, der Überzahl der Alten, begleitet das deutsche Rentensystem seit Jahrzehnten. Denn es beruht auf einem Generationenvertrag Wer jung ist und arbeitet, finanziert die Rente der Älteren.
Menschen in Lohn und Brot bringen
Jeder Mensch wechselt im Laufe seines Lebens unweigerlich die Rollen, von jung nach alt. Das ist das Besondere an dieser Verteilungsdiskussion. Wer heute 35 Jahre alt ist, wird im Jahre 2060 über 70 sein. Was dann? An welchen Schrauben können wir drehen, damit das System noch – oder sogar besser – funktioniert?
Auf 100 Menschen im Erwerbsalter kommen derzeit 37 im Ruhestand. Das ist der sogenannte Altenquotient. Im Jahr 1990 lag er noch bei 24. Kam es so dramatisch, wie der Spiegel-Titel befürchten ließ? Die Antwort lautet: Jein.
Es arbeiten heutzutage viel mehr Menschen als noch in den 1980er Jahren, nicht zuletzt viel mehr Frauen. Auch Zugewanderte zahlen ins Rentensystem ein. Das Renteneintrittsalter wurde angehoben – auch das verändert das Verhältnis von Erwerbstätigen zu Ruheständlern.
Probleme mit der Demografie
Trotzdem: Der Staat schießt jedes Jahr mehr Steuermittel zur Rente zu. Und auch der Altenquotient steigt weiter. Für das Jahr 2060 rechnet die Deutsche Rentenversicherung mit 45 Menschen im Ruhestand auf 100 Personen im Erwerbsalter.
Wer heute jung ist, wird also später in einer Gesellschaft leben, die noch deutlich älter ist als die heutige. Bleibt das System wie derzeit bestehen, werden dann noch weniger Junge noch mehr Rentner:innen tragen müssen. Allerdings: Vorsicht mit dem Schimpfen auf die Alten. Irgendwann sind wir alle dran.
Andere Länder in Europa und Asien haben ähnliche Probleme mit der Demografie. Immer mehr Staaten koppeln auf der Suche nach einer Lösung das Alter, ab dem jemand Rente beziehen kann, an die Entwicklung der Lebenserwartung.
Rente ab 70!
In Ländern wie Dänemark, Estland, Italien, den Niederlanden oder Schweden werde „das normale Renteneintrittsalter bis zu 70 oder mehr Jahren steigen, wenn sich die steigende Lebenserwartung wie vorausberechnet bewahrheitet und die gesetzlichen Regelungen greifen“, so steht es einem OECD-Report von 2023.
Rente ab 70! Der Gedanke, dass heute 35-Jährige zwar brav Beiträge in die Rentenkasse zahlen, aber dann selbst später erst ab 70 in Rente gehen können, weil es in Zukunft zu wenig jüngere Beitragszahler:innen gibt, ist für viele ein Albtraum.
Durch dieses Szenario verschärft sich auch ein Gerechtigkeitsproblem: Menschen mit geringen Einkommen leben im Schnitt mehrere Jahre kürzer, beziehen also nach Ruhestandseintritt eine kürzere Zeit Rente als die Gutverdiener. Wer also arm ist und erst mit 70 in Rente gehen kann, hat vom Ruhestand noch weniger als ohnehin schon.
Kleine Renten aufbessern
Bislang gilt die Formel: Je besser der lebenslange Verdienst, desto höher die Rente. Leider ist das auch andersherum wahr, Stichwort Altersarmut. Man könnte also darüber nachdenken, kleine Renten in Zukunft wenigstens aufzustocken. Deutschland steht bei der sogenannten Lohnersatz-Rate für Niedrigverdiener auf einem der hinteren Plätze der 38 OECD-Länder.
Immerhin gilt hier seit 2021 die „Grundrente“, ein Zuschlag für Niedrigverdiener:innen. Bisher haben allerdings nur 1,1 Millionen Kleinrentner:innen Anspruch auf diese Aufstockung, die im Schnitt auch nur 86 Euro im Monat beträgt.
Ein anderer Weg der Umverteilung bestünde darin, Gutverdiener:innen überproportional in das Rentensystem einzahlen zu lassen, wie zum Beispiel in der Schweiz.
Beamte mit einbeziehen
Das würde die Ungerechtigkeit in der Lebenserwartung zwischen den Einkommensgruppen zumindest rein statistisch etwas abmildern. Menschen in schlecht bezahlten Jobs schaffen es allerdings häufig gar nicht, bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter zu arbeiten. Wenn es hinausgeschoben wird, wird das erst recht zum Problem.
Wie kommt mehr Geld in die Rentenkasse? Indem mehr Menschen in sie einzahlen. Nicht alle Staatsbürger:innen sind dazu verpflichtet. Beamte zum Beispiel beziehen stattdessen eine Pension, die aus Steuergeldern finanziert wird. Das zu ändern und Beamte in die gesetzliche Rentenversicherung mit aufzunehmen wird in Deutschland seit Jahren diskutiert.
Ob das wirklich mehr Geld in die Rentenkasse spülen würde, ist fraglich, es hinge davon ab, wie die Ansprüche der Staatsdiener:innen langfristig ausgestaltet werden. Denn Beamte leben lang und beziehen daher auch lange Jahre Rente.
Aktien kaufen
Nach und nach umstellen auf Verfahren, die unabhängig sind von der Alterung der Bevölkerung – das will der unlängst im Kabinett verabschiedete Entwurf zum Rentenpaket II. Er sieht vor, dass aus Steuermitteln ein Stiftungsfonds, ein sogenanntes Generationenkapital, aufgebaut und am Aktienmarkt angelegt werden soll.
Die Erträge aus diesem Fonds sollen ab dem Jahre 2036 die Beiträge zur Rente um 0,3 Prozentpunkte dämpfen. Das ist ein überschaubarer Effekt. Die Hoffnung auf den rettenden Einstieg in den Aktienmarkt, gerne von der FDP geschürt, ist übertrieben.
Viele Jüngere befürchten, später nicht mehr viel von der gesetzlichen Rente zu haben, in die sie heute einzahlen. Stattdessen würden sie das Ruhegeld für später aus dem Lohn lieber selbst sparen und anlegen.
Aussteigen
Genau das tun viele selbstständige Unternehmer:innen schon jetzt. Freiberufler:innen wie Architekt:innen und Ärzt:innen zahlen, ebenso wie Beamte, nicht in die gesetzliche Rentenkasse ein. Stattdessen sind sie über ihre beruflichen Versorgungswerke abgesichert.
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Die Bundesregierung will demnächst zwar die Selbstständigen in die Rentenkasse einbeziehen, allerdings will sie dabei diejenigen mit eigener guter Alterssicherung ausnehmen und ebenso Erwerbstätige in berufsständischen Versorgungswerken. Auch das wirft Gerechtigkeitsfragen auf. Wer kann sich dem gesetzlichen Rentensystem entziehen und wer nicht?
Früher in den Ruhestand? In Ländern wie Österreich, Frankreich und vielen anderen gibt es diese Möglichkeit für Menschen in Berufen mit Nachtarbeit, mit hohen körperlichen und nervlichen Belastungen. Polizist:innen, Feuerwehrleute, Krankenpfleger:innen, Busfahrer:innen zählen zu diesen Berufsgruppen.
Stressberufe besser stellen
In Deutschland geht das bislang nicht. Nur wer nahezu komplett arbeitsunfähig ist, kann sich mit einer sogenannten Erwerbsminderungsrente früher zur Ruhe setzen.
Theoretisch wäre es denkbar, dass man etwa Mangelberufe wie die Pflege attraktiver macht, indem man den Pflegenden generell eine frühere Austrittsmöglichkeit in den Ruhestand gestattet, ohne entsprechende Rentenkürzungen. Das könnte unerwartete Effekte haben – auch auf die Arbeitswelt vor der Rente.
Alternativ lohnt sich ein Blick auf andere Länder in Europa und dessen Systeme. Auch diese kämpfen nähmlich gegen den demografischen Wandel. Von den Ansätzen könnten wir lernen.
Schweden: vergleichsweise sozial
In Schweden etwa gibt es einen Generationenvertrag, so wie in Deutschland. Den gestalten sie vergleichsweise sozial: Für Niedrigverdiener gibt es eine steuerfinanzierte Mindestabsicherung. Sie ist unabhängig von den gezahlten Rentenbeiträgen. Den vollen Betrag dieser Garantierente bekommt allerdings nur, wer mindestens 40 Jahre lang in Schweden gewohnt hat.
Zweite Säule ist eine Einkommensrente. Sie ist abhängig von den eingezahlten Beiträgen und funktioniert als Umlage. Dazu gehört aber auch ein kleiner Vermögensanteil, bei dem eingezahltes Geld an den Kapitalmärkten angelegt wird.
Die dritte Säule ist eine sogenannte Prämienrente. Sie ist verpflichtend und funktioniert so: Vom gesamten Beitragssatz für die Altersvorsorge – er beträgt 18,5 Prozent des Bruttolohns – fließen 2,5 Prozentpunkte in die Prämienrente. Das Geld wird dann in einen Aktienfonds investiert. Man kann ihn sich selbst aussuchen oder den staatlichen Standardfonds nutzen.
Die Herausforderung
Die Anteile der Arbeitgeber bei der Alterssicherung sind in Schweden höher als in Deutschland. Die jährliche Steigerung der Renten soll künftig an die Entwicklung der Lebenserwartung gekoppelt werden. Die Schweden halten das Renteneintrittsalter flexibel. Wer länger arbeiten will als bis zum gesetzlich vorgesehenen Alter, der kann das tun – und so auch die eigene Rente aufbessern.
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Wenn die Wirtschaft schwächelt, kann den Schwed:innen die Rente gekürzt werden. Sogenannte nominale Rentenkürzungen, also dass wirklich weniger Geld auf dem Konto landet, gab es in Schweden in den Jahren 2010, 2011 und 2014, so Rentenexperte Florian Blank für die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung.
In Deutschland sind nominale Rentenkürzungen gesetzlich nicht erlaubt. Reale Rentenkürzungen passieren dagegen auch hierzulande immer wieder. Sie ergeben sich dann, wenn die Preise stärker steigen, als die Rente angehoben wird.
Ist das was für uns?
Ja, jubelt die FDP, die auf Aktien steht. Nur bedingt, befindet allerdings Rentenexperte Florian Blank. Vom Leistungsniveau her liegen das schwedische und das deutsche System etwa gleichauf. Das System der Betriebsrenten sei in Schweden besser ausgebaut. Gegenüber Schwankungen auf den Kapitalmärkten sei das schwedische Rentensystem aber anfälliger: „Deutschland wirkt da stabiler“, so Blank.
Österreich: Mehr Geld in der Kasse
Aus deutscher Sicht leben Rentner:innen in Österreich im Paradies. Die Renten im Nachbarland liegen im Schnitt deutlich höher als hierzulande. Nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung erhielten deutsche Rentner 2018 durchschnittlich 1.000 Euro ausgezahlt, in Österreich waren es 1.550 Euro.
Und dann kriegen die Alten dort auch noch zwei Extrarenten jährlich obendrauf, sozusagen als Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Mehr Geld in der Kasse, das hat zwei Gründe.
Zum einen die höheren Beiträge. Schon seit 1988 überweisen dort Arbeitende und Arbeitgeber:innen einen Beitragssatz von 22,8 Prozent an die Rentenkasse. Die Betriebe müssen 12,55 Prozent abgeben, die Arbeitnehmer 10,25 Prozent.
Zum Vergleich: In Deutschland liegt der hälftig auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer verteilte Beitragssatz bei jeweils 9,3 Prozent. Österreich hat schon früh auch eine andere Reform vollzogen: Beamt:innen sind de facto in das Rentensystem einbezogen.
Die Herausforderung
Der in Deutschland extreme Abstand zwischen den Alterseinkünften von Rentnern und Pensionären wurde damit aufgehoben. Diese Angleichung hat ebenfalls finanzielle Spielräume für vergleichsweise hohe Renten im Nachbarland geschaffen.
Rente kann in Österreich nur beziehen, wer mindestens 15 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt hat. Alle anderen gehen komplett leer aus. Auch der Steuerzuschuss zur Rente ist noch höher als in Deutschland. Außerdem wird die Rentenhöhe nach einer anderen Formel jährlich angepasst. In Österreich orientiert sich die Erhöhung an der Inflationsrate, in Deutschland an der Lohnentwicklung.
In den vergangenen Jahren wäre es angesichts extremer Preissteigerungen vermutlich auch deutschen Rentnern sehr willkommen gewesen, die Rente hätte sich an der Inflation orientiert. Doch auf lange Sicht sind die Löhne stets stärker gestiegen als die Preise. Die Rentner in Österreich profitieren also nicht von einer wachsenden Wirtschaftsleistung.
Ist das was für uns?
Auch in Deutschland werden die Beiträge steigen, innerhalb der kommenden zehn Jahre auf 22,3 Prozent. Das Gejammer darüber ist laut. Österreich liefert die Erkenntnis, dass höhere Rentenbeiträge volkswirtschaftlich durchaus zu verkraften sind, und das ohne nennenswerten Generationenkonflikt.
Es ist auch nicht zu beobachten, dass die österreichische Wirtschaft dadurch an weniger wettbewerbsfähig ist. Was die Einbeziehung der Beamten ins Rentensystem angeht: Kurzfristig würde das in Deutschland keine Entlastung bringen. Denn Rentenansprüche, die bereits erworben wurden, dürfen nicht mehr angetastet werden.
Schweiz: Existenzminimum sichern
Das Schweizer Rentensystem ist dem deutschen im Grunde sehr ähnlich. Der entscheidende Unterschied: Die Schweiz hat ein Rentensystem, das einen Umverteilungsmechanismus von besser zu geringer Verdienenden beinhaltet.
Dabei sind die Einzahlungen in die Rentenkasse in der Schweiz nicht gedeckelt – die Auszahlungen hingegen schon. Alle Schweizer:innen, egal wie hoch ihr Einkommen, zahlen 10,6 Prozent ihres Bruttolohns für die Rente ein. Die Hälfte dieses Beitrags übernimmt der Arbeitgeber.
Allerdings: Die ausgezahlte Rente ist begrenzt auf aktuell maximal 2.450 Franken im Monat. Wer also zum Beispiel 1 Million Franken im Jahr verdient hat und daher sehr viel in die Rentenkasse eingezahlt hat, bekommt im Alter trotzdem maximal 2.450 Franken raus.
Die Herausforderung
Auch die Schweizer:innen werden im Schnitt immer älter. Die staatliche AHV, oder sperrig Alters- und Hinterlassenenversicherung, gerät daher unter Druck. Sie funktioniert ähnlich wie die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland über ein Umlageverfahren.
Die AHV-Rente hat allerdings, anders als in Deutschland, lediglich den Anspruch, das Existenzminimum zu sichern und fällt entsprechend niedrig aus. Berufliche Vorsorge und private Vorsorge haben eine höhere Gewichtung als bei uns.
Ist das was für uns?
In Deutschland steigt der Rentenbeitrag ab einem Einkommen von rund 7.500 Euro nicht weiter an, hier liegt die sogenannte Beitragsbemessungsgrenze. Das heißt, egal ob du 7.500 Euro oder 100.000 Euro im Monat verdienst, du zahlst genauso viel in die Rentenkasse ein.
SPD und Linke haben bereits gefordert, die Beitragsbemessungsgrenze in Deutschland abzuschaffen oder wenigstens anzuheben. Als Gegenargument wird oft genannt, dass Vielverdienende dann noch mehr in private Versicherungen abwandern würden und gar nicht mehr in die gesetzliche einzahlen.
In der Schweiz ist der Beitrag zur AKV verpflichtend. Aber auch dort gibt es Befürchtungen, dass das aktuelle Konstrukt verfassungswidrig sein könnte, weil man für hohe Einzahlungen ins Rentensystem keine äquivalente Gegenleistung bekäme.
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