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Soziales Lotterleben an der Seine auf unsere Kosten ?
Es gehört zu den Dauerthemen der hiesigen rentenpolitischen Francophobie, die aller Welt weismachen will, an der Seine herrsche ein soziales Lotterleben auf Kosten der fleißigen Deutschen. Die Stutzung der Rentenbezüge gehört zu den besonders hartnäckigen Forderungen des deutschen Aktionariats an die Adresse der französischen Regierung.
Dabei sind die Unterschiede insgesamt betrachtet in der Tat eher geringfügig. So betragen die Sozialschutzleistungen laut Eurostat in Frankreich 31,5 % und in Deutschland 30 % des BIP. Der Anteil an öffentlichen Ausgaben für das Rentensystem beträgt 13,5 % in Frankreich und 12 % in Deutschland. (Beide Zahlen sind allerdings insoweit inkommensurabel, da die budgetfinanzierten, also staatliche Transferleistungen darstellenden Beamtenpensionen in Deutschland darin nicht enthalten. Dies eingerechnet, dürften die öffentlichen Ausgaben für die Ruhestandssysteme in Deutschland proportional sogar noch über denen in Frankreich liegen.)
In der Siegesrede in seiner Heimatstadt Tulle am Wahlabend des 6. Mai 2012 hatte Hollande unter großem Jubel seiner vor allem jungen Anhänger den Erhalt des französischen Sozialmodells und des Öffentlichen Dienstes, soziale Gerechtigkeit und Gleichheit versprochen. Er sagte der Austeritätspolitik seines Vorgängers den Kampf an und wolle dies auch den europäischen Partnern, voran den deutschen, deutlich machen. Stattdessen sah seine Bilanz nach fünf ganz danach aus, brav und beflissen die Standpauken aus Berlin befolgt zu haben, endlich Schluß zu machen mit dem sozialen Lotterleben an der Seine und den obsoleten acquis sociaux, wie sie im CNR-Programm 1944 mit unverkennbarer kommunistischer Handschrift verankert wurden. Hollande hatte mit seinen Steuergeschenken an das Patronariat, der Absenkung der Rentenkaufkraft usw. geliefert. Macron geht auf dieser schiefen Ebene nun noch einen Schritt weiter, sehr zu deutscher Freude.
Im französischen TV hatten selbst regierungsfreundliche Fachleute Mühe den Zwang zu dieser Reform zu erklären. Es geht wohl um einen hohen staatlichen Anteil, der soll sinken. Französische Linke haben nachgewiesen, dass der Staat ordentlich Hilfen, Subventionen und Steueranreize an Unternehmen raushaut. Sie sehen bei der Rentenreform vor allem den Willen die Rente zu einem Sparschwein zu machen und halten es für zutiefst ungerecht. Damit treffen sie seit langem das Gefühl vieler Durchschnittsfranzosen.
Kommen mir trotzdem priviligiert vor, die Franzosen. Bei uns in den Niederlanden geht es mit 67 in Rente und die volle Alterssicherung gibt es nur, wenn man 50 volle Jahre gearbeitet hat - also für einen ganzen Teil der Bevölkerung eben nicht, weil der mit 17 noch zur Schule gegangen ist. Unfallversicherung? Da träumen die Holländer von, das kostet extra und geht von der Rente ab.
Natürlich muss die Frage gestellt werden, warum man nicht die Priviligierten zur Finanzierung heranzieht. Im Vergleich zu den holländischen Arbeitern erscheinen aber die französischen priviligiert. Klar, die Nederlanders kriegen höhere Löhne, die werden aber komplett von den insgesamt viel höheren Lebenshaltungskosten aufgefressen. Die Mietpreise in der holländischen Pampa entsprechen denen Münchens, aus gesundheitlichen Gründen schau ich mir die Wohnungsmieten in Amsterdam gar nicht an, und nein, das ist kein Scherz, bin selbst grad auf Wohnungssuche, deshalb hab ich das gut im Blick.
@Stechpalme Vielleicht sind die Französinnen und Franzosen einfach besser in Sachen Klassenkampf.
Der Kuchen wird ja nicht im Stuhlkreis geteilt, man muss sich seinen Anteil schon erkämpfen.
@Jim Hawkins So ist es. Ich weiß nicht, aus welchem Zusammenhang die Altersgrenze in Frankreich gerissen sein soll, wie im Artikel behauptet, zumal Deutschland für einen sehr großen Teil der arbeitenden Bevölkerung alles andere als ein Hochlohnland ist. Aber hier haben die Leute die Erhöhung der Regelaltersgrenze von 65 auf 67 Jahre einfach geschluckt, ohne dass es nennenswerte Proteste gegeben hätte. Wer nicht für seine Interessen kämpft, wird eben über den Tisch gezogen. Das Ganze ist beim Zustand der hiesigen Linken (ich meine die der Linken Zugehörigen, nicht die Linkspartei), die, soweit es sie überhaupt noch gibt, offenbar mehrheitlich eher davor Angst hat, dass die bösen Menschlein im Lande zu viel "konsumieren" könnten, allerdings auch kein Wunder.
@Stechpalme Wie sollen das jetzt Grevisten / Streikende in Frankreich verstehen? Hart für ihre Rechte kämpfen? Bis 64 arbeiten und hoffen, dass keine holländischen Verhältnisse entstehen?
Ich habe das nicht recht verstanden, was ihre Botschaft ist.
Rente erst mit 64?
Da sieht man mal, wie brav und folgsam das deutsche Volk ist.
@Herry Kane Genau genommen Rennte nach 42 Arbeitsjahren.
Hier sind es 40.
Wie finanzieren? Bei der Demographie? Lösung keine.
Ketzerisch könnte man sagen, wie auch in DE: Jahrelang bequem sein Leben gelebt und dann merken, dass das alles nicht aufgeht. Politik, Arbeitgeber, Arbeitnehmer. Alle.
@Tom Farmer "Wie finanzieren" - sich an österreich orientieren. googlest du ...
@Tom Farmer Ist dort so wie überall. Die angeblichen Löcher in den Sozialkassen verblassen angesichts von 100 Milliarden, die dem Staat durch Steuererleichterungen, Steueroptimierung und Steuerflucht jedes Jahr verlorengehen. Plus der 100te Milliarden, die in den letzten Jahren in die Wirtschaft gepumpt wurden.
Macron hat ja selbst zugegeben, dass diese "Reform" mit dem Rentensystem nichts, mit den Finanzmärkten aber alles zu tun hat.
Wie der Artikel sagt, an der Rentenreform kristallisiert sich der Widerstand gegen die neoliberale Zerstörung des Staates.
@Tom Farmer Warum wer finanziert?
In F, so der Kommentar, wird der frühere Ruhestand durch Lohnverzicht bezahlt. Die Mindestlebensarbeitszeit von 42 Jahren ist auch vergleichbar zum deutschen System, auch hier zahlen die Beschäftigten mit langen Arbeitszeiten und die politische Dimension wird ausgeblendet. Sowohl in Dtl. als auch in F. wird aus "normalen" Steuermitteln ins Rentensystem zugeschossen. Wenn der franz. Staat Vermögenssteuern senkt und die großen Einkommen und Vermögen entlastet, dann spricht das für eine zielgerichtete Politik zu Lasten der unteren Bevölkerungsschichten und gegen die Behauptung einer "Laissez-faire"-Politik, die nun zu einer unsanften Landung ansetzt.
@Favier Ich schreibe WIE finanzieren, Sie schreiben dann WER finanziert, der Staat(!) und das sei eine Lösung.
1. Besser lesen wenn man auf etwas korrekt und direkt antworten will.
2. Auch beim Staat ist dann das 'wie' die Frage, wenn immer weniger Leute Steuern erwirtschaften und zu wenig reinkommt beim Staat.
Daher: Meine Beobachtung bleibt als Frage bestehen.
@Tom Farmer Der Link zum "Wie" und "wer", denn wie und wer gehören zusammen:
@Tom Farmer Wie?
Bei uns könnte man damit anfangen, dass alle einzahlen...
@Tom Farmer Das ist einfach zu finanzieren. Alle 30 Jahre wird eine Vermögensabgabe vorgenommen. Dann reichts auch für alle Rentner.
@Hannah Remark Ich glaube die Vermögensabgabe aller 30 Jahre würde nicht reichen und wäre maximal Symbolpolitik die final nicht hilft. Früher hat man in Frankreich4 Arbeitnehmer auf 1 Rentner gehabt. Aktuell sind es 1,5 Arbeitnehmer auf 1 Rentner. Das funktioniert rein rechnerisch einfach nicht.
@Müller Christian Das reicht schon, damit Sie sich sicherer fühlen, halt alle 20 Jahre!
@Hannah Remark Und für Schulen, Kinderbetreuung generell, Krankenhäuser und den anderen unwichtigen Kram, für den wäre auch mal Geld da.
Irgendwie hatte ich beim lesen der Überschrift erwartet, warum der reine Zahlenvergleich hinkt.
@Doktor No "Die Arbeitnehmer*innen haben seit Langem akzeptiert, dass ihre niedrigen Löhne durch einigermaßen großzügige Sozialleistungen und durch ein funktionierendes System kompensiert wurden.
Die Altersrente ist in Frankreich Teil der Sécurité sociale, zu der auch die öffentliche Krankenkasse, die Unfallversicherung und die Kasse für die Familienzulagen gehört. Wer nun ein Stück aus diesem Gesamtwerk herausbrechen will, muss mit entsprechend heftigen Reaktionen rechnen."
@Doktor No Ja , so ging es mir auch. Stattdessen dachte ich beim lesen die ganze Zeit, ok also wie in D
"Das Stellenangebot für „Senioren“ auf dem Arbeitsmarkt ist karg."
Das dürfte sich allerdings in absehbarer Zeit ändern (wenn es überhaupt noch so ist), weil wir in den westlichen Volkswirtschaften überall zunehmend mit Arbeitnehmermangel zu tun haben. Und das ist das einzige wirklich stichhaltige Argument gegen die doch sehr moderate Erhöhung des Rentenalters in diesem Kommentar, das über "weil das schon immer so war" und "Provokation" hinaus geht.
@Ruediger Aber auch in Frankreich?
Südeuropa hat insgesamt eher mit hoher Jugendarbeitslosigkeit zu kämpfen.
@Ruediger Sie Missverstehen den Artikel vollständig.
Eine Erhöhung des Erwerbstätigenalters ist immer eine kürzung der Rente.
Wenn der Arbeitsmarkt so dringend Arbeit braucht und die "faulen" Renter bei den bescheidenen Arbeitsangeboten nicht malochen wollen.... dann weis nicht... VLL MAL LÖHNE ERHÖHEN, ARBEITSBEDINGUNGEN VERESSERN?
Sie wissen schon... Angebot und Nachfrage. Der Markt regelt das.
Oder halt das Rentenalter erhöhen und die Menschen zwingen zu arbeiten weil sonst Rentenkürzung droht... das geht eben auch.
@Obscuritas Sie haben in so weit recht, dass als Konsequenz
des Arbeitskräftemangels die Löhne steigen sollten. Aber nicht, damt die Alten mit 60 in Rente gehen können, sondern damit die Jungen eine Familie gründen uund Geld fürs Alter zurücklegen können und vielleicht in Teilzeit gehen können, wenn die Kinder klein sind.
Höhere Löhne sind im Idealfall ein positiver Nebeneffekt des Arbeitskräftemangels, aber keine Lösung, die Zahl der potentiellen Arbeitnehmer steigt dadurch ja nicht. Und Sinn der Rente ist es auch nicht, ein Alternativangebot zu niedrigen Löhnen zu sein.
@Ruediger Die Zahl der Über-60-Jährigen ohne Arbeit hat sich seit 2009 mehr als verdoppelt. Das Problem ist vermutlich noch größer – denn von der Arbeitslosenstatistik werden Ältere oft nicht erfasst.
www.boeckler.de/de...verdeckt-21537.htm
Wäre dann sinnvoll dies auch zu ändern, da ansonsten keine Transparenz herrscht und keine faktenbezogenen Entscheidungen getroffenen werden können! Undeine solche Aussage wie die Ihre gemacht wird, die momentan noch jeder datenbasierten Realität widersprecht!
Jürgen Klopp sollte auf seinen Job beim Getränkekonzern Red Bull verzichten. Stark koffeinhaltige Energydrinks gefährden viele Kinder und Jugendliche.
Proteste gegen Macrons Rentenreform: Angriff auf das Sozialsystem
Rente mit 64 – schön wär's? Wer den Widerstand gegen Macrons Rentenreform verstehen will, muss die Besonderheit des französischen Sozialsystems kennen.
Gegen die Renten-Reform und Frankreichs Premierministerin:Protest in Paris Foto: Benoit Tessier/reuters
Mit 64 Jahren bei voller Rente in den Ruhestand zu gehen, davon können viele in Europa nur träumen. In Frankreich ist die schrittweise Erhöhung des Rentenalters von heute 62 auf 64 Jahre dagegen ein Affront. Der simple Vergleich mit dem gesetzlichen Rentenalter in Deutschland oder anderen EU-Staaten aber hinkt. Die Zahl allein wäre aus dem Zusammenhang gerissen. Um die aktuellen Proteste gegen die von Emmanuel Macron geplante Rentenreform zu verstehen, muss man den ganz eigenen, französischen Kontext mitbedenken.
Seit 1981 der sozialistische Präsident François Mitterrand das Rentenalter auf 60 senkte, gilt diese relativ frühe Pensionierung in Frankreich als soziale Errungenschaft und als Kernstück der gesamten Sozialpolitik. Die Arbeitnehmer*innen haben seit Langem akzeptiert, dass ihre niedrigen Löhne durch einigermaßen großzügige Sozialleistungen und durch ein funktionierendes System kompensiert wurden.
Die Altersrente ist in Frankreich Teil der Sécurité sociale, zu der auch die öffentliche Krankenkasse, die Unfallversicherung und die Kasse für die Familienzulagen gehört. Wer nun ein Stück aus diesem Gesamtwerk herausbrechen will, muss mit entsprechend heftigen Reaktionen rechnen. Bei einer Niederlage in diesem Kampf um das Rentenalter ist, so die Befürchtung vieler, auch der Rest der sozialen Sicherheit nicht mehr gewährleistet.
Die kurzfristige Anhebung des Rentenalters für die nach 1961 Geborenen kommt der angekündigten Schlachtung einer heiligen Kuh gleich. Betroffene und Gewerkschaften betrachten Macrons Pläne als Frontalangriff. Jedes Mal, wenn die Regierung bisher an den sozialen Errungenschaften rüttelte, kam es zu sehr heftigen Konflikten. 1995 musste die Regierung Alain Juppé nach mehrwöchigen Protesten eine Rentenreform zurückziehen. Heute kommt hinzu, dass sich in den letzten Jahren in vielen Bevölkerungsschichten ein Zorn auf die „Privilegierten“ und das System angestaut hat, der (wie schon bei den Gelbwesten-Protesten) schnell eskalieren kann.
Auch in Frankreich ist die Lebenserwartung gestiegen, und viele Senior*innen wären durchaus fit genug, um beruflich auch jenseits der 65 aktiv zu bleiben. Bereits heute müssen die zukünftigen Rentner*innen in Frankreich für volle Leistungen 42 Jahre lang gearbeitet und Beiträge in die Altersvorsorge bezahlt haben, und da oft zu viele Lücken bestehen – die Studienjahre zählen beispielsweise für die meisten nicht –, setzen sie schon heute, wenn möglich, die Arbeit über die derzeit offizielle Altersgrenze von 62 Jahren fort.
Anderseits ist zwischen 55 und 60 Jahren bereits die Hälfte aus der Berufstätigkeit ausgestiegen – und dies oft nicht freiwillig. Das Stellenangebot für „Senioren“ auf dem Arbeitsmarkt ist karg. Macrons Forderung an sie, länger zu arbeiten, klingt für sie vor diesem Hintergrund heuchlerisch. In Wirklichkeit bedeutet die Anhebung des Rentenalters und die Verlängerung der erforderlichen Beitragsjahre in vielen Fällen schlicht eine kleinere Rente.
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Schwerpunkt Emmanuel Macron
Kommentar von
Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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