Blockaden der Letzten Generation: Richterlicher Widerstand
Ein Amtsrichter verweigert einen Strafbefehl gegen eine Aktivistin der Letzten Generation – die Klimakrise rechtfertige Protest.

So hat ein Richter des Amtsgerichts Tiergarten einen Antrag der Staatsanwaltschaft für einen Strafbefehl abgeschmettert und sich dabei ausdrücklich auf die Klimakrise bezogen. In der Begründung des Beschlusses von Anfang Oktober, der der taz vorliegt, heißt es, die Klimakrise sei eine „objektiv dringliche Lage“ und „wissenschaftlich nicht zu bestreiten“. Bei einer Bewertung des Protestes sei das nur „mäßige politische Fortschreiten“ der Klimamaßnahmen zu berücksichtigen. Die Handlungen der Beschuldigten, die für dreieinhalb Stunden die Kreuzung am Frankfurter Tor blockiert haben soll, seien „nicht verwerflich“.
Den Vorwurf des Widerstands verwarf er, weil sich an den Asphalt zu kleben keine Gewalt darstelle. Auch sei Polizist:innen das Bepinseln einer Hand zuzumuten. Auch den Vorwurf der Nötigung verwarf er. Demonstrationen seien „lästig, aber für den demokratischen Rechtsstaat unerlässlich“. Unter anderem bewertet der Richter die Blockade als „nicht verwerflich“, da keine Rettungswege blockiert wurden und an der Kreuzung regelmäßig mit Staus zu rechnen sei. Auch betreffe das Anliegen der Aktivistin „alle Menschen, also auch die durch die Blockade betroffenen Fahrzeugführer“.
Bestärkender Beschluss
Der Beschluss, über den zuerst die Süddeutsche Zeitung berichtete, ist ein Novum. Gewöhnlich beantragt die Staatsanwaltschaft ein schriftliches Urteil in Form eines Strafbefehls, dem die Richter:innen stattgeben. Erst nach Einspruch der Aktivist:innen kommt es überhaupt zu einer Verhandlung. In diesem Fall verwarf der Richter den Strafbefehl völlig. Da die Staatsanwaltschaft Beschwerde eingelegt hat, wird der Fall nun vor dem Landgericht verhandelt.
Auch zwei weitere Berliner Richter:innen sollen Strafbefehle abgelehnt und auf einem Prozess bestanden haben. Ebenso vertrat in Flensburg eine Amtsrichterin die Ansicht, dass Klimaaktivismus auch Hausfriedensbruch rechtfertigen kann.
Lilly Schubert, Pressesprecherin der Letzten Generation, sagte der taz, der Beschluss „bestärke und ermutige“ sie. „Es erfordert Mut anzuerkennen, dass wir uns in einer Notstandssituation befinden.“ Für Donnerstag 10 Uhr hat die Gruppe die Bundesregierung zu einem Gespräch eingeladen – bleibt das Angebot unbeantwortet, dürften die Aktionen weitergehen. Am Mittwochmorgen kletterten Aktivist:innen auf das Brandenburger Tor und rollten ein Banner aus; auch die Straßenblockaden gingen weiter.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird