Blockaden der Letzten Generation: Richterlicher Widerstand

Ein Amtsrichter verweigert einen Strafbefehl gegen eine Aktivistin der Letzten Generation – die Klimakrise rechtfertige Protest.

Aktivisten der Gruppe "Letzte Generation" haben das Brandenburger Tor besetzt.

Botschaft mal nicht auf Asphalthöhe, Brandenburger Tor in Berlin am 9. November Foto: Michele Tantussi/reuters

BERLIN taz | Von überall schallen derzeit Rufe, härter gegen die Letzte Generation vorzugehen. Dabei sind in den Berliner Gerichten bereits 174 Verfahren anhängig, in denen den Ak­ti­vis­t:in­nen der Gruppe meist Nötigung und häufig auch Widerstand vorgeworfen wird. Doch vereinzelt regt sich offenbar auch unter den Rich­te­r:in­nen Widerstand dagegen, Klimaaktivismus mit Strafen zu begegnen.

So hat ein Richter des Amtsgerichts Tiergarten einen Antrag der Staatsanwaltschaft für einen Strafbefehl abgeschmettert und sich dabei ausdrücklich auf die Klimakrise bezogen. In der Begründung des Beschlusses von Anfang Oktober, der der taz vorliegt, heißt es, die Klimakrise sei eine „objektiv dringliche Lage“ und „wissenschaftlich nicht zu bestreiten“. Bei einer Bewertung des Protestes sei das nur „mäßige politische Fortschreiten“ der Klimamaßnahmen zu berücksichtigen. Die Handlungen der Beschuldigten, die für dreieinhalb Stunden die Kreuzung am Frankfurter Tor blockiert haben soll, seien „nicht verwerflich“.

Den Vorwurf des Widerstands verwarf er, weil sich an den Asphalt zu kleben keine Gewalt darstelle. Auch sei Po­li­zis­t:in­nen das Bepinseln einer Hand zuzumuten. Auch den Vorwurf der Nötigung verwarf er. Demonstrationen seien „lästig, aber für den demokratischen Rechtsstaat unerlässlich“. Unter anderem bewertet der Richter die Blockade als „nicht verwerflich“, da keine Rettungswege blockiert wurden und an der Kreuzung regelmäßig mit Staus zu rechnen sei. Auch betreffe das Anliegen der Aktivistin „alle Menschen, also auch die durch die Blockade betroffenen Fahrzeugführer“.

Bestärkender Beschluss

Der Beschluss, über den zuerst die Süddeutsche Zeitung berichtete, ist ein Novum. Gewöhnlich beantragt die Staatsanwaltschaft ein schriftliches Urteil in Form eines Strafbefehls, dem die Rich­te­r:in­nen stattgeben. Erst nach Einspruch der Ak­ti­vis­t:in­nen kommt es überhaupt zu einer Verhandlung. In diesem Fall verwarf der Richter den Strafbefehl völlig. Da die Staatsanwaltschaft Beschwerde eingelegt hat, wird der Fall nun vor dem Landgericht verhandelt.

Auch zwei weitere Berliner Rich­te­r:in­nen sollen Strafbefehle abgelehnt und auf einem Prozess bestanden haben. Ebenso vertrat in Flensburg eine Amtsrichterin die Ansicht, dass Klimaaktivismus auch Hausfriedensbruch rechtfertigen kann.

Lilly Schubert, Pressesprecherin der Letzten Generation, sagte der taz, der Beschluss „bestärke und ermutige“ sie. „Es erfordert Mut anzuerkennen, dass wir uns in einer Notstandssituation befinden.“ Für Donnerstag 10 Uhr hat die Gruppe die Bundesregierung zu einem Gespräch eingeladen – bleibt das Angebot unbeantwortet, dürften die Aktionen weitergehen. Am Mittwochmorgen kletterten Ak­ti­vis­t:in­nen auf das Brandenburger Tor und rollten ein Banner aus; auch die Straßenblockaden gingen weiter.

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