Sahra Wagenknecht: Potenzial für eine Retro-BRD-Partei

Wagenknechts Pläne muss man nicht mögen. Aber sie könnte von der linksliberalen Überheblichkeit gegenüber den vermeintlich „Abgehängten“ profitieren.

Sahra Wagenknecht vor der blauen Wand der Bundespressekonferenz

Sahra Wagnknecht bei der Pressekonferenz zur Gründung des Vereins „Bündnis Sahra Wagenknecht“ Foto: Markus Schreiber/ap

Wie entstehen eigentlich neue Parteien, und unter welchen Bedingungen werden sie dauerhaft erfolgreich? Diese Fragen sind wieder aktuell, seit Sahra Wagenknecht mit ihrer Parteigründung Ernst macht. Die Spitze ihrer Ex-Partei ist empört und verschweigt dabei, dass sie Wagenknecht noch bei der Bundestagswahl 2021 gern als Zugpferd für die Linkspartei im Wahlkampf einsetzte, obwohl der Riss damals schon deutlich war.

Erfolgreiche Parteien entstehen entlang eines neu auftauchenden gesellschaftlichen Konflikts. Ein Blick zurück: Die Grünen eta­blierten sich, weil vor über 40 Jahren keine der anderen Parteien die ökologische Frage richtig ernst nahm, und das noch zu einem Zeitpunkt, als Flüsse Kloaken glichen und Smog in Großstädten nichts Ungewöhnliches war. Die Piratenpartei hingegen verglühte ziemlich schnell, weil Digital- und Softwarethemen dann doch nicht für eine nennenswerte Zahl von WählerInnen relevant waren.

Das Zuschneiden auf eine Person – Wagenknecht – wirkt auf den ersten Blick gewagt und für Deutschland untypisch. Doch gibt es nüchtern betrachtet Potenzial für charismatische PopulistInnen, und das schon seit Langem. Gerhard Schröder stieg auf, weil er seine Popularität aus der Bevölkerung und ziemlich vielen Medien zog, aber nicht old school aus dem eigenen Parteiapparat. Aber anders als Wagenknecht konnte Schröder damit seine eigene Partei kapern.

Wagenknechts Weg von der innerparteilichen Dissidentin zur Parteigründerin ist auch ein Lehrstück in Mediendemokratie

Wie jede begnadete Populistin macht Wagenknecht Dinge größer, als sie sind, die aber einen wahren Kern haben. Wenn sie über die Latte-macchiato-mit-Hafermilch-Fraktion in Berlin-Mitte lästert, spricht sie den Bevölkerungsteil an, der auf dem Dorf oder in der Kleinstadt lebt, in einem klassischen Job in der Industrie oder in der Verwaltung arbeitet oder einen Handwerksbetrieb besitzt, einen Diesel fährt, die neuesten informellen Sprachregeln lächerlich findet und gern nach Mallorca fliegt. Und lieber Filterkaffee mit Kaffeesahne trinkt.

Es sind diejenigen, denen die gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Entwicklungen – Ökotransformation, Globalisierung – einfach zu schnell gehen oder die sie ganz ablehnen. Das ist in der Tat ein gesellschaftlicher Konflikt.

Profitieren dürfte Wagenknecht auch von einer paternalistischen Überheblichkeit, mit der diesen Milieus begegnet wird, etwa wenn – auch linke – Medien von den „Abgehängten“ sprechen, die man „mitnehmen“ und denen man das mit der Wärmepumpe einfach noch mal genauer erklären muss. So, als wären sie kleine Kinder, die man an die Hand nimmt und die Nachhilfeunterricht brauchen.

Facharbeiter und Post-SED-Milieu

Wagenknechts Formel geht, vereinfacht gesagt, so: ein bisschen Kulturkampf plus ­Retro-BRD-Modell plus klassische Umverteilung und billiges russisches Gas. Strategisch gesehen ist das nicht blöd: Im Westen dürfte sie den Facharbeiter ansprechen, der sich früher als rechter SPD-Wähler sah; im Osten das Post-SED-Milieu, das wirtschaftspolitisch links, kulturell aber eher konservativ denkt. Deren Weltbild kann man aus guten Gründen ablehnen. Aber der Spaltungsvorwurf greift zu kurz – man nennt es Demokratie, wenn neue Parteien Stimmungslagen aufnehmen und sich zur Wahl stellen.

Wagenknechts Weg von der innerparteilichen Dissidentin zur Parteigründerin ist auch ein Lehrstück in Mediendemokratie. Die Medien haben sie erst groß gemacht: Skurril ist es, wenn in Features über Wagenknecht-Aufritte vom „großen Medienauflauf“ berichtet wird – aber der jeweilige Journalist mit seiner Präsenz ja mit zu diesem Medienauflauf beigetragen hat.

Wagenknecht war in den neunziger und nuller Jahren eine eher schüchterne, tastende Person; im Interview mit dem Journalisten Günter Gaus 2004 – im Netz zu finden – redete sie lieber nachdenklich über Hegel und den Menschen im Sozialismus, als gewagte Thesen über das Tagesgeschehen von sich zu geben.

Lieber nicht Röttgen

Heute wird sie in Talkshows für die Rolle „Streitbar und charismatisch als Kontrapunkt zu Norbert Röttgen“ gebucht. Und sie gefällt sich in der Rolle – eine klassische Wechselwirkung zwischen den Erwartungen anderer und der eigenen Lust, im Scheinwerferlicht zu stehen. Auch dadurch ist sie immer populistischer, rhetorisch härter geworden: Wenn sie die Ampel als „wahrscheinlich schlechteste Regierung“ der Bundesrepublik bezeichnet, weiß sie sicherlich selbst, dass das Quatsch ist.

Abregen und Gelassenheit sind zu empfehlen. Wenn die Wagenknecht-Partei tatsächlich Erfolg haben sollte, würde sich eine Repräsentationslücke im Parteiensystem schließen. Und sie dürfte die AfD kleiner machen – gut so. Wenn nicht, wird sich die Partei als Strohfeuer erwiesen haben. Der Lackmustest wird kommen, bei den Wahlen im nächsten Jahr.

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