Klimawandel und No Future: Die Rückkehr der Apokalypse
Aktivisten von Extinction Rebellion und der Letzten Generation erinnern an die Achtziger. „No Future“ und Klimaangst haben den gleichen Kern.
Wenn die Apokalyptiker der frühen achtziger Jahre Recht behalten hätten, würden Sie diesen Text nicht lesen. Sie säßen in einer Höhle im Voralpenland bei einem am Feuer gebratenen Stück radioaktiv verstrahlten Hirschs. Ein Atomkrieg hätte weite Teile Deutschlands unbewohnbar gemacht.
Die gute Nachricht ist: Die taz erscheint noch, Sie können diesen Artikel lesen, zustimmend nicken oder einen tadelnden Leserbrief schicken. Der schlechten Nachrichten sind zwei: 1. Der Atomkrieg war eine reale Gefahr. 2. Man muss auch heute das Schlimmste für möglich halten.
Wissenschaftler warnen seit über 50 Jahren davor, dass das Aussterben der Menschheit durch die von ihr verursachte Erderwärmung nicht ausgeschlossen sei: Erst sterben massenhaft die Arten, dann stirbt vielleicht der Mensch.
Jetzt ist aus einer abstrakten eine spürbare Gefahr geworden – und Psychologen beschreiben ein Syndrom namens Klimaangst, das sich aus einer Ohnmachtserfahrung speist: Die Fakten liegen auf dem Tisch, aber die politischen Antworten sind unzureichend. In wenigen Jahren werden Kipppunkte erreicht, an denen uneinholbare Prozesse mit katastrophalen Folgen ausgelöst werden.
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Während sich der bürgerliche Mainstream der Klimabewegung Fridays for Future nennt und so das Ziel einer weiter bestehenden Möglichkeit von Zukunft in den Blick nimmt, weisen die Namen von Bewegungen wie Letzte Generation, die vor allem in Deutschland aktiv ist, und Extinction Rebellion aus England darauf hin, dass es keine Zukunft geben wird, wenn nicht sofort ein radikaler Kurswechsel vorgenommen wird.
Wer die achtziger Jahre erlebt hat, kann auf den Gedanken kommen, dass No future wieder da ist. Als John Lydon von der Punkband Sex Pistols davon sang, dass Englands Träume keine Zukunft hätten – „there is no future in England’s dreaming“, wollte er allerdings nicht vor dem nahenden Weltende warnen, sondern der Hoffnungslosigkeit der britischen Jugend Ausdruck verleihen.
In Deutschland gedieh Lydons Parole prächtig auf dem Nährboden der German Angst, die, so sagen Historiker, in der katastrophalen Erfahrung des Dreißigjährigen Kriegs gründet. Diese Angst drückte sich nun so aus: Die Deutschen sterben aus. Der Wald stirbt. Das Essen ist vergiftet. Die Atomkraftwerke strahlen. Es droht die Vernichtung der Menschheit: Während des Kalten Kriegs war die nukleare Aufrüstung so weit fortgeschritten, dass ein tausendfacher „Overkill“ möglich wurde.
Es hätte passieren können. Wäre ein Oberstleutnant der sowjetischen Luftverteidigungsstreitkräfte namens Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow am 26. September 1983 nicht skeptisch geblieben angesichts von sieben amerikanischen, mit Nuklearsprengköpfen bestückten Interkontinentalraketen, die ihm sein System meldete: Ein Aufklärungssatellit hatte Spiegelungen in den Wolken als Zeichen eines Erstschlags interpretiert.
Die Klimakatastrophe kann nicht durch einzelne Offiziere und Staatschefs verhindert werden, indem sie nichts tun, also nicht auf den roten Knopf drücken. Heute ist vielmehr kollektives, schnelles Handeln nötig.
Was die Zukunftsangst von 1980 und die Klimaangst von 2022 aber gemein haben, ist ihr apokalyptischer Kern. Das apokalyptische Denken speist sich zwar aus Erfahrungen und Wissen, aber eben auch aus Stimmungen, ideologisch geprägten Annahmen, aus verdrängten Aggressionen – und dem Wunsch nach Erlösung.
Wenn sich jugendliche Aktivisten gegen die ihrer Ansicht nach bloße Verwaltung der Klimakatastrophe wehren und sich als „Letzte Generation“ bezeichnen, wenn Extinction Rebellion gegen die „Auslöschung“ rebelliert, dann steckt darin eine apokalyptische Prophezeiung.
In seinem Klassiker „The Pursuit of the Millennium“ von 1957 schweift der amerikanische Historiker Norman Cohn durch die Jahrhunderte, um die wiederkehrenden messianischen Bewegungen in der abendländischen Geschichte zu beschreiben. Seit jüdische Propheten zum ersten Mal das baldige Nahen der Endzeit und die rettende Ankunft des Gesalbten verkündeten, griffen immer dann Erlösungsfantasien um sich, wenn die Angst vor dem Morgen am größten war.
Cohn zeigt, wie die apokalyptischen Bewegungen des Mittelalters von den Heilserwartungen der Mittellosen und Randständigen befeuert wurden und häufig in Kreuzzügen und Pogromen endeten, denen die vermeintlichen Feinde des Gottesreichs zum Opfer fielen – seien es die Juden von Worms oder die Muslime in Jerusalem. Wenn ein Papst dem Plündern und Morden Einhalt zu gebieten versuchte, wurde er von den wandernden Volkspredigern als der Antichrist diffamiert.
Wenn heute Extinction Rebellion und Letzte Generation die Regierung als verbrecherisch, mörderisch und ausbeuterisch bezeichnen, ist es nicht ganz verwunderlich, dass konservative Kommentatoren bereits eine „grüne RAF“ am Horizont wähnen. Beide Bewegungen halten Sachbeschädigungen und zivilen Ungehorsam für legitim, derzeit beschränken sich ihre Aktionen auf das Blockieren von Autobahnen, das Abdrehen von Ölpipelines und das Grünfärben von Brunnen.
In ihren Videobotschaften lässt sich ein protestantischer Tonfall aber genauso wenig überhören wie die Gewissheit, im Besitz einer Wahrheit zu sein, die anderen verschlossen ist. Die Münchner Punkband Marionetz beschrieb die nahende Apokalypse einst dagegen so: „Lebe in einer rosa Welt. Spiele hier und habe fast kein Geld. Warte auf das Ding, das auf Deutschland fällt, und sonst nichts.“ Dazu spielten sie eine muntere Melodie. Ihre Idee von No future wusste noch vom Klassenbewusstsein John Lydons und verstand Humor als Ausdruck von Resilienz.
Die bürgerliche Gesellschaft und die von ihr angestoßene Industrialisierung haben eine Welt voller Widersprüche hervorgebracht. Einerseits ist der Lebensstandard vieler Menschen weltweit seit 200 Jahren ständig gestiegen, andererseits lassen die Folgen dieser Entwicklung den Fortbestand unserer Zivilisation fraglich werden. Dass Letzteres junge Leute auf die Idee bringt, radikale Mittel seien geboten, ist nicht überraschend.
Die Reaktionen auf die real drohende Gefahr erzählen uns aber mitunter mehr über die Verängstigten als über den Anlass, der ihre Angst erzeugt. Die Psychoanalyse beschreibt das Phänomen als Projektion.
Was den radikalen Aktivisten von heute die kriminelle Regierung und die verbrecherischen Manager von Energiekonzernen sind, waren den Friedensbewegten der Achtziger „die Amis“, personifiziert durch den Oberschurken Ronald Reagan. Im Sommer 1982 versuchte sich der deutsche Schamane Joseph Beuys als Popsänger und dichtete: „Aus dem Land, das sich selbst zerstört und uns den ‚way of life‘ diktiert, da kommt Reagan und bringt Waffen und Tod. Und hört er Frieden, sieht er rot. Er sagt als Präsident von USA: Atomkrieg? Ja bitte, dort und da. Ob Polen, Mittlerer Osten, Nicaragua, er will den Endsieg, das ist doch klar. Doch wir wollen Sonne statt Reagan. Ohne Rüstung leben!“
Nicht Beuys, der sich 1941 zur Luftwaffe gemeldet hat und als Funker in einem Sturzkampfbomber diente, hat also für den Endsieg gekämpft, sondern Ronald Reagan hat ihn im Sinn: Der plant einen globalen Atomkrieg.
Echos dieser Projektion kann man heute hören, wenn der Brite Roger Hallam, Mitgründer von Extinction Rebellion, erklärt, der Klimawandel sei nur das „Rohr, durch das Gas in die Gaskammer fließt, der Mechanismus, durch den eine Generation eine andere tötet“. Die Klimakatastrophe als Ergebnis der modernen kapitalistischen Gesellschaft und ihres exzessiven Ressourcenverbrauchs wird hier zum tödlichen Generationskonflikt simplifiziert, während die Jungen, die sich ihrer „Ausrottung“ widersetzen, nonchalant zu den Juden von heute erklärt werden. Dass er Personen verantwortlich macht, wo es ein komplexes System zu ändern gälte, entgeht Hallam. Er reproduziert nur das neoliberale Weltbild, laut dem es Gesellschaft gar nicht gibt, sondern nur einzelne Menschen und die um sie herum gruppierte heilige Familie.
Wenn Themen wie Überbevölkerung, Raubbau an der Natur und Umweltverschmutzung die öffentliche Diskussion bestimmen, dann habe sich der Gegner verwandelt, meinte vor gut vierzig Jahren Wolfgang Pohrt: Nicht das falsche gesellschaftliche Verhältnis der Menschen, der Mensch selbst erscheint dann als Feind. Pohrt war in den Achtzigern der schärfste Kritiker der Friedensbewegung, deren nationalistische Tendenzen er kritisierte. Zugleich arbeitete er die antihumanistischen Neigungen eines radikalen Ökologismus heraus.
Das Verhältnis des apokalyptischen Denkens zur gesellschaftlichen Wirklichkeit interpretierte Pohrt so: In der Tat sei die Frage vernünftig, „ob eine Welt, in welcher die Mehrheit der Bevölkerung keine Möglichkeit hat, wenigstens ihren grimmigsten Hunger zu stillen, während eine große Minderheit verbissen gegen das eigene Fett kämpft, es verdient zu existieren. Erst dieser berechtigte Zweifel, ob es für die vorhandene Welt nicht besser wäre, wenn sie spurlos verschwände, macht die technische Möglichkeit atomarer Vernichtung zur apokalyptischen Vision.“
In der jüdisch-christlichen Tradition der Apokalypse folgt dem Ende der Tage eine neue Welt. In ihr liegen Wolf und Schaf friedlich nebeneinander auf der Wiese.
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