Was 2024 passieren muss: Machen statt Meckern
2023 war kein gutes Jahr. Politik und Gesellschaft stecken in einer Sackgasse. Wie kommen wir da wieder raus? Ein Plädoyer.
Wie kann man über die Zukunft schreiben, ohne dass es in eine geile Apokalypse, eine sinnlose Moralpredigt oder eine gutgemeinte, aber unrealistische Alles-wird-gut-Fantasie abgleitet?
Und wie kann man glasklar sagen, was Sache ist?
Hören Sie im Bundestalk, dem politischen Podcast der taz, einen Rückblick auf 2023 in 5 Thesen: taz.de/bundestalk
Gar nicht. Alles ist kompliziert und ambivalent, leider. Es bringt gar nichts, zu entdifferenzieren und wieder das alte (Wir sind gut, die anderen böse) Spiel zu spielen. Schlimmer: Es ist sogar kontraproduktiv. Andererseits bringt es aber auch nichts, die Augen zuzumachen, sagen wir, vor den imperialen Interessen Russlands, wie es die SPD jahrelang praktizierte, und zu denken, man könne mit Wandelhandel best friends mit allen werden – oder gar religiös-totalitäre Staaten mit feministischer Außenpolitik bekehren wie manche Grüne.
Auf der einen Seite gibt es zunehmend Leute, die Zukunft für ein Schimpfwort und eine Zumutung halten, nichts damit zu tun haben wollen und vor allem nicht, dass jemand aktiv Zukunftspolitik macht. Sie denken, wenn wir nichts aktiv ändern, dann ändert sich auch nichts, bisschen mehr umverteilen halt. Eigentlich wissen sie, dass es so nicht läuft, aber wie Menschen halt sind, machen wir lieber die Augen zu als auf. Dahinter steht die stärker werdende Erzählung des „nostalgischen Nationalismus“. Was zählt, ist der eigene Schrebergarten. Es gibt sie in unterschiedlichen Ausprägungen, milder und heftiger, linker und rechter, staatsnäher und staatsferner. Ironischerweise sind gerade Turboliberale überzeugt, dass alles den Bach runtergeht, wenn sich was ändert.
Vor allem die Bewahrung der planetarischen Grundlagen ist schlecht angesehen und wird von populistischer Politik diffamiert: Ha’m wa doch noch nie gemacht! Nicht nur AfD, sondern auch CDU, CSU, SPD, FDP und Wagenknecht stellen einen weitgehend bewohnbaren Planeten gern als ideologiegetriebenen Elitismus von akademischen Schnöselinnen und Schnöseln hin, die damit nicht den Wohlstand durch postfossile Produkte und Produktion erhalten, sondern den tollen Verbrennungsmotor und im Grunde die ganze Industrie zerstören wollen. Die Bratwurst nicht zu vergessen.
Schöner wär’s, wenn’s schöner wär’
Auf der anderen Seite gibt es Leute, die einfach immer weiter daherreden, dass Frieden doch besser sei als Krieg, keine Waffen besser als Waffen, und dass wir das 1,5-Grad-Ziel schaffen, wo wir faktisch eine globale Politik machen, die auf das 3-Grad-Ziel hinwirtschaftet. Schöner wär’s, wenn’s schöner wär’, klaro.
Es reicht aber nicht, einfach immer ambitioniertere Zahlen auf Papiere zu schreiben, solange wir das Gesagte und Geschriebene nicht ausreichend machen, also zügig und komplett von fossiler auf erneuerbare Energie umsteigen. Beispiel aus dem zu Ende gehenden Jahr: Wenn die Emissionen im Gebäudebereich sinken sollen, was sie laut Pariser Abkommen müssen, dann muss man anders heizen, nämlich fossilfrei, und darf nicht neue Öl- und Gasheizungen einbauen.
Jetzt wird man sagen: Genau, aber dass das nicht passiert, liegt ja nicht an unsereins, sondern an den anderen. Oder an einem angeblich vermurksten Gesetz. Das muss man halt richtig machen und sozial und richtig kommunizieren, dann klappt das auch. Ja, kann sein. Aber im Moment kann niemand, nicht mal Robert Habeck, so sprechen, dass die Zukunftserzählung den nostalgischen Nationalismus schlagen könnte. Und die „soziale Frage“ ist selbstverständlich zentral für demokratiestabilisierende Veränderung. Aber sie ist eben gleichzeitig auch eine perfide Chiffre, die jeder Lobby-Hanswurst verwendet, wenn es etwas zu verhindern gibt, aber leider nicht zum Wohl der alleinerziehenden Supermarktverkäuferin, sondern im Sinne der fossilen Besitzstandswahrer.
Menschen mit konservativen Bedürfnissen
Kulturlinke und Linksemanzipatorische rufen gern, die Gesellschaft drifte nach rechts, und nazifizieren fleißig alle, die nicht wie sie sprechen und denken. Liberalkonservative wähnen sich in einem linksautoritären Staat (sic!) und halten alles für „links“, was ihnen nicht passt, vom Gendern bis zum postfossilen Wirtschaften. Ich dagegen denke, dass wir in einer recht stabilen Demokratie leben. Aber es fehlt das Commitment auf ein gemeinsames Ziel, durch dessen Erreichen jeder in einer liberal-emanzipatorischen Gesellschaft seine Idiosynkrasien auch in Zukunft pflegen kann.
Die überwiegende Mehrheit der Leute hat konservative Bedürfnisse, um im Alltag klarzukommen und Halt zu spüren. Das gilt für Union, SPD und Rest-Linkspartei sowieso, aber eben auch für die, die mittlerweile entschlossen die postfossile Republik voranbringen wollen. Diese Leute entsprechen überwiegend nicht den Ressentiment-Schablonen der Gegner oder den Träumen der Alt- und Neolinken. Sie sind weder antikapitalistisch noch superwoke, sie schätzen und stützen die gesellschaftliche Liberalisierung der letzten Jahrzehnte, sie brauchen Sicherheit und Perspektive, ordentliche Kitas für ihre Kinder, eines Tages Pflege für ihre Eltern und sich selbst. Auf dem Land ein E-Auto und – je nachdem – auch mal eine Bratwurst. Sie finden Deutschland okay, im Vergleich mit anderen Staaten und Zeiten sowieso. Und sie wissen, dass sie mit anderen auskommen müssen, die manches anders sehen.
Das sind die normalen Leute, mit denen Staat zu machen ist.
Nun wird es für sie – für uns – darum gehen, dagegenzuhalten, wenn die Aufregungszuständigen im kommenden Jahr hyperventilieren (was sie auf jeden Fall tun werden). Für uns Medien wird das eine echte Herausforderung, denn wir leben ja von der Verbreitung des Negativen und der negativen Emotionen. Für die Protagonisten der oppositionellen Union wird es ein Balanceakt, denn irgendwo ist der Punkt, wo populistisch überzogenes Schlechtreden antidemokratische Wirkungen hat, etwa wenn man umstrittene, aber handelsübliche Gesetzesreformen zur Staatskrise und Ökodiktatur hochjazzt.
Ständig in Sorge
Es wird nichts mehr, wie es war, und es wird – erst mal – immer noch ein neues Problem dazukommen. Das ist das neue Normal, und auf dieser Grundlage müssen wir etwas hinkriegen. Pandemie, Putin, AfD, Israel/Hamas/Gaza, Bundesverfassungsgericht. Man plant was – und dann kommt was dazwischen. Man plant um – und dann kommt der nächste Hammer. Die Zerrissenheit der Bundesregierung ist selbstredend ein großes Problem, aber sie drückt aus, dass die bundesdeutsche Gesellschaft keine gemeinsamen Ziele hat und zu viele ständig in Sorge sind, dass sie oder ihr Stamm zu kurz kommen.
Wenn wir auf das deutsche Wahljahr 2024 schauen, dann sollten liberaldemokratische Politik und Medien vorher einen Plan entwickeln, wie wir mit Wahlsiegen der AfD umgehen. Wir sollten nicht nur schön warnen, dann „fassungslos“ sein (das neue Modewort) und die üblichen „Oh Gott, Weimar reloaded“-Kommentare absetzen und „antifaschistische“ Demos besuchen. Selbstverständlich sind Landesregierungen ohne Demokratiefeinde wichtig, aber wichtiger ist die EU-Wahl im Mai, wenn der Green Deal und damit die Zukunft Europas auf dem Spiel steht. Es geht darum, ob EU-Präsidentin Ursula von der Leyen von europäischen Rechtspopulisten und nationalen CDU-Strategie-Erwägungen gelähmt oder ob sie gar geschasst wird – oder ob es eine mehrheitliche Grundlage dafür gibt, in der nächsten Legislatur ernsthaft eine Antwort auf Präsident Bidens Inflation Reduction Act und Chinas breiten Vormarsch zu finden, der uns Europäer im Geschäft hält (im Sinne des Wortes).
Weil wir Bundesdeutsche in aller historisch gebotenen Zurückhaltung schon zum selbstbezogenen Superlativ neigen, wird aus einer schwierigen Lage flugs eine katastrophale. Na ja. Diverse Fortschritte setzen sich fort, technologische, vor allem auch medizinische. Menschen leben besser, länger und länger bei ordentlicher Gesundheit. Historisch und global gesehen, ist diese Bundesrepublik (Freiheit, Emanzipation, Wohlstand) nach wie vor mit die Beste aller bisherigen Welten. Es geht halt nur nicht mehr so weiter wie bisher. Deshalb braucht es gemeinsame Ziele und eine neue, durch große gesellschaftliche Bündnisse ermöglichte Art des Politikmachens – Betonung auf Machen.
Yogamatte reicht nicht
Im Moment sind wir noch in einer Phase der Verwirrung. Wir haben einen gesamtgesellschaftlich lähmenden Pessimismus, einen teilgesellschaftlichen Nihilismus, einen gelähmten und damit nichtsnutzigen Optimismus, der von einer schöneren Welt träumt, und wir brauchen Mehrheiten für einen knallharten und gleichzeitig empathischen Realismus, der uns handlungsfähig macht und unsere Ziele durchsetzungsfähig.
Mit Yogamatten wird unsere Freiheit nicht zu verteidigen sein, um mal einen weisen Spruch des Bundesministers Cem Özdemir zu paraphrasieren. Schon gar nicht, wenn Trump wieder Präsident wird. Wir brauchen Solarpaneele, Solarpaneel-Installateure, funktionierende Pflegesysteme, Pflegekräfte, weltweit konkurrenzfähige Elektroautos und im diplomatisch-militärischen Bereich eine europäische Verteidigung und Abschreckung. Es tut mir leid, aber wir müssen wieder über Atom diskutieren.
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