piwik no script img

Forensische Psychiaterin zum Anschlag„Terroristen sind meist nicht krank“

Der Attentäter von Hanau war psychisch krank, sagt die Psychiaterin Nahlah Saimeh. Dennoch habe seine Tat ein klar rechtsextremes Narrativ.

Nahlah Saimeh Foto: Kay Michalak
Sabine am Orde
Interview von Sabine am Orde

taz: Frau Saimeh, der mutmaßliche Täter von Hanau scheint von rechtsextremer Ideologie, von Rassismus getrieben gewesen zu sein – und gleichzeitig eine schwere psychische Störung gehabt zu haben. Was bedeutet das?

Nahlah Saimah: Wenn man sich das Video und auch seine Schrift anschaut, mischen sich mehrere Auffälligkeiten: Einerseits das Narrativ rechtsextremer Ideologie und Verschwörungstheorien. Hinzu kommen Hinweise auf eine schwere psychotische Erkrankung, wahrscheinlich eine paranoid-halluzinatorische Schizophrenie mit sehr bizarren Wahninhalten und akustischen Halluzinationen, auch eine sehr deutliche narzisstische Überhöhung der eigenen Person.

War die Tat also Wahn oder Terrorismus?

Anders als in vielen anderen Fällen, wo auch darüber gesprochen wird, ist hier ziemlich klar: Der Mann war krank. Es ist eine Gewalttat im öffentlichen Raum eines schwer psychisch Kranken mit einem politischen Motiv.

Im Interview: Nahlah Saimeh

54, ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. 15 Jahre lang leitete sie das LWL-Zentrums für Forensische Psychiatrie Lippstadt. Seit 2017 ist sie als forensische Gutachterin selbständig. Sie ist Dozentin und Autorin diverser Bücher.

Es wird oft gesagt, die Grenze zwischen Wahn und Terror sei fließend. Kann man das klar unterscheiden?

Es ist sicherlich falsch, extremistische Überzeugungen per se als wahnhaft zu definieren. Aber die Übergänge können fließend sein.

Was he ißt das?

Extremistische Gewalttäter ohne eine Psychose haben, anders als der Mann aus Hanau, nicht das Gefühl, dass sie überwacht werden, dass Stimmen zu ihnen sprechen und reden auch nicht über Zeitreisen. Sondern sie haben eine politische Überzeugung, die an eine persönlichen Bedürfnisstruktur anknüpft. Diese wird auf Gesellschaft und Politik projiziert. Aber das ist kein Wahn. Es gibt natürlich auch Gruppierungen, denen die Fähigkeit zur Wahrnehmung von Fakten abhanden gekommen zu sein scheint. In dem Hanauer Fall ist es so, dass der Mann wahnhafte Vorstellungen und Muster einer schweren narzisstischen Persönlichkeitsstörung mit einem rechsextremistischen Narrativ verknüpft und daraus ein Sendungsbewusstsein abgeleitet hat.

Kann man sagen, was zuerst da ist? Der Wahn – und dieser sucht sich eine Ideologie? Oder ist diese zuerst da? Und ist das überhaupt wichtig?

Das kann man nach jetzigem Kenntnisstand nicht sagen. Es kann sein, dass dieser Mann aufgrund seiner narzisstischen Persönlichkeitsstruktur für Rechtsextremismus anfällig war, es kann auch sein, dass er durch die Erkrankung aus dem bürgerlichen Leben gerissen wurde. Dazu braucht man viel mehr Hintergrundinformationen, auch zum Beispiel über psychiatrische Vorbehandlungen.

Birgt die Pathologisierung von Terroranschlägen und Gewalttaten nicht die Gefahr, dass Rassismus und Terrorismus verharmlost werden?

Völlig richtig. Terror hat erst einmal gar nichts mit Psychiatrie zu tun und Terroristen sind im Regelfall nicht psychisch krank. Sonst könnten sie die manchmal durchaus komplexen Anschläge auch gar nicht verüben. Diese Täter haben vielleicht eine schwierige Persönlichkeit, aber das sind keine psychischen Erkrankungen. Die Attentäter von 9/11 zum Beispiel waren nicht krank, auch wenn man in dem Testament von Mohamed Atta zum Beispiel sieht, dass der Mann schwere persönliche Probleme hatte. Bei Anders Breivik streiten sich die Gutachter, ob er krank ist. Täter mit einer psychischen Erkrankung sind eine kleine Gruppe, die meist zurückgezogen ist und sich oft selbst radikalisiert. In diesem konkreten Fall dieses Täters aber muss man feststellen: Der Mann war faktisch psychisch in einer sehr komplexen Weise schwer gestört.

Welche Rolle spielt die Männlichkeit? Der Mann aus Hanau, hatte keine Frau, es gibt Hinweise in Richtung Incel-Bewegung.

Männer, die sich radikalisieren, haben häufig Probleme mit Frauen, sie sind häufig misogyn. In diesem Fall hier wünschte sich der Täter eine Partnerin, aber einerseits stand ihm der Narzissmus im Wege und seine Äußerungen zeigen, dass er von einer Partnerin die Idee eines optimalen Objektes, eines tadellosen Produktes hatte. Zum anderen wird deutlich, dass der Verfolgungs- und Beobachtungswahn dazu geführt hat, dass er Intimität gar nicht leben konnte. Ein tragischer Fall. Aber das ist natürlich nicht der Grund, in Shisha-Bars Leute niederzuschießen.

Der Mann soll auch seine Mutter getötet haben, bevor er sich selbst erschoss. Wie deuten Sie das?

Das könnte ein erweiterter Suizid sein, nach dem Motto: Die Welt ist schlecht und ich kann meine Mutter nicht alleine zurücklassen. Auch das wäre ein psychotisches Motiv.

Laut einer Europol-Studie liegt bei 35 Prozent der alleine agierenden Attentäter zwischen 2000 und 2015 eine psychische Erkrankung vor. Was kann man dagegen tun?

Das ist schwierig, weil solche Leute oft die Fassade aufrecht erhalten und nicht auffallen. Der Mann aus Hanau, wie er da in seinem Video sitzt, der fällt im Supermarkt an der Kasse ja nicht auf, der benimmt sich ordentlich. Der läuft also möglicherweise unter dem Radar. Wenn man Leute mit Psychosen und wahnhaften Störungen in der Psychiatrie hat, dann muss man genau schauen, welches destruktive Potential kündigt sich an, welchen gesellschaftlichen Bezug gibt es, welche Themen werden berührt, wie groß ist das Sendungsbewusstsein?

Und was dann?

Dann muss man sie engmaschig anbinden, da muss man nachfragen, da darf man sich nicht zu fein sein. Und wenn eine Gewalttat droht, ist die Schweigepflicht ja aufgehoben. Und man muss die Allgemeinpsychologen in Sachen Radikalisierung dringend schulen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

57 Kommentare

 / 
  • Vielen Dank für diesen informativen Beitrag. Eine schwere psychische Störung wie hier, die durch die schwere psychische Störung unserer Gesellschaft vermutlich erst ihren tödlichen Ausdruck fand.



    Bei der Behandlung von Menschen, die buchstäblich von bösen Geistern besessen sind (Tobias X. soll schon als Kind "Stimmen gehört" haben), wirds schwieriger. Diese Stimmen mit Tabletten zum Schweigen zu bringen, schaltet leider meist auch regeneratives Potential aus, hätte aber diese Eruption verhindert.



    Als Therapeut bin ich einigen Patienten begegnet, denen bei solch schweren Störungen geholfen wurde. Und zwar mt traditioneller Medizin und Geistheilung (spiritual healing). Einige von ihnen sind komplett geheilt worden.



    Dieses Wissen und kompetente, erfahrene Heiler sind aber oft nur schwer zugänglich (in bestimmten Ländern, u.a. Afrika, Indien, Mexiko ist man da weiter). Auch ältere Methoden der chinesischen Akupunktur können helfen (die Punktekombination der "sieben Drachen" zur Ausschaltung der "sieben Teufel").



    In jedem Fall aber schützt gegen das Böse nur große Liebe, und gegen die Dunkelheit das Licht. Solidarität gegen Vereinzelung.

    • @Ataraxia:

      "Bei der Behandlung von Menschen, die buchstäblich von bösen Geistern besessen sind (...); Spiritual Healing; (...) Ausschaltung der sieben Teufel (...)" (Rhythm&Blues)



      STOP ! Das Problem, das sich hier stellt, haben Sie nicht mal ansatzweise begriffen. Es ist auch viel zu ernst als dass Sie hier Ihre esoterische Spielwiese aufmachen dürften.



      Bloß weil der Begriff "Therapeut" hierzulande eine ungeschützte Bezeichnung ist, bloß weil sich bei uns jeder ein buntes "Therapeut"-Schild ungestraft an die Haustüre nageln darf, heißt das noch lange nicht dass es ratsam ist sich in Verkennung eigener Fähigkeiten an kranken Menschen zu vergreifen. Man sollte schon auch wissen wann so ein Kasperltheater gefährlich wird.

      • @LittleRedRooster:

        Haben Sie sich schon mal länger in China, Indien oder Sri Lanka aufgehalten? Dann wissen Sie, dass die Sprache gerade in der traditionellen Medizin dort etwas blumig daherkommt. Natürlich gibt es Sekten und manipulative Formen des Eingriffs, gerade unter fundamentalistischen Gruppierungen, und da muss man aufpassen. Aber die spirituellen Healer meiner Erfahrungswelt gehören nicht dazu. Erst recht nicht Ethnologie und traditionelle Medizin, die mit deutscher Wald- und Wiesenesoterik nichts zu tun haben. Ich wollte hier keinen längeren Vortrag über Punktekombinationen halten, sondern nur jene, die mangels Alternativen verzweifelt sind, auf solche hinweisen.



        Auch Ihnen ist es vermutlich nicht egal, wenn Leute an der erst etwa 150 Jahre alten neueren westlichen Medizin zugrunde gehen, die allzu oft die Leute mit Psychopharmaka vollpumpt. Bei Privatpatienten ist es hierzulande üblich, sie zu schröpfen, indem man ihnen teure, überflüssige Diagnosen in möglichst kurzen Abständen zumutet. Unter den deutschen Barbaren wurde noch Aderlass betrieben, als die chinesische Medizin schon seit tausenden von Jahren sanfte Formen der Intervention praktizierte. Eine Medizin, die sich nicht über viertausend Jahre gehalten hätte, lange vor dem Entstehen des Daoismus, wenn sie sich als unwirksam erwiesen hätte.



        Ich kenne eine ganze Reihe von Menschen, die ohne diesen klassischen Ansatz längst gestorben wären.

  • Ich empfinde es als Betroffene von einer psychischen Erkrankung, sehr schwierig wie die Presse mit solchen Aussagen wie "Täter war psychisch krank" umgeht. Ich würde es lieber sehen wenn es hieße "Täter war Psychopath". Ersteres führt zwangsläufig zu einer Stigmatisierung, die generell, entgegen der Aussagen von Behörden, für die heutige Zeit noch erschreckend hoch ist, ebenso wie das Unwissen der Nichtbetroffenen.

    Wenn man einem Durchschnittsmenschen erzählt man ist psychisch krank, denken diese zuerst an Gummizelle, zwangsjacken und jemanden der sich für Napoleon hält, weil psychisch kranke eben besonders in Filmen, teils sogar Kindercartoons so dargestellt werden. (abgesehen von Depression, welche jedoch immer mehr zu einer Art Modekrankheit verkommt). Klinikpersonal in geschlossenen psychiatrischen Abteilungen wird vor lauter Überforderung und teils inkompeten Personal gewalttätig gegen die Patienten. Es gibt große Missstände in der Versorgung psychisch Kranker, dank Jens Spahn und seinen Vorgängern. Fazit: Ich halte es für wichtig dass zwischen psychisch Kranken und Psychopathen unterschieden wird und die Gesellschaft vllt etwas weniger Angst schürt und etwas mehr aufklärt.

    • @Ian Moone:

      Der Täter war aber offenbar kein Psychopath, sondern psychisch krank (Psychopathen sind /nicht/ psychotisch). Wenn Sie nicht wissen, was man unter Psychopathie versteht, schlagen Sie es doch bitte auf Wikipedia nach.



      Soll die Presse die Unwahrheit schreiben, weil Sie es "lieber sehen"?

    • @Ian Moone:

      " Ich halte es für wichtig dass zwischen psychisch Kranken und Psychopathen unterschieden wird (...)" (Ian Moore)



      Dass Sie als " Betroffener von einer psychischen Erkrankung" (wie Sie schreiben) das Bedürfnis haben sich von gewalttätigen psychisch Erkrankten distanzieren wollen ist mehr als verständlich. Allerdings haben Sie das eigentlich gar nicht nötig, weil ja wohl ohnehin unbestritten ist, dass der Begriff "psychische Krankheit" lediglich ein Oberbegriff ist, der absolut nichts über eine Fremd-oder Eigengefährdung aussagt. Das gleiche gilt allerdings auch für den Begriff "Psychopath".



      Dass Hollywood in der Regel wenig bis gar nichts dazu beiträgt eine realistische Sichtweise auf psychische Erkrankungen zu generieren das liegt auf der Hand. Allerdings ist es auch nicht deren Absicht das zu tun. Kintop lebt von der Sensation, vom Grusel, von absichtlich erzeugten Ängsten und der Unterhaltung des Publikums - und bedient sich dabei zu gerne einer völlig unrealistischen Überzeichnung und Verzerrung bei der Darstellung von psychischen Erkrankungen. Dem Publikum wiederum obliegt die Aufgabe sich dabei bewußt zu sein dass der Bildschirm kein Fenster zur Realität der Welt ist. Dabei versagt allerdings so manche/r.



      Übrigens: Der "Napoleon" in der Psychiatrie gehört einer längst versunkenen Welt an. Es gibt ihn schon lange nicht mehr. Schizophrenie sucht sich immer zeitgemäße Zerrbilder und Wahnvorstellungen.



      Allerdings produzieren Sie hier selbst auch eine Menge Zerrbilder von einem vermeintlichen Klinikalltag den es so in der Regel gar nicht gibt.



      Und: Eine Depression als "Modekrankheit" zu bezeichnen... also das ist schon ein ganz schöner Hammer! Darüber sollten Sie auch nochmal in Ruhe nachdenken.

  • "Birgt die Pathologisierung von Terroranschlägen und Gewalttaten nicht die Gefahr, dass Rassismus und Terrorismus verharmlost werden?"



    Vor Allem leistet es der Stigmatisierung psychisch Erkrankter ebenso Vorschub wie der Versicherheitlichung des Zwangspsychiatrie-Diskurses vor dem Hintergrund präventiver Erwägungen. Dabei geht dabei leider allzu schnell unter wie problematisch die - leider mitunter unvermeidliche - Praxis der forensischen Psychiatrie nicht nur aus humanistischer, sondern auch aus rechtlich-normativer Sicht ist, da sie weder als Strafe, noch zeitlich befristet konzipiert ist, sondern erst dann endet wenn sich Gutachter trauen auch für die letzten paar Promille Restrisiko Verantwortung zu übernehmen.



    Die Ereignisse von Hanau sind eine furchtbare Tragödie und den Opfern gilt jegliches Mitgefühl. Die permanente Möglichkeit einer solchen Tragödie ist aber in einer freien Gesellschaft unvermeidbar. Absolute Sicherheit wird es nur unter der Bedingung eines Isolationstraktes mit 80 Mio. Einzelzellen geben.

  • Gutes Interview, liebe taz.



    Im Spiegel wird dagegen gerade die Kanzlerin dafür gelobt, dass sie die schwere psychiatrische Störung des Täters gar nicht erwähnt...

    www.spiegel.de/pol...-bdfa-d0b124f90c65

  • Die Interviews mit Frau Saimeh sind eine echte Bereicherung.

  • Wie kann ein seriöser Psychologe ohne persönlichen Kontakt so schnell eine so detaillierte Diagnose stellen? Die Fachwelt warnt immer vor so etwas. So zeigt sie sich bei einem so schwerwiegenden Fall als eine nicht kompetente Person.

    Soschlimm der Fall ist, darf er nicht dazu führen, dass Grundregeln eines medizinischen Fachgebiets ignoriert werden!

    • @fvaderno:

      Blasen Sie sich nicht so auf.

      Die Dame ist erstens keine Psychologin (obwohl sie vielleicht eine Qualifikation als Psychotherapeutin hat), sondern Psychiater, also Arzt.



      Faustregel: Psychologen behandeln Neurosen, Psychiater Psychosen.

      Zweitens sind die hinterlassenen Selbstzeugnisse durchaus hinreichend für begründete Vermutungen. Paranoide Schizophrenie liegt für einen Psychiater bei den geschilderten Symptomen gewissermaßen auf der Hand.

      Und drittens, wie LittleRedRooster schon sagte, Tote sind der psychiatrischen Evaluation im Allgemeinen wenig zugänglich.

    • @fvaderno:

      "Wie kann ein seriöser Psychologe ohne persönlichen Kontakt so schnell eine so detaillierte Diagnose stellen?" (Fvaderno)



      Wie kommen Sie auf die Idee dass dieses Interview eine Diagnose wäre? Und wie stellen Sie sich eigentlich eine psychiatrische Diagnostik an einer Leiche vor?

  • So ein Unsinn, alles wissen, dass Einzeltäter meist traumatisiert sind.

  • Jemand, der so viele Leute einfach umbringt, kann icht normal sein. Da brauche ich kein Psychologen für.

    • @Thomas Schöffel:

      Römer und Germanen haben das immer völlig anders gesehen, aber damals gab's ja auch noch keine Psychologen.

      • @Rainer B.:

        Ja, das stimmt wohl. Was muß das für eine Gesellschaft gewesen sein, wo der Obermotz einfach gesagt hat: Bringt den und den um und das wurde gemacht und keiner hat sich auch nur für eine Minute darüber einen Kopf gemacht.

        • @Thomas Schöffel:

          Nun - das war eine ganz „normale“ Gesellschaft, wie viele andere davor und danach ja auch.

          • @Rainer B.:

            und wie unsere Gesellschaft auch, oder sieht das jemand anders wenn ein Land Soldaten in den Krieg schickt, um diesen vollkommen unbekannten Menschen in welchem Namen auch immer umbringt?

    • @Thomas Schöffel:

      Das würde bedeuten, dass Soldaten, Bomberpiloten oder Kriegsverbrecher grundsätzlich krank sind. Tatsächlich zeigen doch gerade Kriege, dass die zivilisatorische Grenze, die uns vom Massenmord trennt, recht leicht und bereitwillig überwunden wird. Wenn wir alle, die diese Grenze überschreiten, als krank ansehen, sprechen wir ihnen die Schuldfähigkeit ab und entlassen sie aus der Verantwortung ihrer Handlungen. Niedertracht ist keine Krankheit.

      • @Kolyma:

        "Das würde bedeuten, dass Soldaten, Bomberpiloten oder Kriegsverbrecher grundsätzlich krank sind." (Kolyma)



        Ich glaube nicht dass man den Wahnsinn eines Krieges ohne mehr oder weniger ernsthaften Schaden an Leib und Psyche überstehen kann. Dazu sind wir Menschen gar nicht in der Lage. Wenn rundum die ganze Welt in Scherben geht, wenn es eigentlich nur noch ums nackte Überleben geht... Da bräuchte man schon ein sehr trockenes Plätzchen irgendwo ganz hinten in der Etappe.



        Haben wir den Zustand der Generationen unserer Väter und Großväter schon vergessen?



        Und: es geht gar nicht um "Schuldfähigkeit" und auch nicht um ein "entlassen aus der Verantwortung", sondern um eine möglichst realistische Einschätzung dessen was passiert ist. Und da müssen vorerst mal gewisse Sühnebedürfnisse zurück stehen.



        Aber generell: Ein Vergleichen von Äpfeln und Birnen ist auch hier wenig hilfreich. Wir sind nicht im Kriegszustand - auch wenn das manche gerne möchten.

      • @Kolyma:

        Bomberpiloten waren sicher fast nie niederträchtig. Die alliierten waren junge Militärflieger, die Befehle ausführen mussten, unter denen sie im Krieg und auch später oft seelisch zu leiden hatten, und nach dem Krieg in schamhaftes Schweigen gehüllt. In der Momentaufnahme hatten sie Flugzeuge über die nächtliche Nordsee und durch Flak und Jäger zu fliegen, während ihre Eltern um ihre gesunde Heimkehr beteten. Hoffen wir, dass wir nie Befehle zu Dingen bekommen, die wir von allein nie tun würden.

  • Die geschätzte Frau Saimeh meldet sich früh in der Sache zu Wort. Gut, weil nicht der AfD das Thema psychische Krankheit als Ursache überlassen werden darf. Schlecht, weil ihre Analyse an einem für Psychiater wichtigem Punkt zu früh aufhört.

    In Deutschland wurden der Psychiatrie in den letzte Jahren durch zahlreiche Urteile und Gesetzesänderungen starke Reglementierungen auferlegt und dadurch die schwerst psychisch Kranken allein gelassen. Weil der gesellschaftliche Mainstream Zwangseinweisung, Zwangsbehandlung und Sicherungen nicht mehr zulassen will, dürfen die Betroffenen ihr "Recht auf Krankheit" weitegehend ausleben. Im Falle von Wahnkranken ist das eben nicht immer harmlos. Als Forensikerin weiß Frau Saimeh ganz sicher, dass Wahnkranke eben oftmals nicht immer erkennbar strukturell oder denkgestört sind, sondern äußerlich oft "normal" erscheinen.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @TazTiz:

      Ein passender Hinweis.

      Einer, der nicht nur auf Menschen mit Krankheiten des psychopathischen Formenkreises begrenzt ist.

      Normalität ist nicht objektiv messbar, sondern Frage von Zuschreibungen. Mal anschauen, was früher als normal galt - und was heute. Große Teile der so genannten Elite sind in meinen Augen schwer kranke Soziopathen.

      Ich finde, der Begriff Normopathie beschreibt das Dilemma deutlich. Nicht die so etikettierten "Kranken", sondern die "Normalen" hinterlassen Spuren der Verwüstung.

      Der Täter von Hanau, der 43 Jahre lang nicht in Erscheinung getreten ist, sondern in seine Wahnwelt abgetaucht, ist in zahlreicher Gesellschaft.

      Für mich ist dies wenig beruhigend.

      • @76530 (Profil gelöscht):

        Es gibt da ein passendes Buch zu dem Thema: "Pathologie der Normalität" von Erich Fromm

      • @76530 (Profil gelöscht):

        Nebenbei muss man auch die Frage stellen, wieso jemand mit so einem Weltbild, so einer verzerrten Wahrnehmung ein fachpsycholgisches Gutachten besteht, um einen Waffenschein zu bekommen und ob diese festgestellte Eignung nicht generell in bestimmten Abständen überprüft werden müsste, auch hinsichtlich extremistischen Gedankenguts.

        Ob Winnenden, Wendlingen, Ansbach, Dossenheim, Rot am See, der Helfer vom Lübke Mord, der Täter von Hanau, etc. Allesamt Sportschützen mit Waffenschein.

        • 7G
          76530 (Profil gelöscht)
          @Deep South:

          Völlig richtig.

          Ich hatte von Gutachtern mal ein positives Bild. Angesichts Ihrer Aufzählung muss ich darüber mal intensiver nachdenken.

  • Obwohl die Hintergründe dieses Massakers noch nicht aufgeklärt und bekannt sind, scheint mir der Ansatz von Frau Saimeh in die richtige Richtung zu gehen. Das ist angesichts der vielen Meinungen, genau zu wissen, welche Hintergründe die Tat hat, erfrischend sachlich.

  • Zu Zeiten der RAF konnte man Fahndungsplakate drucken, da man Namen und Gesichter der Täter kannte. Die sich heutzutage im Internet zusammenrottenden Rechtsterroristen kennen wir oft nicht oder viel zu spät. Wen wir aber kennen, das sind der parlamentarische Arm des Rechtsextremismus und die geistigen Brandstifter, die weder vor offenem Rassismus (in Anatolien entsorgen) noch vor Verschwörungstheorien (Bevölkerungsaustausch) und Gewaltphantasien (Zivilgesellschaft austrocknen) zurückschrecken. Das reicht zwar nicht für Fahndungsplakate, doch wir alle, demokratische Politiker, Journalisten und sonstige Bürger, müssen diese Leute Tag für Tag anprangern, um klar zu machen, daß deren Parolen nicht aus der Mitte der Gesellschaft, sondern aus einem Sumpf am rechten Rande stammen. Die Verblendeten werden wir wohl nicht zurückholen, aber den Unentschlossenen muß vermittelt werden, daß Rassismus und Nationalismus keine Alternative für Deutschland sind.

    • @Raimund Poppinga:

      ??? Warum hätte man bei der RAF Bilder von Brandstiftern auf Fahndungsplakaten drucken sollen?

  • [...] Anmerkung: Dieser Beitrag wurde gelöscht.

  • 9G
    97760 (Profil gelöscht)

    ...."er hatte keine Frau".....Wann " hat" man denn eine Frau? Irre was für ein Gedöns im Zusammenhang der Taten von Hanau geäussert wird.

    • 7G
      78110 (Profil gelöscht)
      @97760 (Profil gelöscht):

      "Irre" ist hier eine unangebrachte Bezeichnung. Schließlich ist es eine absolute gängige Ausdrucksform auf Partnerschaften oder Beziehungen unterschiedlicher Art mit dem Verb "haben" zu verweisen. Oder haben Sie selbst noch nie jemanden einen Satz wie "Er hat eine neue Freundin.", "Sie hat jetzt Familie." oder dergleichen verwendet?



      Bitte keine künstliche Entrüstung, es fliegt wahrlich genug "Gedöns" an ernsthaft zu kritisierenden Äußerungen im Zusammenhang des Terroranschlags durch den Äther.

  • Vielen Dank für diesen sachlichen und daher informativen Beitrag.



    Es gibt sie noch, die Inseln der Vernunft.

  • Danke! Was habe ich mich gestern wieder über diese Sensationsmitteilungen geärgert. Ich bin ja der letzte, der auf dem rechten Auge blind ist, aber dass bei der Aussage, man habe bei ihm Aussagen gefunden, der Geheimdienst verfolge ihn seit er ein Kind sei und er würde seine Gedanken lesen, offenbar eine schwere psychische Störung vorliegt (meine Vermutung lag bei Schizophrenie), sieht ja nun auch jemand, der auf beiden Augen blind ist.



    Interessant, wie jemand, der anscheinend echt ein tiefer Rassist ist, gleichzeitig immer völlig unauffällig und sogar Wehrdienstverweigerer sein kann.

  • Ich denke, Die Ideologie ist ein starkes Handlungsmotiv, die auch die Interpretation der wahnhaften Empfindungen beeinflusst. Ich litt auch unter einer paranoiden Psychose und bin zum einen nicht gewalttätig geworden, weil ich Gewalt ablehne und zum anderen weil meine Ideologie meine Wahnvorstellungen so beeinflusst haben, dass ich dachte Gott lässt mich verfolgen, um auf mich aufpassen und mir in einer schweren Phase zu helfen.



    Deshalb finde ich es schwierig, dass Medien bei Berichten über Kriminelle psychische Erkrankungen oder Migrationshintergründe nennen. Das suggeriert, das sei der Grund für kriminelles Verhalten und führt zur Stigmatisierung dieser Gruppen. Dabei hat es meiner Meinung nach was mit Einstellungen zu tun.

    • @bio:

      Wie alle Diagnosen sind diese zweischneidig, auf der einen Seite die von Ihnen genannte Stigmatisierung, auf der anderen die "Entschuldigung" nicht für das eigene Handeln verantwortlich zu sein. Er/sie ist psychisch krank und kann ja nichts dafür. Solange man die Psychose verantwortlich machen kann, ist man schön aus der Verantwortung raus. Deswegen ist es auch der AFD so wichtig, dass Tobias Rathjen psychisch krank war

    • @bio:

      Psychische Erkrankungen sind aber relevant für die juristische Beurteilung. Die in einem Verfahren mögliche Schuldunfähigkeit wäre nach dieser Logik auch eine Stigmatisierung, auf die die Betroffenen sicher nicht verzichten wollen.

  • Lridrr lässt sich der vierte Absatz wegen der Werbung nicht korrekt lesen.

    • @aujau:

      Leider

      • @aujau:

        Einfach an der Schriftgröße drehen (Strg drücken + Mausrad drehen)!

        • @miri:

          Ich lese vom Tablet, trotzdem danke für den Tipp.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Schön, dass im großen Tohuwabohu auch mal eine Expertin zu Wort kommen darf, die sich mit der menschlichen Psyche auskennt.

    Noch schöner, dass in Ihrer Erklärung die Möglichkeit vorkommt, psychisch krank UND rechtsextrem zu sein.

    In einem anderen Forum entging ich soeben nur knapp dem virtuellen Teeren und Federn.

    Der Täter ist nicht das Problem, sondern Symptomträger. Das Problem sind gewalttätige Strukturen und Staatsorgane, die knietief in der braun-schwarzen Sauce drinstecken.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      "Der Täter ist nicht das Problem, sondern Symptomträger. Das Problem sind gewalttätige Strukturen und Staatsorgane, die knietief in der braun-schwarzen Sauce drinstecken."

      Das sehe ich anders. Die Strukturen und die Menschen, die in ihnen agieren stehen in einer Wechselwirkung. Die meisten gesellschaftlichen Prozesse funktionieren in der Art von Regelkreisen mit Feedbackschlaufen und nicht in der Art einfacher Ursache-Wirkung-Ketten. Mir fällt immer wieder auf, wie schnell diese im Grunde banale Tatsache in politischen Diskussionen unter den Tisch fällt.

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @Amandas:

        Sorry. Mir war es zu banal, die Bedeutung von Wechselwirkungen noch explizit anzuführen.

        Selbstverständlich haben Sie in der Sache völlig Recht. Bei mir rennen Sie offene Türen ein. Was ich als erkannt voraussetze, erwähne ich mitunter nicht mehr.

        Diese Nachlässigkeit erweist sich mitunter als Fehler.

        Gestern hat mich die Reflexhaftigkeit vieler Kommentare irgendwann nur noch angewidert. Wenn starke Gefühle wie ein Filter vor der Erkenntnis liegen, wird der Blick zeitweise getrübt.

        Am Unappetitlichsten von allem fand ich das Auftreten von Herrn Bouffier samt Gattin. Grausam. Einem Menschen mit seiner politischen Vergangenheit bei der Verhinderung der Aufklärung der NSU-Morde 2006 sollte schweigen, nichts als schweigen.

        Ein persönlicher Kontakt zu Anselm Grün könnte ihm hilfreich sein. Sein Vorgänger Koch versuchte es ja mit Beistand des Dalai Lama.

        Leider hat er das Wesentliche nicht gesehen und verstanden. Kein Wunder weiter. Der Eine hat's - dem Anderen fehlt's.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      "Der Täter ist nicht das Problem, sondern Symptomträger." Stimme Ihnen absolut zu!

      • 9G
        97287 (Profil gelöscht)
        @D-h. Beckmann:

        Wie beim Corona-Virus. Das eigentliche Problem ist nicht der erkrankte Patient, sondern das Virus. Im übertragenen Sinne ist es die braune Soße, bzw. das rassistische , menschenverachtende Gedankengut, das von Leuten wie Gauland, Höcke und Kalbitz verbreitet wird.

  • Es krankt viel mehr die Gesellschaft. Ich war entsetzt, mit welchem innbrünstigem Hass aus das ´wir schaffen das´Merkels reagiert wurde, mit welcher brutalen Vehemenz faktenresistent auf gesellschaftlichem Niedergang bestanden wird. Natürlich hat das gesellschaftspolitische Klima Einfluss auf die psychische Entwicklung potenzieller Täter - Hassprediger sollten niemals unterschätzt werden, es gab gute Gründe für Julius Streichers Ende.



    Es handelt sich um Morde aus rassistischem Hass und ich würde den Begriff ´Terror´ auf das Phänomen des öffentlichkeitswirksamen (Selbst)Mordens nicht verwenden. Der Begriff ´Terror´ ist zu einem Ausgrenzungsbegriff geworden, der das Phänomen außerhalb der Mehrheitsgesellschaft verortet und falsch einordnet. Statt ´ein politisches Ziel mit Terror durchsetzen wollen´, es geht um durch Hass rechtfertigte narzistische Befriedigung, da nicht ein mal die Täter selbst von ihrer Tat eine Gesellschaftszustandsänderung erwarten. Kann es sein, dass die (Selbst)Wertzuweisung anhand persönlichem Erfolges in einer materialistisch Ego-orientierten Gesellschaft Selbst- und Gesellschaftshass fördert, wenn die Biografie dem Ideal widerspricht? Äußert sich Narzismus gepaart mit nach innen und außen gerichteten Minderwertigkeitkomplexen deshalb immer öfter bei Menschen mit reaktionärem Selbstbild in enthemmter Gewalt?

  • Geistig krank war er, indem er sich seinem Wahn der Reinheit Deutschlands opferte. (judenrein, muslimrein, ausländerrein ). Herr Gauland und Herr Höcke sind gesund, indem sie lieber anderen der Reinheit Deutschlands öpferten und Macht davon erhoffen.

    Der Täter hat ganz klartext das Einmaleins vom Großen Austausch ausgedrückt.

    • @Eulenspiegel:

      "Der Reinheit Deutschlands"... Sorry, der Typ hat in seinem "Manifest" erklärt, daß er so ziemlich den halben Planeten ausrotten will, inklusive "auch unser Volk, ich könnte mir eine Reduzierung um die Hälfte vorstellen". Gegen den war Axel Stoll geradezu seriös.

    • @Eulenspiegel:

      Wie meinen sie das? Dieser Mörder war ja sogar laut taz psychotisch...

    • @Eulenspiegel:

      Er hat auch geschrieben, dass er die Serie "Prison Break" und die Anschläge vom 11.9 erfunden hat, nur hätten ihm Geheimdienste diese Infos aus seinem Gehirn gestohlen. Desweiteren habe er in geheimen Gesprächen mit diesen Geheimdiensten die Aufstellung der National-Elf des DFB bestimmt.

      Also wenn es einen geistig verwirrten Terroristen gibt, dann mit Sicherheit ihn.

      • @Dan Rostenkowski:

        Ich meinte es so: zuerst, dass Hassreden auf psychotischem Boden der einzelnen ganz gut gedeihen, und dass die nicht-gestörte Hassprediger so Beteiligung dran haben, und auch, dass die "psychiatrische" Erklärung, z. b. im Fall Hitlers sehr bequem war, um aus einem politischen/geschichtlichen kollektiven Phänomen einen Unfall zu machen, etwas unvorsehbar, dass viel bei der Gleichung am "gestörtem" Einzelnen hing.



        Psychopathen sind Vorbote, Vergrößerungserscheinungen.

  • „Bei einem völlig geistig Verwirrten, sehe ich kein politisches Ziel.“ (Alexander Gauland, 20.02.2020)

    Präziser kann man den Zustand der AfD tatsächlich doch gar nicht mehr beschreiben. Man muss dem Mann nur richtig zuhören - „kein politisches Ziel“, gell.

    • @Rainer B.:

      genau: Gauland hat ein politisches Ziel. Irre agieren etwas aus, was irre ist.

  • 6G
    65572 (Profil gelöscht)

    Ein interessantes Interview, danke.



    Jedoch hätte mich interessiert, was Frau Saimeh dazu sagt, daß der Vater unverletzt am Leben blieb.



    In dem Zusammenhang wäre auch interessant, ob unter den Opfern - außer der Mutter - noch Frauen waren.

  • Glückwunsch zu diesem interessanten und nicht idiologischen Betrag, das gelingt heute wenigen.