Ärger um die Gasumlage: Deutsche Dummheit
Wirtschaftsminister Habeck irrlichtert bei der Gasumlage. Die Ampel zeigt sich uneins und unfähig, die Eliten an den Krisenkosten zu beteiligen.
D ie Gaskunden sollen 34 Milliarden Euro mehr zahlen, um einen Kollaps der Gaskonzerne zu verhindern. Diese Umlage sei, so Robert Habeck, alternativlos. Dass der rhetorisch versierte Grüne, der die Sachzwänge, in denen er sich bewegt, sonst so einleuchtend darzulegen weiß, zu Merkels stereotyper Formel griff, war kein gutes Zeichen. Natürlich gibt es Alternativen – etwa die Verstaatlichung von Uniper.
Dann stellte sich heraus, dass per Gasumlage Milliarden Euro in die Taschen von Konzernen fließen werden, die sowieso satte Gewinne machen. Mieter, die das Pech haben, mit Gas zu heizen, sollten also fortan Konzernkassen füllen. Ein handwerklicher Fehler, der enormen Schaden anrichtet. Man mag sich für eine Sekunde vorstellen, wie genüsslich der Oppositionspolitiker Habeck diese Politik verrissen hätte. Der amtierende Habeck will nun, nach Drohungen der SPD, die Umlage im Bundestag scheitern zu lassen, einlenken. Also Gasumlage vielleicht, aber irgendwie anders. Oder auch nicht. Habeck scheint bei seinen eigenen Entscheidungen nicht mehr durchzublicken. All das wirkt konfus.
Eigentlich hätte man in diesen Zeiten ja gern eine Regierung, die weiß, was sie tut. Doch die Krisenkommunikation der Ampel ist, gelinde gesagt, unprofessionell. Erst wurde unbedacht die Gasabgabe beschlossen, dann die Mehrwertsteuer für Gas generell runtergesetzt. Scholz’ Versprechen „You’ll never walk alone“ klingt wie Hohn, wenn Grüne den Deutschen kalte Duschen oder Waschlappen empfehlen – Spitzenpolitiker, die sich einen goldenen Duschkopf leisten könnten. Die Unfähigkeit, dieses soziale Gefälle in die eigene politische Rhetorik einfließen zu lassen, wäre in normalen Zeiten unschön. Aber die Zeiten sind nicht normal. Und Gerechtigkeitsfragen sind in einer Gesellschaft, die ärmer wird, explosiv.
Der Ukrainekrieg hat zuvor kaum Vorstellbares möglich gemacht: Die Regierung liefert Waffen in Kriegsgebiete, der grüne Wirtschaftsminister versucht, auf dem globalen Markt Gas zu kaufen, auch aus Frackingförderung und von Autokratien. Man kann all das rechtfertigen. Nur ein Tabu bleibt wie ein Granitfelsen stehen: Die deutschen Eliten werden nicht an Krisenkosten beteiligt. Die SPD-Linke denkt zwar vorsichtig über eine Vermögensabgabe nach. Die Grünen fragen leise nach, ob man nicht beim Dienstwagenprivileg ein bisschen was ändern könnte. Aber mit FDP-Minister Lindner sind noch nicht mal symbolische Korrekturen drin. Die Ampel im Stadium der Selbstblockade.
Die Kluft zwischen Arm und Reich ist beim Vermögen in Deutschland extremer als in anderen EU-Ländern. Die reichsten 0,1 Prozent besitzen fast doppelt so viel wie die ärmere Hälfte der Deutschen. Alles spricht dafür, Superreiche und Konzerne, die vom Krieg profitieren, zur Kasse zu bitten. Selbst konservativ regierte Staaten wie Griechenland und Großbritannien schöpfen per Übergewinnsteuer Extraprofite ab. In Deutschland passiert nichts. Wenn es nach Habeck gegangen wäre, hätten Gaskunden Konzernen noch Extragewinne obendrauf gezahlt.
Warum ist in Deutschland das Nein zur Umverteilung von oben nach unten tabu? Woher kommt die Angst davor, die oberen 0,1 Prozent an den Kosten zu beteiligen? Vielleicht, weil zum bundesdeutschen Korporatismus der Glaube gehört, dass auch die Armen davon etwas haben, wenn es den Reichen gut geht. Es gibt (oder gab?) in Deutschland zudem viel zu verteilen, der Sozialstaat schneidet im internationalen Vergleich sehr gut ab. Die deutsche Politik ist auf Konsens geeicht: allen wohl und niemand wehe. Für einen Kampf mit den Eliten fehlt es der politischen Klasse an Mut und Erfahrung.
Das kann sich nun rächen. Ukrainekrieg und Sanktionen werden länger dauern. Dass 2023 hierzulande alles ökonomisch wieder normal läuft, ist Illusion. Neun Prozent Inflation sind sozialer Sprengstoff, die Nervosität wird noch zunehmen. Die Ampel gefährdet, weil sie zu feige ist, die Eliten an den Krisenkosten zu beteiligen, die gesellschaftliche Unterstützung für die Sanktionen gegen Putin. Sie düngt, ohne es zu merken, den Humus für Putin-Freunde und eine soziale Protestbewegung von rechts. Wo ist eigentlich Olaf Scholz?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit