Abstruse Debatte im Feminismus: Klimakiller Kind
Mit der Klimakrise feiert die gute alte Kinderfeindlichkeit ein Comeback. Das wird gerne als Feminismus verkauft – ist es aber natürlich nicht.
E s ist einer dieser Momente, in dem einem innerlich kalt wird. Im Radio spricht Verena Brunschweiger, Lehrerin und Autorin des Buches „Kinderfrei statt kinderlos“. Mit ruhiger Stimme erklärt sie, dass Kinder Klimakiller seien und deshalb als gänzlich unerwünscht anzusehen sind. Jene, die dennoch Eltern würden, täten es aus rein egoistischen Gründen und gefährdeten den Planeten. Umweltpolitisch sei es jedenfalls nicht zu verantworten. Die Kinderlosen sind ihrer Ansicht nach deshalb die wahren Heldinnen im Kampf gegen die Erderwärmung.
Brunschweigers Buch ist im vergangenen Jahr erschienen, und man könnte es abtun als eines von vielen, das für etwas Unruhe in unseren stets aufgeregten Zeiten sorgt und dann wieder verschwindet, als sei nie etwas gewesen. Doch in diesem Monat erscheint bereits ein weiteres Buch zum Thema von ihr. Und, schlimmer noch: Ihre Argumente sind nun auch in Familien und Freundeskreisen zu hören, sie haben sich wie ein Gift in der Gesellschaft abgelagert. Fragt man die Freundin, ob sie mit ihrem Partner wirklich nahezu jeden Monat fliegen müsse, mal für ein Wochenende nach Mallorca, mal für eines nach Paris oder mit einem wirklich sehr günstigen Angebot nach Südafrika, dann kommt inzwischen gern mal zurück: Wie ich lebe, ist klimapolitisch immer noch besser, als Kinder in die Welt zu setzen.
Man muss sich wieder dafür rechtfertigen, Kinder zu haben. Nicht dass Deutschland bisher ein besonders kinderfreundliches Land gewesen wäre. Wer jemals anderswo die herzliche Zugewandtheit erlebt hat, kann sich über das Ausmaß nur wundern, in dem sich viele hierzulande von Kindern gestört fühlen. Sofern sie sich nicht wie kleine Erwachsene benehmen, sondern Gespräche stören, dazwischenfragen, kleckern, quengeln oder herumhüpfen, ist ihre Anwesenheit nur mäßig willkommen. Doch immerhin musste man sich seit einigen Jahren nicht mehr dafür entschuldigen, konnte eine gewisse gesellschaftliche Anerkennung und auch Rücksicht erkennen.
Doch mit der Klimakrise feiert die gute alte Kinderfeindlichkeit ein Comeback. Wer Brunschweiger liest, stellt schnell fest, dass es ihr nur am Rande um den Planeten geht. Für sie sind Mütter willenlose Gebärmaschinen, die dem Patriarchat auf dem Leim gegangen sind und so gehirngewaschen, dass sie selber glauben, „Glück und Erfüllung in vollen Windeln zu finden“. Sie sind dumm genug, sich Brust, Bauch und Beckenboden zu ruinieren, und beklagen sich dann später auch noch, wenn sie unter Inkontinenz leiden. Eine Geburt sei mit einer Brustvergrößerung zu vergleichen. Eine Frau begebe sich „absichtlich in eine Gefahr“, die „ihr Leben negativ beeinflusst“.
Kindergeld gehöre abgeschafft, um stattdessen „Leute zu prämieren, die sich nicht gedankenlos fortpflanzen“. Wer also „in die ewig gleiche Falle“ tappt und „trächtig“ wird, solle sich bitte nicht beschweren, schon gar nicht bei ihr, die sich so mutig der patriarchal verordneten Mutterrolle entgegenstemmt. Brunschweiger beklagt, dass der öffentliche Raum zum Kinderspielplatz verkommen sei, während tapferen Reproduktionsverweigerer:innen das Leben quasi zur Hölle gemacht werde, indem sie beispielsweise auf Schwangere am Arbeitsplatz Rücksicht nehmen müssten. Vom Urlaubnehmen in den Sommerferien gar nicht zu reden!
In Brunschweigers Publikationen wächst die Diskriminierung von Kinderlosen nach und nach zum größten Menschenrechtsverbrechen aller Zeiten. Ihr Traum: kinderfreie Wohnanlagen, in denen man nicht vom schlecht erzogenen Nachwuchs anderer „terrorisiert“ wird.
Herablassung und Feindseligkeit gegenüber Müttern und ihren Kindern hat es in Teilen der feministischen Szene immer gegeben. Der Verlockung, den eigenen Lebensstil über den von anderen zu stellen, ihn als überlegen und wertvoller darzustellen, kann nicht jede widerstehen.
Aber folgen wir einmal für einen Augenblick der These der Antinatalismusszene, dass Kinder die Klimakiller Nummer eins sind und deshalb eine Null-Kind-Politik angestrebt werden müsse. Was wollen wir den Flüchtlingen aus Syrien sagen? Natürlich geben wir euch Asyl, aber nur wenn ihr keine Kinder bekommt? Oder den Menschen mit Migrationshintergrund? Einbürgerung nur für Kinderlose? Integriert euch in die Null-Kind-Politik, oder die Aufenthaltsgenehmigung wird nicht verlängert?
Zuwandererfamilien haben deutlich mehr Nachwuchs als der deutsche Durchschnitt, aus vielen Gründen, auch aus religiösen und kulturellen. Das Kinderkriegen zu diskreditieren, es als asozial, als Egotrip patriarchatshöriger Idiot:innen darzustellen, hat deshalb immer auch einen rassistischen Aspekt. Es ist eine sehr weiße, bildungsbürgerliche Perspektive. Die Leistung der aus der Türkei, dem Irak oder aus Nigeria stammenden Frau in Deutschland, die fünf Kinder großzieht, ist nichts wert. Sie befördert nur den Klimawandel.
Dieser Logik folgend, könnte man auch über Kriege froh sein, denn sie tragen zur Rettung des Klimas bei. Warum sich also um Friedensgespräche bemühen und humanitäre Hilfe leisten? Weshalb sollten die Vereinten Nationen die Palästinenser im Gazastreifen alimentieren, die eine der höchsten Geburtenraten der Welt haben? Warum gegen Krebs ankämpfen oder sich um einen langen Lebensabend von alten Menschen bemühen?
Brunschweiger hebt auch hervor, dass Kinderlose intelligenter seien. Sie hat sogar eine Studie aufgetrieben, die festgestellt haben will, dass Müttern das Gehirn schrumpft. Umso erstaunlicher ist, dass ihr, die sich selbstredend für herausragend klug hält, ein grober Denkfehler unterlaufen ist. Die Menschheit hat bekanntlich noch zehn Jahre, um eine unumkehrbare Erderwärmung aufzuhalten. Demografischer Wandel aber vollzieht sich viel langsamer – zu langsam für die derzeitige Krise. Selbst eine große antinatalistische Welle könnte den Klimawandel nicht mehr aufhalten.
Klimaaktivisten wie Jonathan Safran Foer, Autor des Bestsellers „Wir sind das Klima!“, haben das Thema erheblich besser und – mit Verlaub – intelligenter durchdacht. Foer hat sich die alles entscheidende und einzig richtige Frage zur Rettung des Planeten gestellt: Was ist in der kurzen Zeitspanne, die uns bleibt, realistisch und schnell umsetzbar? Denn die Massenpanik, die es eigentlich geben müsste, bleibt aus, ganz gleich wie oft Greta Thunberg sie einfordert. Der Klimawandel ist für die meisten Menschen eben doch eine zu abstrakte Gefahr.
„Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können“ lautet der Untertitel von „Wir sind Klima!“ in der englischen Orginalausgabe. Foers Vorschlag: Fleisch nur noch einmal am Tag zur Hauptmahlzeit essen. Massentierhaltung ist einer der größten Verursacher von CO2. Foer ist aber klug genug, zu wissen, dass die Menschen nicht sofort alle Veganer werden, er ist auch selbst keiner. Aber den Fleischkonsum weltweit zu reduzieren könnte sehr schnell und ohne großen Umbau von Industrie und Verkehr sehr viel bewirken.
Übrigens frage ich mich gerade, ob Brunschweiger so weit gehen würde, auch Foer, der aus einer Familie von Holocaust-Überlebenden stammt, vorzuwerfen, aus egoistischen Gründen zwei Kinder in die Welt gesetzt zu haben.
Nicht alles Persönliche ist politisch
Kinder sind keine Klimakiller, sondern diejenigen, denen wir es schuldig sind, die Welt nicht in einem unrettbaren Zustand zu hinterlassen. Die Klimakiller sind wir, die jetzt lebenden Generationen. Sich dieser Verantwortung gegenüber künftigen Generationen zu entziehen, in dem man keine Kinder mehr bekommt, ist verlockend einfach, aber auch feige. Die Menschen werden sowieso weiter Kinder bekommen, egal wie viele Plakate Antinatalist:innen auf Demonstrationen hochhalten, wie oft sie Kongresse veranstalten oder wie viele Bücher sie schreiben.
Es ergibt deshalb keinen Sinn, nach Auswegen zu suchen, die keine sind. Die Zeit, die uns beim Klimawandel bleibt, sollten wir nutzen, um uns auf Maßnahmen zu konzentrieren, die sehr schnell sehr viel bewirken. Über „Mamitown“ und „Stillzwang“ zu lamentieren und einen „unerkannten Kulturkrieg“ herbeizureden, sogar Mutterschaft als Gegenentwurf zum Feminismus zu definieren ist nicht nur in Bezug auf den Klimawandel Zeitverschwendung.
Noch nie war es so einfach für Frauen und Männer, keine Kinder zu bekommen, wie heute. Unsere freiheitliche Gesellschaft ermöglicht viele Lebensläufe. Man kann lesbisch oder schwul leben, sich um Pflegekinder kümmern oder auch nicht, sich heterosexuell binden oder als Single leben. Niemand wird für seine Entscheidungen oder Vorlieben sanktioniert oder sozial ausgegrenzt. Natürlich können junge Eltern, deren Leben gerade darum kreist, ob das Baby ein Bäuerchen gemacht hat, jene nerven, die über den Aufmacher im Feuilleton der Zeit diskutieren möchten. Aber daraus ein Manifest abzuleiten ist fragwürdig. Nicht alles Persönliche ist politisch.
Vor allem aber ist Antinatalismus ein inhumanes Konzept, und Menschenfeindlichkeit kann niemals feministisch sein. Frauen mit anderen Wünschen und anderen Lebenskonzepten lächerlich zu machen, ihnen den freien Willen abzusprechen und sie als minderbemittelte Gebärmaschinen herabzuwürdigen, hat nichts Progressives, nichts Linkes und schon gar nichts Feministisches.
Um es auf Merkelisch zu sagen: Wenn wir uns jetzt noch dafür entschuldigen müssen, Kinder zu bekommen und großzuziehen, dann ist das nicht mehr mein Feminismus.
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