piwik no script img

Haftbefehl gegen NetanjahuSollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?

Daniel Bax
Jan Feddersen
Kommentar von Daniel Bax und Jan Feddersen

Heftig umstritten: Der Umgang mit dem Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Netanjahu, falls er nach Deutschland kommt.

Musste seinerzeit noch keine Handschellen fürchten: Benjamin Netanjahu bei seinem letzten Besuch in Berlin, im März 2023 Foto: Reuhl/Fotostand/picture alliance

Pro

E s gehörte über Jahrzehnte hinweg zu den Grundpfeilern der deutschen Außenpolitik, die Weiterentwicklung des Völkerrechts und einer internationalen Strafjustiz zu unterstützen. Dieser parteiübergreifende Konsens ist jetzt bedroht, seit der Strafgerichtshof in Den Haag gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu einen Haftbefehl erließ. Plötzlich bestehen Zweifel.

„Niemand steht über dem Gesetz“, hat Außenministerin Baer­bock jetzt dankenswerterweise klargestellt. Damit rückt sie den fatalen Eindruck zurecht, den Regierungssprecher Stefan Hebestreit am vergangenen Freitag in einer Pressekonferenz erweckte. Hebestreit sagte dort, es falle ihm schwer, sich vorzustellen, dass Netanjahu in Deutschland verhaftet werden würde. Dafür braucht es aufgrund der deutschen Geschichte in der Tat viel Fantasie. Doch es klang, als würde sich Deutschland nicht an internationales Recht gebunden fühlen.

Manche in der Union tun das offenbar tatsächlich nicht. Hessens Regierungschef Boris Rhein nannte den Haftbefehl „absurd“, CSU-Chef Markus Söder „befremdlich“, und sein Parteifreund Alexander Dobrindt reiste sogar nach Israel, um Netanjahu demonstrativ die Hand zu schütteln. Das zeigt nicht nur, dass sie sich nicht ernsthaft mit den Vorwürfen auseinandersetzen wollen. Damit legen sie auch die Axt an einen Grundpfeiler der deutschen Außenpolitik, ja einer regelbasierten Weltordnung.

In Gesellschaft von Orban, Putin und Trump

Ungarns Premierminister Victor Orbán lud Netanjahu sogar nach Budapest ein. Das ist aus seiner Sicht nur konsequent: Als das gleiche Gericht im vergangenen Jahr Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin erließ, akzeptierte er diesen genauso wenig. Man muss es so klar sagen: Wer den Haftbefehl gegen Netanjahu infrage stellt, der stellt sich in eine Reihe mit Autokraten wie Orbán, Putin und Donald Trump. Ihnen allen sind Regeln und Gesetze egal. Sie vertreten das Recht des Stärkeren.

Schon jetzt stehen die Richter in Den Haag unter enormen Druck. Wenn Trump sein Amt antritt, könnte er einzelne Mitarbeiter des Gerichtshofs persönlich bestrafen. Deutschland muss sich entscheiden: Will es auf der Seite einer regelbasierten Weltordnung stehen? Oder auf der Seite eines Verbündeten, dem schlimme Verbrechen vorgeworfen werden? Darauf gibt es nur eine richtige Antwort. Eigentlich. Daniel Bax

CONTRA

Die Frage stellt sich schon deshalb konkret nicht, weil sich der israelische Ministerpräsident in nächster Zeit höchstwahrscheinlich nicht auf Staatsbesuche begeben wird. Für den Fall, dass er doch kommt, signalisierte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock allerdings bereits, dass sie in die Falle der antiisraelischen Globalpropaganda getappt ist: Niemand stehe über dem Gesetz, antwortete sie auf entsprechende Fragen zum Haftbefehl gegen den israelischen Regierungschef.

Deutschland halte sich an Recht und Gesetz, auch auf internationaler Bühne. US-Präsident Joe Biden indes wies schon die Fragestellung zurück. Er wisse ja, dass Netanjahu und seine Regierung harte Kritik verdienen, aber nicht wegen des Krieges gegen die Hamas und die Hisbollah an sich, sondern weil Israels demokratisch gewählte Regierung in ihrer Kriegsführung schwere Fehler begangen hat und weiter begeht.

Nicht der Krieg im Gazastreifen scheint für Biden problematisch zu sein, sondern dass Israel keine Strategie anbieten kann für die Zeit nach dem Krieg. Es fehlt seit Beginn der Militär­operation gegen die palästinensische Terrororganisation Hamas, die es aus Sicht Netanjahus zu zerstören gilt, jegliche politische Perspektive, außer im Gazastreifen eine dystopische Landschaft zu hinterlassen. Ein Plan für die Zukunft – unbekannt.

Wahr ist, dass es Netanjahu war, der die Hamas zumindest tolerierte und deren mörderischen Wahn nicht erkennen konnte; wahr ist weiterhin, dass er alles sabotierte, was für die palästinensischen Nachbarn nach einer Per­spektive auf einen eigenen Staat erschien. Netanjahu ist zugleich jener Mann, der mit seinen faktisch rechtsradikalen Alliierten den israelischen Rechtsstaat zu zerstören trachtet, der also die Pfade des demokratischen Zionismus längst verlassen hat.

Innenpolitisch ist Netanjahu gestärkt

Das alles sind Delikte, die die israelische Gesellschaft lösen muss. Der internationale Haftbefehl indes lässt das Land zusammenwachsen und macht Netanjahu in Israel noch populärer. Selbst aus der Opposition kam Kritik an dem Haftbefehl. Der Internationale Strafgerichtshof nimmt es – so erscheint es vielen – Israel übel, dass es überfallen wurde und sich militärisch zu wehren hatte, allein schon der nach wie vor in Gaza festgehaltenen Geiseln wegen. Der Haftbefehl nützt Netanjahu innenpolitisch – und das ist das eigentliche ­Problem. Jan Feddersen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!