Debatte um Letzte Generation: Klimakleben für alle

Die Debatte um die Letzte Generation muss abgerüstet werden. Denn ein zukunftsfähiger Alltag gelingt nur, wenn die Mitte der Gesellschaft mitmacht.

Drei junge Aktivist:innen von der "Letzten Generation" laufen über Kopfsteinpflaster. Sie sind auf dem Weg zu Bundesverkehrsminister Volker Wissing

„Letzte Generation“ auf dem Marsch durch die Institutionen, hier zu Verkehrsminister Volker Wissing Foto: Florian Boillot

Wenn in einem Gespräch die folgende Wendung formuliert wird, gerät die Unterhaltung auf eine gefährlich schiefe Ebene: „Ich habe ja nichts gegen (Frauen, Flüchtlinge, Konservative), aber …“ Denn wer so redet, meint eigentlich: Ich habe sehr wohl etwas gegen Frauen, Flüchtlinge, Konservative, aber ich will das nicht zugeben.

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An diesem Punkt ist in Deutschland derzeit auch die Debatte um Klimaschutz und die Aktionen der „Letzten Generation“ angekommen. „Ich bin ja auch für Klimaschutz, aber er darf nichts kosten, ich definiere Freiheit über meine Gasheizung, ich muss mit dem Auto zur Arbeit.“ So schallt es aus den Parlamenten, Talkshows, Umfragen und so sagen es Menschen, die genervt vor „Klimaklebern“ stehen und aus ihrem Alltag gerissen werden. Aber ebendarum geht es der „Letzten Generation“ ja gerade: den Alltag zu unterbrechen, der die Klimakrise immer weiter anheizt.

Das Tragische ist: Auf gewisse Weise haben alle Beteiligten recht. Die AktivistInnen fordern zu Recht radikalen und sofortigen Klimaschutz; Bundeskanzler Olaf Scholz warnt zu Recht, man dürfe die Menschen mit Klimaschutz nicht überfordern; die Opposition poltert zu Recht, die Regierung dürfe nicht das Klimaschutzgesetz entkernen; die Grünen verweisen zu Recht darauf, dass es nicht reicht, wenn nur sie in der Ampel Klimaschutz ernst nehmen; die FDP will zu Recht mehr Forschung und neue Techniken, um die Klimakrise zu bekämpfen.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

So aber kommen wir nicht weiter. Einen Ausweg gibt es nur, wenn wir die inhaltlich notwendige Forderung der Klimabewegung – „Schluss damit!“ – zusammenbringen mit den Ängsten und Hoffnungen einer Mehrheit der Bevölkerung, die am „Weiter so!“ klebt. Wenn die nötige Disruption von Prozessen, der Abschied vom fossilen Lebensstil, versöhnt wird mit der Sehnsucht nach Sicherheit und einem guten Leben.

Klingt unmöglich? Ist aber die einzige Option, die toxische Debatte zu verlassen. Es braucht dafür einen gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und ökonomischen Kraftakt: Wir müssen Methoden finden, um schnell aus dem fossilen System aussteigen zu können – ohne Ängste zu verstärken, damit gingen hier die Lichter aus.

Was heißt das konkret? Frisches Denken, freches Gegen-den-Strom-Schwimmen und schnelles Planen. Manches wird funktionieren, anderes nicht. Beispiele wären etwa:

- Verpflichtende Solaranlagen für alle Dächer beschließen.

- Sich auf technologische Durch­brüche etwa in der Zement­­produktion oder von Solar­fassaden fokussieren und sie schnell ­umsetzen.

- Autofreie Innenstädte mit ÖPNV-­Nulltarif per Volksabstimmung in Kommunen durchsetzen.

- Einen Steuerstreik gegen fossile Subventionen organisieren.

- Einen populären „Bundesbeauftragten für fossilen Ausstieg“ und eine „Bundesbeauftragte für zukunfts­fähigen Einstieg“ auf Dauer-Werbetour durchs Land schicken.

- Einen Fonds von Spenden und Abgaben gründen, um Agrar­flächen aus der Intensivlandwirtschaft für Klimaschutz, Moorvernässung und ­Artenvielfalt herauszukaufen.

- Endlich ein sozial gerechtes „Klima­geld“ einführen.

- Radikales Energiesparen, das sich an den Erfolgen des Jahres 2022 mit Einsparungen von 17 Prozent beim Gas orien­tiert.

Dringend nötig ist es aber erst einmal, die Proteste anders zu sehen, besser zu verstehen, mehr zu schätzen und in positive Energie zu überführen. Noch nie hat es in Deutschland eine so große Gruppe junger Menschen gegeben, die für ihre Zukunft und ein globales Problem so engagiert, so gut informiert, so brillant organisiert und so angstfrei agiert hat wie die Generation „Fridays“.

Auch wenn wegen ihrer Straßen­blockaden geschimpft wird: Die jungen Menschen haben die Regeln unseres Gemeinwesens sehr genau verstanden und halten sich meist akribisch an die politischen Spielregeln. Sie sind sehr gut (und oft besser als ihre KritikerInnen) informiert – Aussteiger sind sie nicht. Sie haben sich zusammengeschlossen, eigene Aktionsformen entwickelt, um die Gesellschaft zu verändern – „No Future“ ist nicht ihre Parole.

Sie akzeptieren ein Risiko für ihre eigene Gesundheit und ihre eigene Karriere – Profilierung auf Kosten anderer kann man ihnen nicht vorwerfen. Sie sind in Verbände und Vereine gegangen, engagieren sich in Parteien – Politikverachtung sieht anders aus. Sie haben sich mit anderen Lobbygruppen vernetzt – ­Hilflosigkeit ist nicht ihr Problem. Sie haben sich ihre Forderungen vom höchsten deutschen Gericht bestätigen lassen – Verfassungsfeinde sind sie nicht.

Und vor allem: Sie bleiben friedlich – die „Klima-RAF“ bleibt ein Phantom. Wer es herbeifantasiert, will die junge Protestbewegung für eigene Zwecke einspannen oder diskreditieren. Es ist im Gegenteil bemerkenswert, wie diszipliniert und politisch klug die AktivistInnen ihre Gewaltfreiheit trotz allen Gegenwinds und allen Frusts durchhalten.

Anderswo brennen bei geringeren Anlässen die Barrikaden. Wenn konservative Opposition und Presse dennoch von „Terrorismus“ und „Gewalt“ schwadronieren, zeigen sie nur, wie hilflos sie einer Bewegung gegenüberstehen, die sie nicht verstehen – und dass sie sich grundlegende Veränderungen in unserem System offenbar nur gewalttätig vorstellen können.

Die „Letzte Generation“ hat aber auch ein Problem. Sie findet sich nur schwer damit ab, eine Minderheit in der Bevölkerung zu sein. Die Blockaden und die Forderungen richten sich an eine Mehrheit, die ihren Ideen kritisch bis ablehnend gegenübersteht. Es fehlt eine klare Strategie, wie die Bewegung dieser Falle entkommen will.

Verglichen mit ihrem Pathos und ihrem Störpotenzial sind ihre Forderungen fast banal: Tempolimit, 9-Euro-Ticket­, Bürgerrat, Gespräche mit der Regierung, wie am Beginn der Woche mit Verkehrsminister Volker Wissing. Alles gute Ideen – aber nichts, was uns einer echten Veränderung des fossilen Systems wirklich näher bringt. Keine Disruption.

Das ist nicht nur der Fehler der „Letzten Generation“. Vor allem zeigt unser „Establishment“ einen unglaublichen Mangel an politischer Fantasie, mit dem drängenden Klimaproblem wirksam umzugehen. Viele Rezepte sind dieselben, mit denen wir schon seit 20 Jahren an effektivem Klimaschutz scheitern: viel Geld für Forschung, aber unfokussiert, weil „technologieoffen“; ein Staat, der Fossile Energien weiter subventioniert, Klimaziele und -gesetze, die mangelhaft umgesetzt werden – und nicht zuletzt eine Regierung, die das Land bis 2045 klimaneutral machen will, aber das konsequente Ende des fossilen Systems ablehnt, das damit einhergehen muss.

Ganz egal, was die Spindoktoren von Regierung, Opposition, Teilen der Wirtschaft und der Medien jetzt wieder verbreiten: Der radikale Wandel, den die „Letzte Generation“ fordert, ist nötig und der einzige Ausweg aus dem Klima-Wahnsinn. Die wissenschaftliche Begründung dafür steht in den Berichten des UN-Klimarats IPCC, in den Untersuchungen von deutschen Behörden und Thinktanks und sogar im Koalitionsvertrag: Um die Klimakrise halbwegs im Griff zu behalten, ist es nötig, schnell, tiefgreifend, auf allen Feldern und an allen Orten zu handeln: Jetzt sofort alles anders zu machen – das ist Disruption.

Wie das aussehen soll, kann die Gesellschaft aber nicht der „Letzten Generation“ überlassen, sie muss diesen Prozess selbst vorantreiben. Die Sicherstellung unserer Lebensgrundlagen ist keine exklusive Angelegenheit der „Grünen“ oder der „Letzten Generation“. Deshalb müssen sich auch alle Akteure beteiligen: Parteien, Behörden, Thinktanks, Firmen, Stiftungen, Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften, Kulturbetrieb. Dort ist inzwischen die Erkenntnis eingesickert, dass das mit dem Klima ein Problem ist. Aber ein ehrlicher Wettstreit darum, wie Deutschland und Europa klimaneutral werden sollen, steht noch aus.

In der jeweils eigenen Blase müssen Ideen entwickelt werden, wie das konkret gehen soll, „Schluss mit dem ‚Weiter so‘“. Das macht viel Arbeit und Ärger. Aber es gibt ja Vorbilder: Einen partiellen Steuerstreik haben in den 80er Jahren schon Rüstungsgegner ausgerufen. Strikte Bauregeln wie eine Solarpflicht gibt es in anderen Ländern. Weit reichende und vernünftige Ver- und Gebote akzeptieren wir ganz selbstverständlich etwa bei Lebensmitteln, Waffen oder Versicherungen, der Gurtpflicht oder dem Rauchverbot. Kampagnen für autobefreite Innenstädte oder Fundraising für Landkäufe sind das Standardrepertoire der Zivilgesellschaft.

Es müssen nicht alle, aber viele mitmachen – aus der letzten, aber auch der vor- und vorvorletzten Generation: Für eine Solarpflicht braucht es JuristInnen in der Verwaltung, keine Protestierer in Präventivhaft. Durchbrüche bei der Zementproduktion schafft am besten die Zementwirtschaft, nicht der Soziologiestudent mit Warnweste. Für das Klimageld brauchen wir Finanzexperten, für die Energiewende die Menschen auf dem Land, fürs Energiesparen die „Geiz ist geil“-Fraktion.

Wir können von der „Letzten Generation“ vieles lernen. Vor allem dies: Der konsequente Kampf gegen die Klima­krise ist kein Hobby für junge Menschen oder Autohasser. Es ist die wichtigste Aufgabe, die dieses Land im 21. Jahrhundert zu bewältigen hat, gemeinsam und solidarisch. Damit sollten wir endlich anfangen.

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Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).

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