Aufruf von Linken-Politiker:innen: Gegen den Linkskonservatismus
Die Linke steckt in einer tiefen Krise. Zahlreiche Politiker:innen der Partei plädieren nun für einen Bruch mit dem Wagenknecht-Flügel.
Das will der 64-jährige Ex-Linken-Bundesschatzmeister und langjährige brandenburgische Landesvorsitzende verhindern. Doch die Zeit drängt. Auf ihrem Höhepunkt 2009 verzeichnete die Linke noch mehr als 78.000 Mitglieder, inzwischen zählt sie gerademal etwas über 56.000 Mitglieder, wobei seit dem Frühling die Zahl der Austritte stark zugenommen hat. Mit einer ganzen Reihe von Mitstreiter:innen hat Nord nun einen Rettungsversuch gestartet. Es ist das Plädoyer für einen Bruch.
In ihrem der taz vorliegenden Aufruf zu einer Sammlung der progressiven Kräfte in der Linkspartei fordern sie als Ausweg aus der Krise nicht weniger als einen klaren Trennungsstrich zu Sahra Wagenknecht und ihrem Anhang: „Die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit der Linken erfordert, die Koexistenz mit dem Linkskonservatismus in der Partei zu beenden.“ Das ist eine klare Ansage.
Unterzeichnet haben den Aufruf etliche Bundes-, Landes-, Europa- und Kommunalpolitiker:innen der Linkspartei. Das Spektrum reicht von den Bundestagsabgeordneten Gökay Akbulut, Cornelia Möhring und Martina Renner über die Berliner Ex-Senatorinnen Elke Breitenbach und Katrin Lompscher bis zu der Europaabgeordneten Cornelia Ernst, der Leipziger Landtagsabgeordneten Jule Nagel und dem Pankower Bezirksbürgermeister Sören Benn.
Bemerkenswert ist, dass sich die Aufrufer:innen unterschiedlichen Parteiströmungen zuordnen. „Bewegungslinke“ wie der stellvertretende Parteivorsitzende Lorenz Gösta Beutin oder die Bremer Bürgerschaftsabgeordnete Sofia Leonidakis sind ebenso dabei wie die sächsische Landtagsvizepräsidentin Luise Neuhaus-Wartenberg, Bundessprecherin des reformerischen Forums Demokratischer Sozialismus (FDS). Es sei „an der Zeit, den Kampf um den progressiven Charakter der Partei auf allen Ebenen und über die Grenzen bisheriger Konflikte hinweg gemeinsam zu führen“, heißt es in dem Aufruf.
„Jede Glaubwürdigkeit der Partei zerstört“
Nach der Auffassung der Aufrufverfasser:innen hat Wagenknecht mit der Veröffentlichung ihres Buches „Die Selbstgerechten“ im April 2021 und der darin enthaltenen Konzeption eines „Linkskonservatismus“ eine Art Gegenprogramm vorgelegt. Dieser von Wagenknecht und ihrem Anhang vertretene Linkskonservatismus sei „radikal gegen das Programm der Partei gerichtet, bekämpft es aggressiv mit gesellschaftspolitisch regressiven, reaktionären Positionen und entsprechenden öffentlichen Aktivitäten“. Dadurch werde jede Glaubwürdigkeit der Partei zerstört und sie politikunfähig gemacht, konstatieren die Verfasser:innen.
Egal ob es um Flucht und Migration, um Klimaschutz, um die Covid-19-Pandemie oder den Ukraine-Krieg geht: Tatsächlich vertraten und vertreten Wagenknecht und ihre geradezu religiös-fanatische Anhänger:innenschaft immer wieder Positionen, die in einem krassen Widerspruch zur offiziellen Parteilinie stehen. Ihr Kurs lässt sich als sozialpopulistisch, nationalistisch, antiökologisch und gesellschaftspolitisch konservativ beschreiben.
So attackiert die Ex-Bundestagsfraktionsvorsitzende in ihrem am Mittwoch nun auch als Taschenbuch erschienenen Bestseller mit scharfen Worten jegliche emanzipatorischen Bewegungen, denen sich die Linkspartei eigentlich verbunden fühlt: von Fridays for Future über Black Lives Matter bis zum Seebrücke-Bündnis – für Wagenknecht alles unerquickliche Veranstaltungen einer degenerierten „Lifestyle-Linken“, die den Bezug zu den wahren gesellschaftlichen Problemen verloren habe.
„Antagonistische Positionen“
Im Anti-Wagenknecht-Aufruf heißt es jetzt, der von führenden Parteifunktionär:innen immer wieder unternommene Versuch, antagonistische Positionen in zentralen gesellschaftspolitischen Fragen einfach auszublenden, sei „nachhaltig gescheitert“. Sich konträr gegenüberstehende Ausrichtungen ließen sich nicht vereinen, indem die Linke auf eine „Sozialstaatspartei“ und Protest reduziert werde.
Unübersehbar sei, dass die jeweils angesprochenen Milieus sich bei Wahlen und auch in ihren alltäglichen Überzeugungen ablehnend gegenüberstehen und sich gegenseitig demobilisieren. Die „politisch zerstörerische Koexistenz mit linkskonservativen Bestrebungen in der Partei“ dürfe nicht fortgesetzt werden. Dazu gehöre, dass eine direkte oder auch indirekte Unterstützung von Autokraten und Diktatoren unvereinbar mit linker Politik sei.
Am 3. Dezember soll in Berlin ein erstes bundesweites Vernetzungstreffen der „progressiven Linken“ stattfinden. „Eine Partei, die den Kampf für soziale Gerechtigkeit und für die Verteidigung der Demokratie unteilbar verbindet, wird gerade jetzt dringend gebraucht“, sagt Thomas Nord. Noch gebe es für ihn die Hoffnung, dass die Linke das sein könnte. „Aber sie zerbröselt, wenn sie keine Richtungsentscheidung trifft.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen