Lamberty und Nocun über Esoterik: „Antisemitismus wird ignoriert“

Esoterik verspricht oft einfache Lösungen. Pia Lamberty und Katharina Nocun sehen in ihr eine Gefahr nicht nur bei Krankheiten, sondern auch für unsere Demokratie.

Frauen trommeln in einem Zelt bei wenig Licht

Schamanismus, Horoskope, Wunderheiler, Glo­bu­l­i: Das Feld der Esoterik ist breit Foto: Thomas Ersting/laif

taz: Horoskope, Globuli und Wunderheiler: Alles Elemente aus der Esoterik. Lässt sich bei dieser Vielfalt überhaupt eine gemeinsame Definition für Esoterik finden, Frau Lamberty, Frau Nocun?

Pia Lamberty: Das ist tatsächlich eine Herausforderung. Die meisten haben bei Esoterik direkt Assoziationen im Kopf, doch eine Definition fällt schwer. Im Wortsinn geht es um „Geheimlehre“. Also ein Wissen, das nicht allen Menschen zugänglich ist, sondern nur Erleuchteten. Um einer Definition näherzukommen, haben wir Kernelemente definiert.

Und was sind das für Elemente?

Pia Lamberty: Wichtig ist „Magisches Denken“, also der Glaube an übernatürliche Kräfte von Hexen, eine heilende Kraft von Edelsteinen, aber auch Homöopathie fällt darunter. Also, dass etwas, das gar nicht vorhanden ist, Wirkung erzeugen kann. Hinzu kommt der Fokus auf das Selbst. Viele esoterische Praktiken suggerieren, man sei für sein eigenes Glück verantwortlich, äußere Faktoren würden das kaum beeinflussen. Deswegen spielt Selbstoptimierung eine große Rolle. Ein weiterer Aspekt ist eine höhere Ordnung, die besagt, dass, wer Gutes tut, auch Gutes erhält und umgekehrt. Diese Karma-Idee führt leider auch zu Aussagen wie der, dass Menschen, die krebskrank sind, selbst schuld daran seien.

Pia Lamberty (links) ist Psychologin und Geschäftsführerin vom Thinktank Cemas.

Katharina Nocun ist Publizistin und Politikwissenschaftlerin. Gemeinsam haben sie die Bücher „Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ und „True Facts: Was gegen Verschwörungserzählungen wirklich hilft“ veröffentlicht.

Werden kranke Menschen besonders von Esoterik angesprochen?

Katharina Nocun: Esoterik kann einem die Illusion geben, dass man vollständige Kontrolle über das eigene Leben ausüben und Krisen magisch lösen kann. Für viele ist das der letzte Strohhalm bei Krankheiten, psychologischen Krisen oder nach dem Verlust von Angehörigen. Über ein Medium soll man dann beispielsweise mit Toten in Kontakt bleiben. Die Versprechen der Problemlösungen in der Esoterik sind grenzenlos.

Pia Lamberty: Am Anfang liest man vielleicht aus Gag sein Horoskop, aber in einer Krise kann Esoterik plötzlich handlungsleitend werden. Das sieht man häufig bei Menschen, die eine schlimme Krankheitsdiagnose bekommen und dann zum Heiler gehen. In der Esoterik wird bewusst mit dem Leid von Menschen Kasse gemacht.

Bei Instagram begegnet man immer mehr Menschen, die ihren Stress auf den rückläufigen Merkur schieben oder künftige Part­ne­r*in­nen nach ihrem Aszendenten aussuchen. Nimmt Esoterik durch soziale Medien zu?

Katharina Nocun: Früher stand das Horoskop in der Bravo Girl, heute seht es bei Instagram. Ob es wirklich mehr wird, lässt sich nicht sagen. Aber klar ist, dass Esoteriker alle Kanäle nutzen. Es gibt verstärkende Elemente, wie den Empfehlungsalgorithmus von Tiktok, wodurch man schnell in sich selbst bestätigende Bubbles rutschen kann. Bei Tiktok heißt es etwa in Videos, dass, wenn man einen bestimmten Ton 50-mal abspielt, ein Wunsch in Erfüllung geht. Jugendliche glauben, dass sie auf diese Art Gedanken „manifestieren“ können, was eigentlich nur ein anderes Wort für zaubern ist.

„Gefährlicher Glaube – Die radikale Gedankenwelt der Esoterik“, 22 Euro, Quadriga Verlag.

Viele machen sich über solche Praktiken und Trends lustig. Wird so verharmlost, was in der esoterischen Welt vor sich geht?

Pia Lamberty: Es gibt Menschen, die glauben, dass es eine Form der politischen Auseinandersetzung ist, wenn man sich über etwas lustig macht. Humor kann zwar eine Form der Auseinandersetzung sein, aber sie darf natürlich nicht da stehen bleiben.

Katharina Nocun: Im Rahmen der Recherche habe ich mir online einen Gebärmutterreinigungskurs von einer selbsternannten sibirischen Schamanin angeschaut. Da geht man natürlich mit einer skeptischen Grundhaltung rein. Ich sollte in meine Gebärmutter reinhorchen, hab natürlich nichts gehört. Doch dann bleibt einem das Lachen im Hals stecken. Den Teilnehmerinnen wird erzählt, dass sich durch den Sex in vergangenen Partnerschaften negative Energien in der Gebärmutter angereichert haben und dass dies ihr Glück behindere. Die Lösung: ein mehrteiliger, kostspieliger Workshop. Diese Gebärmutterreinigung soll dann auch bei unerfülltem Kinderwunsch oder Krebs helfen. Andere Frauen, die vielleicht zeitgleich vor dem Rechner saßen, haben da womöglich fleißig mitgeschrieben. Das war gruselig.

Eine Gefahr sehen Sie nicht nur bei unbehandelten Krankheiten, sondern auch für unsere Demokratie. Wieso?

Pia Lamberty: Schon immer steckte in esoterischen Welten auch völkisches Gedankengut. Die dort weitverbreitete Fortschrittsfeindlichkeit und Antimoderne ist häufig ein Einfallstor für Antisemitismus. Teilweise geht das so weit, dass Juden und Jüdinnen die Schuld an der Shoah gegeben wird. Ein Problem ist, dass Esoterik sich als apolitisch versteht und die Menschenverachtung so von vielen übersehen wird.

Katharina Nocun: Natürlich ist nicht jede Form von Esoterik automatisch faschistisch. Aber im Bereich Gesundheit haben Esoteriker und Rechtsex­treme teils ähnliche Feindbilder. Wie bei Verschwörungserzählungen zum Thema Impfen, wo manchmal von der „verjudeten Schulmedizin“ die Rede ist. Ein Extrembeispiel ist die „Germanische Neue Medizin“ nach Ryke Geerd Hamer. Der behauptete, dass Krebs auf Ungleichgewichte oder Schockerlebnisse im Leben zurückzuführen ist. Statt Strahlentherapie, Chemo oder OPs schlug er Gesprächstherapie oder ein Lied als Behandlung vor.

Dass Menschen, die seiner pseudomedizinischen Lehre folgten, gestorben sind, ist bekannt. Wieso glauben Menschen trotz allem daran?

Pia Lamberty: Eine Krebsdiagnose ist furchtbar. Und der Ansatz von Hamer bietet die Möglichkeit zu glauben, dass das eigentlich alles gar nicht so schlimm ist, sondern nur ein verdrängter Konflikt, weil man als Kind vom Boot gefallen ist oder Ähnliches. In diese Hoffnung fliehen sich die Menschen. Der Antisemitismus, den es in seiner Ideologie gibt, wird dann einfach ignoriert oder findet sogar Zustimmung.

Katharina Nocun: Angehörige der Opfer von Hamer sagten, dass er als charismatischer Führer wahrgenommen wurde. Und er befeuerte das Narrativ von der bösen Medizin und der guten Esoterik. Da wird etwa von gierigen Pharmaunternehmen gesprochen, wenn aber Esoteriker Umsätze in Millionenhöhe machen, wird das gerne ausgeblendet. Dass Esoteriker natürlich auch ihre Markenrechte patentieren lassen und diese auch vor Gericht durchsetzen, wird einfach ignoriert.

Für Fach­ärz­t*in­nen und Psychotherapie gibt es lange Wartezeiten. Werden esoterische Angebote aus Alternativlosigkeit angenommen?

Pia Lamberty: Empirisch sieht es so aus: Menschen gehen nicht aus Frustration zum Heilpraktiker, sondern eher aus ideologischen Gründen. Aber klar gibt es die Situation, dass es zu wenig Psychotherapieangebote gibt, und dann greifen Menschen auf Heilpraktiker zurück. Um Psychotherapie anbieten zu können, müssen diese allerdings nur einen „kleinen Heilpraktiker“ machen, was einer mündlichen Prüfung mit 28-Multiple-Choice-Fragen entspricht. Fatal, wie da vom Gesetzgeber die Psyche von Menschen behandelt wird.

Katharina Nocun: Vielen ist nicht klar, wie unreguliert der Markt für Heilpraktiker ist. Es ist gefährlich, wenn Esoterik sich mit dem Label „Alternativmedizin“ versucht, als gleichwertige Alternative zur evidenzbasierten Medizin zu etablieren. Eine ähnliche Mogelpackung ist die „Ganzheitlichkeit“. Jeder projiziert da etwas anderes drauf. Niemand würde sagen, er wünsche sich keine ganzheitliche Medizin. Viele Menschen könnten bei einer Krebsdiagnose neben einer onkologischen Behandlung auch von einer psychotherapeutischen Begleitung profitieren. Aber da braucht es keinen Heiler oder Guru, sondern ausgebildete Psychologen.

Wenn die taz kritisch über Homöopathie und Anthroposophie berichtet, gibt es böse Leserbriefe. Viele, die schon tief in der esoterischen Welt verwurzelt sind, scheinen mit Fakten nicht mehr erreichbar. Kann man mit Ihrem Buch dann überhaupt die Richtigen erreichen?

Pia Lamberty: Ich freue mich über jede Person, die sich in diesem Milieu bewegt und das Buch liest. Letztendlich ist es wie immer: Wenn jemand ein sehr geschlossenes Weltbild hat, ist es schwer, die Menschen über Fakten zu erreichen. Die Sektenberatungsstelle in NRW, mit der wir auch gesprochen haben, kann in solchen Momenten ein Ansprechpartner sein. Am besten funktioniert ein Eingreifen im Privaten mit professioneller Unterstützung. Generell ist mein Eindruck, dass Fakten immer weniger zählen. Selbstverständlich ist vieles diskutabel, aber bestimmte Dinge sind Fakten. Wie: Homöopathie wirkt nicht über einen Placeboeffekt hinaus. Punkt.

Katharina Nocun: Natürlich fühlt man sich angegriffen, wenn jemand einem sagt: Hör mal, hier gibt es Studien, die zeigen, dass das, worauf du all die Jahre gesetzt hast, keine wissenschaftliche Grundlage hat. Menschen fühlen sich extrem angegriffen, wenn man auch nur andeutet, dass ein Placeboeffekt bei ihnen gewirkt haben könnte. Sie fühlen sich in ihrem Schmerz nicht ernst genommen. Da muss sich für mich auch in der gesellschaftlichen Diskussion etwas ändern, damit der Placeboeffekt nicht mehr als etwas Schambesetztes empfunden wird. Doch gleichzeitig war Homöopathie vor 50 Jahren lange nicht so verbreitet wie heute. Kri­ti­ke­r*in­nen von Homöopathie werden teils unter Druck gesetzt, teils sogar juristisch eingeschüchtert.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Katharina Nocun: Die Ärztin Natalie Grams-Nobmann sollte eine Unterlassungserklärung abgeben für den Satz, dass Homöopathie nicht über den Placeboeffekt hinaus wirkt. Sie hat sich geweigert. Es gibt eine finanziell starke Homöopathie-Lobby, die weiter ihre Produkte verkaufen möchte. Doch eine emanzipatorische Gesellschaft muss sich klarmachen, dass von wissenschaftsfeindlichen Haltungen auch immer Risiken ausgehen – nicht nur in Bezug auf die Gesundheit.

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