Wut auf Deutschland: Gekränktes Italien
Italien fühlt sich von der EU – insbesondere von Deutschland – alleingelassen. Rückhalt gibt es aus allen politischen Lagern.
Und das, so Solenghi, nachdem sie zwei Weltkriege angerichtet und sechs Millionen Juden ermordet haben. Jetzt seien sie wieder da mit ihrer „erbarmungslosen Arroganz“, mit ihrem Glauben, sie seien „eine überlegene Rasse“.
In der Coronakrise fühlt Italien sich wieder einmal alleingelassen, von Europa, vorneweg von Deutschland. Es fing damit an, dass Deutschland in den ersten Märztagen – als in Italien schon die Fallzahlen nach oben schnellten – die Ausfuhr von Schutzmasken verbot. Eine Woche später machte Berlin einen Rückzieher, doch die Italiener hatten sich die Nachricht gemerkt.
Als Helfer standen ganz andere da, China, Russland, Kuba, die mit großen Materiallieferungen, mit der Entsendung von Ärzten und Pflegepersonal Schlagzeilen machten. Dass mittlerweile 26 italienische Covid-19-Patienten auf deutschen Intensivstationen behandelt werden, dass dort weitere 81 Plätze reserviert sind, ging dagegen in der italienischen Öffentlichkeit weitgehend unter.
Zum Scheitern verurteilt
Und dann kam der Europäische Gipfel vom 26. März. Italien, Spanien, Frankreich und sechs weitere Länder traten dort mit der Forderung auf, europäische Coronabonds aufzulegen, um eine gemeinsame und starke Antwort auf die heranziehende Rezession zu haben. Schon im Vorfeld allerdings hatte der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier das Vorhaben mit den Worten abgeschmettert, „die Diskussion über Euro-Bonds ist eine Gespensterdebatte“.
Unter dieser Prämisse konnte der Gipfel nur scheitern – vorneweg die Niederlande, aber auch Deutschland und Österreich mauerten. Den Alternativvorschlag, statt über Eurobonds solle den am härtesten getroffenen Ländern wie Italien und Spanien mit Ressourcen aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) geholfen werden, wies Italiens Regierungschef Giuseppe Conte brüsk zurück.
„Mit der Brille von vor zehn Jahren“ schaue da Deutschland auf die Probleme von heute, erklärte er, und in einem Interview mit der „Tagesschau“ legte er nach: „Ich sage allen deutschen Bürgern: Wir schreiben nicht eine Seite eines Wirtschaftshandbuchs, sondern eine Seite eines Geschichtsbuchs“.
Am ESM stört vor allem, dass seine Hilfen gewöhnlich an strenge Auflagen gebunden sind, wie sie Griechenland oder Spanien im Zuge der Eurokrise erdulden mussten. Conte darf sich mit seiner Position der Zustimmung aller politischen Lager von links bis rechts sicher sein – die Rechte allerdings legt noch einen Gang zu. So findet Matteo Salvini, Chef der rechtsnationalistischen Lega: „Zuerst besiegen wir das Virus, dann müssen wir dieses Europa überdenken. Und, wenn es nötig ist, verabschieden wir uns“.
Tiefe Enttäuschung über Europa
Unter den Bürgern ist das Bild nicht anders. Gleich zwei Meinungsumfragen aus den letzten Tagen kommen zu dem Schluss, 65 Prozent seien tief enttäuscht über Europa, und stolze 42 Prozent teilen gar die Aussage, das Handeln der EU sei „ein weiteres Motiv auszutreten“.
Mittlerweile hat sich der europäische Diskurs allerdings verschoben. Jetzt ist die Rede davon, ESM-Mittel könnten ohne Bedingungen fließen. Und Italien nimmt auch zur Kenntnis, dass die EU-Kommission 100 Milliarden Euro gegen die Arbeitslosigkeit bereitstellen will. Womöglich lässt sich doch noch ein Kompromiss finden – anderenfalls steht Contes Ansage im Raum, „sonst machen wir es eben alleine“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus