Wende in der Causa Stefan Gelbhaar: #MeToo als Waffe
Offenbar sind die Vorwürfe sexueller Belästigung gegen den Grünen-Politiker erfunden. Damit wurde der #MeToo-Bewegung erheblicher Schaden zugefügt.
D er Schaden ist immens: persönlich für den Grünen Stefan Gelbhaar, dem die mutmaßlich erfundenen Vorwürfe der sexuellen Belästigung die Karriere zerschmetterten; politisch, weil die Grünen kurz vor der Bundestagswahl mit einem innerparteilichen Skandal zu kämpfen haben, der sie Stimmen kosten könnte. Vor allem aber erfährt die #MeToo-Bewegung einen herben Rückschlag.
Und das ausgerechnet nach dem Mammutprozess in Avignon, in dem sämtliche Angeklagten zu langen Haftstrafen verurteilt worden sind. Laure Chabaud, die zuständige Staatsanwältin, war überzeugt davon, dass der Prozess sowohl „Vermächtnis für zukünftige Generationen“ als auch „Hoffnung für alle Opfer sexueller Gewalt“ sei. Die wichtigsten Stichworte hier sind Vermächtnis und Hoffnung – für Frauen, die vor allem Opfer von sexueller Gewalt sind.
Und dann zerstören – nach jetzigem Kenntnisstand – ausgerechnet Grünen-Politikerinnen, deren Partei den Kampf gegen sexuelle Gewalt als eines ihrer wichtigsten emanzipatorischen Themen propagiert, diese Hoffnung.
Warum? Persönliche Rache? Politische Intrige? Solange diejenigen, die sich die Anschuldigungen vermutlich ausgedacht haben, dazu nicht reden, bleiben Gründe für dieses menschliche Fehlverhalten Spekulationen. Vielmehr dürften sich all jene, denen die #MeToo-Bewegung ohnehin in jeglicher Hinsicht missfiel, auf die Schenkel klopfen: Alles Lüge, da seht ihr es mal! Das ist fatal, nicht nur in Deutschland, wo #MeToo-Vorwürfe mittlerweile ernster genommen werden. Durch den allgemeinen globalen Rechtsruck kriechen allerorten die Maskulinisten, die in den vergangenen Jahren durch eine weltweit erstarkte feministische Bewegung in ihre Schranken gewiesen worden waren, aus ihren Löchern und triumphieren.
#MeToo sollte – und wird das auch weiterhin tun – sexuelle Gewalt anprangern und eindämmen. Aber derlei Vorwürfe können auch als Waffe eingesetzt werden. Von Frauen selbst. Das ist – neben all den Schäden – keine neue, aber eine der bittersten Lehren aus der Causa Gelbhaar.
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