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Wende in der Causa Stefan Gelbhaar#MeToo als Waffe

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Offenbar sind die Vorwürfe sexueller Belästigung gegen den Grünen-Politiker erfunden. Damit wurde der #MeToo-Bewegung erheblicher Schaden zugefügt.

Vom vermeintlichen Täter zum Opfer: Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar Foto: Annette Riedl/dpa

D er Schaden ist immens: persönlich für den Grünen Stefan Gelbhaar, dem die mutmaßlich erfundenen Vorwürfe der sexuellen Belästigung die Karriere zerschmetterten; politisch, weil die Grünen kurz vor der Bundestagswahl mit einem innerparteilichen Skandal zu kämpfen haben, der sie Stimmen kosten könnte. Vor allem aber erfährt die #MeToo-Bewegung einen herben Rückschlag.

Und das ausgerechnet nach dem Mammut­prozess in Avignon, in dem sämtliche Angeklagten zu langen Haftstrafen verurteilt worden sind. Laure ­Chabaud, die zuständige Staatsanwältin, war überzeugt davon, dass der Prozess ­sowohl „Vermächtnis für zukünftige Genera­tio­nen“ als auch „Hoffnung für alle Opfer sexueller Gewalt“ sei. Die wichtigsten Stichworte hier sind Vermächtnis und Hoffnung – für Frauen, die vor allem Opfer von sexueller Gewalt sind.

Und dann zerstören – nach jetzigem Kenntnisstand – ausgerechnet Grünen-Politikerinnen, deren Partei den Kampf gegen sexuelle Gewalt als eines ihrer wichtigsten emanzipatorischen Themen propagiert, diese Hoffnung.

Warum? Persönliche Rache? Politische Intrige? Solange diejenigen, die sich die Anschuldigungen vermutlich ausgedacht haben, dazu nicht reden, bleiben Gründe für dieses menschliche Fehlverhalten Spekulationen. Vielmehr dürften sich all jene, denen die #MeToo-Bewegung ohnehin in jeglicher Hinsicht missfiel, auf die Schenkel klopfen: Alles Lüge, da seht ihr es mal! Das ist fatal, nicht nur in Deutschland, wo #MeToo-Vorwürfe mittlerweile ernster genommen werden. Durch den allgemeinen globalen Rechtsruck kriechen allerorten die Maskulinisten, die in den vergangenen Jahren durch eine weltweit erstarkte feministische Bewegung in ihre Schranken gewiesen worden waren, aus ihren Löchern und triumphieren.

#MeToo sollte – und wird das auch weiterhin tun – sexuelle Gewalt anprangern und eindämmen. Aber derlei Vorwürfe können auch als Waffe eingesetzt werden. Von Frauen selbst. Das ist – neben all den Schäden – keine neue, aber eine der bittersten Lehren aus der Causa Gelbhaar.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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3 Kommentare

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  • Was man daran sehen kann: Dass reflexartige Canceln von Leuten auf Grund gerichtlich ungeprüfter Anschuldigungen funktioniert nicht.

    Was man aber sehen kann: #MeToo ist in der Lage zwischen vermeintlichen und tatsächlichen Tätern zu unterscheiden und man ist bereit Fehler einzugestehen. Das hilft zwar Herrn Gelbhaar nicht - aber es entkräftet das maskulistische Argument, dass #MeToo eine reine Hexenjagd ist.

  • Frauen sind eben keine besseren Menschen - und als Täterinnen und Mittäterinnen völlig unterschätzt.

    • @Alex59:

      irgendwie schon:

      Statistisch gesehen begehen Frauen etwa viermal weniger Straftaten als Männer und sind auch wesentlich seltener an schweren Straftaten beteiligt.