Volkswiderstand in der Ukraine: Das Unmögliche ist doch möglich
Wenn Menschen bereit sind, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, kann die aussichtsloseste Situation überwunden werden. So wie in Sarajevo vor 30 Jahren.
W as Russlands Präsident Wladimir Putin und viele Experten anfänglich unterschätzt haben, ist der Widerstandswillen des ukrainischen Volkes. Es geht nicht mehr nur um den Kampf der ukrainischen Armee gegen die Aggression. Diejenigen, die ihre Autos vor die anrollenden Panzer platzieren oder sogar unbewaffnet den Panzern entgegentreten, fragen nicht mehr nach den Konsequenzen. Leute mit dem Willen, ihr Land zu verteidigen, sind bereit, ihr Leben zu geben. Sie haben Mut. Wenn Schauspieler, Sänger, Sportler zu den Waffen greifen, zeigt sich ein breiter Volkswiderstand. Mit hoher Moral und Kampfeswillen.
Neue Strukturen des Widerstands bilden sich überall im Land heraus. Kiew, eine Stadt mit drei Millionen Einwohnern, ist nicht so leicht zu erobern. Die Kriegsmaschinerie der Russen wird versuchen, diese Stadt, wie auch andere, mit Raketen und schwerer Artillerie anzugreifen und sie in Trümmer zu schießen. Doch wenn die russische Armee die Stadt wirklich erobern will, wird sie in einen Haus-zu-Haus-Kampf eintreten müssen. Der wird viele Opfer fordern. Die Angreifer mögen überlegene Waffen haben, aber die Moral der Verteidiger haben sie nicht.
Wenn Menschen bereit sind, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, kann auch die aussichtsloseste Situation überwunden werden. Das zeigte Sarajevo vor 30 Jahren. Von serbischen Truppen des Kriegsverbrechers Ratko Mladić eingeschlossen, saßen ab 1992 über 400.000 Menschen strategisch ungünstig in einem Kessel, den Artilleriestellungen der Feinde in den Bergen ausgeliefert. 500 bis 1.500 Geschosse trafen täglich die Stadt.
Die Wasserleitungen waren gekappt, der Strom war abgestellt. Eine Heizung gab es nicht. Die Menschen hungerten. Über drei lange Jahre. Die Welt weigerte sich, Waffen zu liefern. Trotzdem hielten sie an ihrem Widerstand fest. Bis dann doch endlich 1995 internationale Hilfe kam. 13.000 Menschen waren tot, 56.000 wurden zum Teil schwer verwundet.
Die Ukrainer haben offene Grenzen, werden jetzt mit Waffen unterstützt. Sie haben einen wunderbaren Präsidenten und damit eine umsichtige, charismatische und moderne Führung. Ihre Lage ist nicht aussichtslos. Europa und die Welt beginnen zu begreifen, dass die Ukraine ein Bollwerk gegen einen aus der Zeit gefallenen Despotismus ist – und damit auch für das demokratische Europa. Seit Jahren greift Putin die liberalen Demokratien an, indem er gefährliche rechtsradikale nationalistische Parteien in ganz Europa unterstützt.
Mit dem Geist des Widerstandes aber lässt sich vieles aushalten und überstehen. Dass man nie die Hoffnung aufgeben darf, zeigten die Bewohner Sarajevos vor 30 Jahren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben