Volkswiderstand in der Ukraine: Das Unmögliche ist doch möglich

Wenn Menschen bereit sind, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, kann die aussichtsloseste Situation überwunden werden. So wie in Sarajevo vor 30 Jahren.

Männer mit Waffen und Gitarre singen.

Mitglieder des ukrainischen Zivilschutzes in Kiew am 28. Februar Foto: Vadim Ghirda/ap

Was Russlands Präsident Wladimir Putin und viele Experten anfänglich unterschätzt haben, ist der Widerstandswillen des ukrainischen Volkes. Es geht nicht mehr nur um den Kampf der ukrainischen Armee gegen die Aggression. Diejenigen, die ihre Autos vor die anrollenden Panzer platzieren oder sogar unbewaffnet den Panzern entgegentreten, fragen nicht mehr nach den Konsequenzen. Leute mit dem Willen, ihr Land zu verteidigen, sind bereit, ihr Leben zu geben. Sie haben Mut. Wenn Schauspieler, Sänger, Sportler zu den Waffen greifen, zeigt sich ein breiter Volkswiderstand. Mit hoher Moral und Kampfeswillen.

Neue Strukturen des Widerstands bilden sich überall im Land heraus. Kiew, eine Stadt mit drei Millionen Einwohnern, ist nicht so leicht zu erobern. Die Kriegsmaschinerie der Russen wird versuchen, diese Stadt, wie auch andere, mit Raketen und schwerer Artillerie anzugreifen und sie in Trümmer zu schießen. Doch wenn die russische Armee die Stadt wirklich erobern will, wird sie in einen Haus-zu-Haus-Kampf eintreten müssen. Der wird viele Opfer fordern. Die Angreifer mögen überlegene Waffen haben, aber die Moral der Verteidiger haben sie nicht.

Wenn Menschen bereit sind, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, kann auch die aussichtsloseste Situation überwunden werden. Das zeigte Sarajevo vor 30 Jahren. Von serbischen Truppen des Kriegsverbrechers Ratko Mladić eingeschlossen, saßen ab 1992 über 400.000 Menschen strategisch ungünstig in einem Kessel, den Artilleriestellungen der Feinde in den Bergen ausgeliefert. 500 bis 1.500 Geschosse trafen täglich die Stadt.

Die Wasserleitungen waren gekappt, der Strom war abgestellt. Eine Heizung gab es nicht. Die Menschen hungerten. Über drei lange Jahre. Die Welt weigerte sich, Waffen zu liefern. Trotzdem hielten sie an ihrem Widerstand fest. Bis dann doch endlich 1995 internationale Hilfe kam. 13.000 Menschen waren tot, 56.000 wurden zum Teil schwer verwundet.

Die Ukrainer haben offene Grenzen, werden jetzt mit Waffen unterstützt. Sie haben einen wunderbaren Präsidenten und damit eine umsichtige, charismatische und moderne Führung. Ihre Lage ist nicht aussichtslos. Europa und die Welt beginnen zu begreifen, dass die Ukraine ein Bollwerk gegen einen aus der Zeit gefallenen Despotismus ist – und damit auch für das demokratische Europa. Seit Jahren greift Putin die liberalen Demokratien an, indem er gefährliche rechtsradikale nationalistische Parteien in ganz Europa unterstützt.

Mit dem Geist des Widerstandes aber lässt sich vieles aushalten und überstehen. Dass man nie die Hoffnung aufgeben darf, zeigten die Bewohner Sarajevos vor 30 Jahren.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.