Deutsch-russischer Austausch: Vor den Kopf gestoßen

Die Beziehungen der deutsch-russischen Zivilgesellschaft leiden unter dem Krieg. Das ist auch im traditionell russlandfreundlichen Sachsen zu spüren.

Mädchen und Jungen singen auf einer Empore, eine deutsche und russische Fahne hängt herunter

Beim Singen friedlich vereint: Jugendchöre aus Deutschland und Russland 2006 in Hamburg Foto: Maurizio Gambarini/picture alliance

DRESDEN taz | Ungefähr 30 Partnerschaftsabkommen hat Stefan Melle als Geschäftsführer des Deutsch-Russischen Austausches (DRA) kündigen müssen, seit die Nichtregierungsorganisation und ihr gleichnamiger Petersburger Partner im Mai des Vorjahres als unerwünscht eingestuft wurden. Ein faktisches Betätigungsverbot auf russischem Boden. Der Veranstaltungsplan zeigt nur noch wenige Bildungsveranstaltungen in Deutschland. Von der Unterstützung der Zivilgesellschaft, Begegnungen, Austauschprogrammen und Projekten ist außer stillen Kontakten nichts geblieben.

Melles Urteil über das „feudale“ Regime der sowjetisch geprägten Führungsclique im Kreml fällt deshalb nicht erst seit Kriegsbeginn vernichtend aus. „Putin hasst NGOs“, sagt Melle und schreibt diese Feindseligkeit dem generellen russischen „Verfolgungswahn“ durch Ausländer und Putins genereller Abneigung gegen westliche Freiheiten zu.

Melles Amtsantritt beim DRA fiel 2006 mit dem ersten NGO-Gesetz zusammen. In dessen Folge wurde zum Beispiel eine in Moskau lebende deutsche Sozialarbeiterin nicht mehr ins Land gelassen, die sich um überlebende Kinder und Jugendliche in Beslan kümmerte. Nach einer Geiselnahme durch nordkaukasische Terroristen hatten 2004 russische Spezialkräfte bei der Erstürmung 331 Geiseln getötet.

„Putin stößt alle vor den Kopf, die gut mit ihm auskommen wollen“, ist der Geschäftsführer nach dem Verbot deutsch-russischer Begegnungen verständlicherweise frustriert. All die jetzt vom Westen spät entdeckten Kreml-Träume von einer Großmacht und einer schrittweisen Wiederherstellung der Sowjet­union sind ihm längst geläufig. Stefan Melle zieht eine gerade Linie von Putins Amtsantritt vor 22 Jahren zum Überfall auf die Ukraine.

„Ein Gefühl der Sinnlosigkeit“

Das dem DRA in seinen Gründungsintentionen von 1993 verwandte Deutsch-Russische Forum ist seit Längerem nur noch ein Hohlkörper, obschon es anders als der auf Basisbegegnungen ausgerichtete DRA wirtschaftlicher orientiert war. Der Petersburger Dialog ist nur noch Geschichte. Brandenburgs ehemaliger Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) als Vorsitzender war in den letzten Wochen lange kaum erreichbar, bevor er sich jetzt in Interviews „fassungslos“ äußerte. Er habe nun „ein Gefühl der Sinnlosigkeit“, sagte er etwa im Gespräch mit der taz. Das Forum verurteilt den „schwerwiegenden Bruch des Völkerrechts“, der durch nichts zu rechtfertigen sei.

Auf der Webseite der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch mit Sitz in Hamburg ist der Krieg noch gar nicht angekommen. Weiter werden Stiftungsprojekte genannt und Handreichungen für deren Organisation vermittelt.

Von Pressesprecherin Katrin Haft hört man dazu Erstaunliches. Sie nennt zuerst die Corona-Hindernisse, die man dank langjähriger Kontakte durch digitale Begegnungen überwinden konnte. Zuvor habe es keine politischen Beeinträchtigungen, sondern sogar eine steigende Tendenz gegeben „Erste Austauschprojekte fanden in den letzten Wochen in Russland bereits wieder in Präsenz statt“, berichtet sie. Junge Menschen, Schulen und Organisatoren dort seien an außerschulischer Bildungsarbeit „enorm“ interessiert.

Bei ausgeschriebenen Veranstaltungen kamen bis zu 200 Bewerber auf einen Platz, die Stiftungsmittel waren überfordert. Zwar hätten sich die Verschlechterung der deutsch-russischen Beziehungen und die restriktiveren Visa-Regelungen bemerkbar gemacht. Und „tief erschüttert“ könne man über den Fortgang der Begegnungen nach Kriegsbeginn noch nichts sagen. „Gleichwohl sind wir davon überzeugt, dass der Kontakt zur russischen Zivilgesellschaft aufrechterhalten werden muss“, schließt Katrin Haft.

Putin wurde in Sachsen lange hofiert

Die Deutsch-Russische Gesellschaft in Leipzig und das Kulturinstitut in Dresden reagierten lange nicht auf Anfragen. Schon 2016 mit einer ähnlichen Frage konfrontiert, zeigte sich, dass man sich in Leipzig eher auf die Betreuung und Integration von Spätaussiedlern und in Dresden eher auf reine Kulturarbeit konzentriert.

„Wir bauen weiter Brücken“, bekräftigt nun der langjährige Dresdner Vereinsvorsitzende Wolfgang Schälike. Besonders hoffnungsvoll klingt er dabei aber nicht. Es gebe auf beiden Seiten „Kräfte, die keine Brücken haben wollen“. Von der Stadt Dresden fühlt man sich ohnehin vernachlässigt, so Schälike. Er konstatiert zunehmendes Desinteresse. Was ihn den „verstärkten Nationalismus überall“ bedauern lässt. Der Veranstaltungskalender in der Dresdner Villa mit dem Zwiebelturm, übrigens auf russischem Boden stehend, ist weiterhin gut gefüllt, wenn auch fast ausschließlich mit traditionellen und kulturellen Themen.

Ist auch der NGO-Austausch weitgehend zum Erliegen gekommen, hat doch Sachsen auf offizieller Ebene Putin stets hofiert. Immerhin arbeitete er in den 1980er Jahren als KGB-Geheimdienstoffizier in Dresden. Seinen Staatsbesuch in der Bundesrepublik 2001 beschloss er denn auch in der sächsischen Landeshauptstadt. 2009 verlieh ihm der Semperopernball den St.-Georgs-Orden, überreicht von Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU).

Dessen Nachfolger Michael Kretschmer (CDU) lud Putin noch 2019 nach Sachsen ein. Widerrufen wurde die Einladung bisher nicht. Am Tag des Kriegsbeginns wich die Staatskanzlei der peinlichen Nachfrage mit dem Hinweis aus, das Thema sei nicht Gegenstand der Kabinettssitzung gewesen.

Ebenso wenig zurückgenommen hat der Landrat des Kreises Märkisch-Oderland, Gernot Schmidt (SPD), seine Einladung an Putin in die Gedenkstätte auf den Seelower Höhen, wo am Ende des Zweiten Weltkriegs die Entscheidungsschlacht um Berlin eingeleitet wurde. Trotz der Erfahrungen mit der einstigen Besatzungsmacht hält sich die Russlandfreundlichkeit in der ehemaligen DDR auffallend stark. In der ersten Kriegswoche kippte die Stimmung laut einer MDR-Umfrage unter mehr als 20.000 Teilnehmern schlagartig. Rund drei Viertel halten nun die Kremlpolitik für gefährlich.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.