Sondierungen gescheitert: Jamaika? Neinmaika!
Die FDP lässt die Sondierungen in der Nacht auf Montag platzen. Union und Grüne zeigen eine bislang ungewohnte Nähe.
Aber der FDP-Chef, sonst nie um eine geschliffene Bemerkung verlegen, will jetzt nicht antworten. Er weiß, dass die Fragen ein schlechtes Licht auf ihn werfen. Wo ist die staatspolitische Verantwortung der FDP geblieben? Was ist der wahre Grund für den Ausstieg? Hat er Angst vor dem Regieren?
Kurz zuvor hat er sich in der kalten Nachtluft im Scheinwerferlicht vor der Landesvertretung Baden-Württembergs in Berlin aufgebaut. Neben ihm sein Vize Wolfgang Kubicki, Generalsekretärin Nicola Beer und die anderen FDP-Verhandler, alle mit steinernen Mienen. Lindner schaut immer wieder auf den Zettel, auf dem er sich Notizen gemacht hat. Seine Hände zittern etwas, vielleicht nur wegen der Kälte.
„Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“, sagt Lindner. Es sei nicht gelungen, eine Vertrauensbasis zu schaffen. Das wäre aber die Voraussetzung für eine stabile Regierung gewesen. „Nach Wochen liegt aber heute unverändert ein Papier mit zahllosen Widersprüchen, offenen Fragen und Zielkonflikten vor.“ Den Geist des Sondierungspapiers könne und wolle die FDP nicht verantworten. „Viele der diskutierten Maßnahmen halten wir sogar für schädlich.“
Merkel nüchtern
Damit platzt jäh der Traum eines Jamaika-Bündnisses. Lindners Entscheidung, überraschend aus den Sondierungen auszusteigen, löst ein politisches Beben aus. Und es lässt sich im Moment schwer vorhersagen, welche Trümmer es hinterlässt.
Kanzlerin Angela Merkel steht vor einer der schwersten Krisen ihrer Amtszeit. Die SPD muss sich überlegen, ob sie von ihrem kategorischen Nein zu einer Großen Koalition abrückt. Und die Deutschen müssen vielleicht neu wählen, nach einem langwierigen Prozess, in dem der Bundespräsident eine wichtige Rolle spielt.
Es dauert eine Stunde, bis sich die Verhandler von Union und Grünen so weit sortiert haben, um Statements abzugeben. Merkel reagiert, wie man es von ihr kennt: geschäftsmäßig, nüchtern und ruhig. Die Union habe geglaubt, dass man gemeinsam auf einem Weg gewesen sei, bei dem man eine Einigung hätte erreichen können, sagt sie. CDU und CSU hätten nichts unversucht gelassen, um eine Lösung zu finden. Auch beim Thema Migration hätte man eine Lösung mit den Grünen finden können. An der Union und den Grünen, so Merkels Botschaft, lag es jedenfalls nicht.
Fast herzliche Vertrautheit
Auch CSU-Chef Horst Seehofer lässt niemanden im Unklaren, wen er für den Schuldigen des Schlamassels hält. Dass die FDP ausgestiegen sei, bedeute eine Belastung für die Bundesrepublik Deutschland, sagt er. Er sei über weite Strecken des Tages davon ausgegangen, dass es am Ende Sondierungsergebnisse geben werde, die man den Parteigremien vorlegen könne. Eine Einigung sei „zum Greifen nah“ gewesen.
Dann kommt ein interessantes Lob aus dem Munde des Mannes, der die Obergrenze wie eine Monstranz vor sich hergetragen hatte. Auch bei der schwierigen Frage der Zuwanderung „wäre eine Einigung möglich gewesen.“ Auch diese Sätze zielen auf die Grünen. Jene hatten sich sogar in der heiklen Flüchtlingspolitik maximal kompromissbereit gezeigt. Sie boten etwa an, einen Rahmen von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr zu akzeptieren. Am Ende dankt Seehofer dann noch ausdrücklich Merkel.
Die Unionsleute fangen an zu klatschen, aber nicht nur die. Auch Jürgen Trittin applaudiert, ebenso Claudia Roth, andere Grüne auch. In diesen Minuten lässt sich gut beobachten, dass da etwas gewachsen ist zwischen den Schwarzen und Grünen in den vergangenen Wochen. Es spielen sich Szenen fast herzlicher Vertrautheit ab.
Merkel lächelt der jungen Grünen Agnieszka Brugger zu, sagt zu Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann: „Das ist auch so eine Kämpferin.“ Dafür wird sie von Claudia Roth umarmt. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter scherzt mit CDU-Finanzminister Peter Altmaier und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Man mag sich, man schätzt sich.
Näher als gedacht
Vielleicht, denkt man da, könnten die Zeiten der FDP als natürlicher Partnerin der Union bald vorbei sein. Ob Lindner das bedacht hat? Hinter vorgehaltener Hand formulierten manche CDU-Politiker, was sie von Lindners Hasadeursstück halten. Die FDP sei immer eine staatstragende Partei gewesen, sagte einer. Er sei gespannt, wie das FDP-Klientel, etwa die Unternehmerschaft, auf den Ausstieg reagiere.
Die Spitzenleute der Grünen hielten der FDP offen vor, sich vor der Verantwortung gedrückt zu haben. „Ein Bündnis hätte zustande kommen können“, sagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Bei Klimaschutz, Landwirtschaft und Migration sei man am Ende näher beieinander gewesen, als man es gedacht hätte.
Parteichef Cem Özdemir sagte, die Grünen hätten bis zur letzten Sekunde die Bereitschaft gehabt, eine Koalition zu bilden. „Ein Partner hatte diese Bereitschaft nicht.“ Die FDP habe die einzig mögliche Konstellation zur Regierungsbildung „leider abgelehnt und zunichte gemacht“. Die Grünen seien bei vielen Themen an ihre Schmerzgrenzen und darüber hinaus gegangen.
Versuchte Provokation
Führende Grünen- und CDU-Politiker erzählen unisono, dass der FDP gute inhaltliche Angebote gemacht worden seien. So habe man ihr etwa den schrittweisen Abbau des Soli bis 2021 garantiert, so dass im letzten Jahr der Legislaturperiode drei Viertel aller Menschen keinen Solidaritätszuschlag mehr bezahlt hätten. Auch bei der Vorratsdatenspeicherung habe es noch Zugeständnisse gegeben. „Die FDP hätte ein dickes Paket bekommen“, sagte ein wichtiger Grüner. „Die haben geradezu Anlässe gesucht, um es platzen zu lassen.“
In der Tat hatte die Verhandlungsstrategie der FDP Fragen aufgeworfen. Bei manchen Themen, etwa der Flüchtlingspolitik, suchten die Freidemokraten laut Verhandlern den Schulterschluss mit der CSU oder überholten sie gar rechts. Das würde zu der These passen, dass die FDP die Grünen so lange provozieren wollte, bis jene die Gespräche von sich aus abbrächen. Dann wäre die FDP nicht schuld gewesen.
Dass Lindner sich lieber in der Opposition gegen eine Große Koalition profilieren würde, ist kein abwegiger Gedanke. So kann er die Strategie der nationalliberalen Attacke weiterfahren – und die Partei in Ruhe stabilisieren.
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