Sinn und Zweck der Bauernproteste: Nichtiger Anlass
Die Proteste sind unangemessen und leisten Rechtsextremisten Vorschub. Dabei geht es eigentlich um Peanuts – und um Prestige.
D ie aktuellen Bauernproteste sind unangemessen. Der durchschnittliche Hof verliert nur etwa 1.700 Euro pro Jahr, wenn die Bundesregierung den Rabatt bei der Energiesteuer auf Agrardiesel streicht. Bei zuletzt im Schnitt 115.000 Euro Gewinn der Haupterwerbsbetriebe steht fest: Diese kleine Einbuße wird keinen Hof in die Pleite treiben.
Das Höfesterben hat schon in den 1960er Jahren begonnen. Schon daran lässt sich erkennen, dass seine wichtigste Ursache nicht Subventionsstreichungen oder strengere Umwelt- und Tierschutzvorschriften sind. Denn all das war damals noch kein Thema. Der Grund ist vielmehr, dass die Landwirtschaft vor allem dank neuer Technik so produktiv geworden ist, dass sie mehr Lebensmittel auf den Markt wirft, als die Verbraucher essen können.
Deshalb sind die Preise langfristig gesunken. Um trotzdem noch etwas zu verdienen, senken viele Landwirte ihre Stückkosten, indem sie noch mehr produzieren. Betriebe, die da nicht mithalten können, geben auf – und werden von Konkurrenten geschluckt. Der größte Feind des Bauern ist sein Nachbar, nicht die Bundesregierung.
Um so unverantwortlicher ist, dass Organisationen wie der Bauernverband nun die Wut vieler Landwirte auf die Ampelkoalition schüren. Die Agrarlobby hat aus einem vergleichsweise nichtigen Anlass – den 1.700 Euro jährlich – eine Protestwelle entfacht, die leicht ausufern kann. Rechtsextreme nutzen sie fleißig aus. An mehreren Orten wurden entsprechende Plakate gesichtet – in Wiesbaden zum Beispiel „Tötet Özdemir“, in Berlin „Eure Demokratie ist unser Volkstod“.
Die Extremisten wollen aus dem Protest gegen Subventionskürzungen einen Kampf gegen die Ampel und die liberale Demokratie machen. Der Bauernverband hat solche Ausfälle nicht konsequent verhindert, die Organisation Freie Bauern zeigte sich auf taz-Anfrage sogar ziemlich gleichgültig gegenüber solchen Parolen.
Ihre Kompromisslosigkeit leistet den Rechtsextremen noch weiter Vorschub. Die Ampel will bereits auf rund die Hälfte der ursprünglich geplanten Einsparungen in der Landwirtschaft verzichten. Die Agrardieselsubventionen sollen erst in zwei Jahren ganz wegfallen. Diesen Zuschuss zu streichen ist richtig, weil er dem Klima schadet.
Eigentlich geht es den Organisationen um sich selbst
Doch die Organisationen nutzen die Proteste vor allem für sich selbst. Der Bauernverband will wieder an der Spitze einer Protestbewegung der Branche stehen, diese Rolle hatte er in den letzten Jahren an Gruppen wie „Land schafft Verbindung“ verloren. Die Splitterorganisation der Freien Bauern will Unterstützer gewinnen. Im Interesse der Landwirte ist das alles nicht.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Treibhausgasbilanz von Tieren
Möchtegern-Agrarminister der CSU verbreitet Klimalegende
Ägyptens Pläne für Gaza
Ägyptische Firmen bauen – Golfstaaten und EU bezahlen