Queerfeindlichkeit in Deutschland: Der Hass, der bleibt
Vor einer Woche starb der trans Mann Malte C., nachdem er auf dem CSD in Münster attackiert wurde. Wie geht die Gesellschaft mit Queerfeindlichkeit um?
D er Tod von Malte C. ist in Münster für viele auch eine Woche danach noch unbegreiflich. Auf den Stufen des Historischen Rathauses stehen Sonnenblumen neben Kerzen und Karten, die in Hellblau, Rosa und Weiß gehalten sind – den Farben der trans Flagge.
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Die meisten der Botschaften auf ihnen sind politisch: „Transphobie tötet“, „Schützt uns!“ oder „Rest in power“. Viele Menschen bleiben vor der Treppe des Rathauses stehen, um über Malte C. zu sprechen. „So sinnlos“, sagt eine Person. Eine andere schweigt minutenlang und wirft schließlich eine mitgebrachte Blume zwischen die bunten Karten.
Der Rat der Stadt hat am Mittwoch eine Schweigeminute für Malte C. eingelegt. Die Tat erschüttere ihn weiter „zutiefst“, sagte Oberbürgermeister Markus Lewe, ein CDU-Politiker. „Das geht uns alle an.“
Vor zwei Wochen war Malte C. auf dem lokalen Christopher Street Day von einem Mann mit zwei Faustschlägen ins Gesicht niedergeprügelt worden, als er sich sexistische Beleidigungen des Angreifers gegen mehrere Frauen verbat. Der 25-jährige trans Mann stürzte auf den Asphalt, wurde ins künstliche Koma versetzt – und verstarb sechs Tage später im Krankenhaus. Am gleichen Tag wurde ein Tatverdächtiger gefasst: ein 20-jähriger Tschetschene und früherer Boxer, vorbestraft wegen Körperverletzung.
Ein totgeprügelter trans Mann, mitten in Deutschland – Felix Adrian Schäper kann das immer noch nicht fassen. Malte C. sei zuletzt so glücklich gewesen wie lange nicht, erzählt der Vorstand vom Verein Trans*-Inter*-Münster. Fünf Jahre habe er ihn begleitet, zuletzt habe Malte C. erfolgreich eine Brustoperation hinter sich gebracht.
Für Malte C. war es auch der erste CSD, an dem er sich oberkörperfrei zeigte – für trans Menschen hat das eine besondere Bedeutung. Stolz habe er das Banner des Vereins getragen, erzählt Schäper. Malte C. hatte viel vor, demnächst habe er in eine eigene Wohnung ziehen wollen. Nun ist der 25-Jährige gestorben.
Noch am Tag seines Todes versammelten sich mehrere Tausend Menschen in Münster zu einem Gedenken, auch in anderen Städten fanden Kundgebungen statt. Und überall wurde beklagt: Der Hass gegen queere Menschen nehme zu.
Die Bekundungen legen Leerstellen offen
Auch zahlreiche Politiker*innen bekundeten ihr Entsetzen. Dieses Hassverbrechen müsse „mit aller Härte verfolgt“ werden, forderte Innenministerin Nancy Faeser (SPD). Familienministerin Lisa Paus (Grüne) erklärte, der Angriff zeige, dass man „noch immer für die Gleichstellung und Akzeptanz aller Menschen kämpfen“ müsse. Und auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) zeigte sich „fassungslos“. Diskriminierung und Gewalt dürften „bei uns keinen Platz haben“.
Die Bekundungen legen aber auch eine Leerstelle offen. Denn diese Anteilnahme gab es früher nicht, das Thema queerfeindlicher Hass war jahrelang kein Thema für die Bundespolitik. So befasste sich die Innenministerkonferenz erst im Dezember 2021, nach fast 70 Jahren des Bestehens, erstmals mit dem Thema queerfeindliche Gewalt. Und erst 2020 führte die Polizei in ihren Statistiken das Themenfeld „Geschlecht/sexuelle Identität“ ein, um auch transphobe Tatmotive zu erfassen. „Unbegreiflich“ sei das, sagt René Mertens vom Lesben- und Schwulenverband (LSVD). „Wir wurden mit dem Hass einfach alleingelassen.“
Und auch nach dem Tod von Malte C. geht die Gewalt weiter. Einen Tag später wird in Bremen eine trans Frau von Jugendlichen in einer Straßenbahn attackiert. Am Tag darauf greift ein Mann in Frankfurt am Main zwei junge Männer an, beleidigt sie homofeindlich und schlägt ihnen eine Flasche ins Gesicht. Auf dem CSD Dresden werden zwei junge Männer attackiert und verletzt.
„Erschütternd“ seien diese Vorfälle, sagt Sven Lehmann. Der schwule Kölner und Grüne ist seit Jahresbeginn erster Queerbeauftragter der Bundesregierung, auch er war in Dresden auf dem CSD. LSBTIQ+-Menschen könnten „nicht immer und überall frei, selbstbestimmt und ungefährdet leben“. Das hätten die brutalen Attacken der vergangenen Tage „mehr als verdeutlicht“. Allen voran der Tod von Malte C. „Dieser bewegt mich nach wie vor“, erklärt Lehmann. „Einfach zur Tagesordnung überzugehen, ist unmöglich. Diese Taten müssen Konsequenzen haben.“
Es sind keine Einzelfälle, die offiziellen Zahlen steigen. So zählte das Bundeskriminalamt für 2021 insgesamt 870 Straftaten wegen „sexueller Orientierung“ – ein Anstieg um 50 Prozent zum Vorjahr. Im Feld „Geschlecht/sexuelle Identität“ waren es 340 Delikte, ein Plus von 66 Prozent. Dazu kommt ein großes Dunkelfeld, wie auch das Innenministerium einräumt.
In einer EU-Umfrage von 2020, für die 140.000 LGBTIQ+-Personen in Europa interviewt wurden, gab fast die Hälfte an, sich im Alltag diskriminiert zu fühlen. Jede:r Zehnte erklärte, schon körperliche Übergriffe erfahren zu haben – bei trans Personen war es gar jede:r Fünfte. Und nur 14 Prozent erklärten, sie hätten die Übergriffe auch der Polizei gemeldet.
Malte C. ist kein Einzelfall
Was Malte C. passiert ist, erinnert an einen Fall aus den 90er Jahren im benachbarten Osnabrück. Am Abend des 14. September 1994 taten sich dort drei Männer zusammen, um „Schwule zu klatschen“, wie sie später sagten. Es zog sie zum Raiffeisenplatz, einem kleinen Park mit vielen Büschen, damals bekannt als Cruisingzone. Dort jagten sie zwei Männer, die in einem Auto Zuflucht suchten.
Als die Täter eine Seitenscheibe einschlugen, stellte sich der zufällig vorbeikommende Peter Hamel dazwischen. Hamel, damals 34 Jahre alt und stadtbekannter Türsteher, bezahlte seinen Mut mit seinem Leben: Einer der drei Männer schlug ihm zunächst eine Flasche über den Kopf und trat dann zwischen zehn und zwanzig Mal auf ihn ein.
Am Donnerstag dieser Woche steht Diana Häs an eben jenem Tatort. Am Morgen hat der Steinmetz zwei sandfarbene Steine in die Erde eingelassen, fast 30 Jahre nach der Tat erinnert nun ein Mahnmal daran. Es steht neben einem Baum, von den Büschen von 1994 ist nichts mehr zu sehen. Um das Mahnmal herum ist die Erde leicht angehäuft. Die eine Stele ist Peter Hamel gewidmet, darauf geht es um Homophobie im Speziellen, auf der anderen Stele wird vor gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit generell gewarnt.
Die 52-jährige Diana Häs vom Osnabrücker Verein Gay in May setzte die Idee für das Mahnmal gemeinsam mit anderen Vereinen in der Initiative Peter Hamel um. Seit über 20 Jahren wohnt sie in Osnabrück. Sie sitzt als Grüne auch im Stadtrat. Häs hofft, dass Hamels Einsatz für Zivilcourage durch das Denkmal sichtbar wird. „Vielleicht bleiben Leute stehen und erinnern sich an Peter“, sagt sie.
„Wir dürfen nicht immer nur reagieren“
Nach der Tat wurde in Osnabrück viel darüber spekuliert, ob Hamel selbst schwul war. Spielt das eine Rolle? „Für uns ist das nicht wichtig“, sagt ein anderes Mitglied der Initiative Peter Hamel, die Person in schwarzem Shirt, die sich Looney nennt, ist gerade dazugestoßen. Looney erklärt: „Wir gedenken allen möglichen Menschen, die bereit sind einzuschreiten. Dieses Mahnmal ist auch für Malte.“
Wie reagiert die queere Community auf Fälle, die sie im Mark erschüttern? Die Initiative Peter Hamel hat darauf eine mögliche Antwort – neben dem dauerhaften Gedenkort gibt es an jedem Todestag eine Mahnwache. Auch steht der Name Peter Hamel auf der Liste der möglichen Straßennamen in Osnabrück.
Rechtlich hat sich im Vergleich zu damals einiges geändert. Noch bis zum 11. Juni 1994 galt der Paragraf 175, der Sex zwischen Männern sanktionierte. Heute sind auch Konversionstherapien bei Minderjährigen verboten, trans Menschen gelten im internationalen Diagnosekatalog nicht mehr als „psychisch krank“.
Doch für gesellschaftliche Akzeptanz braucht es noch mehr. Auch Neo Argiropoulos lässt der Fall Malte C. „absolut schockiert“ zurück. „Seit Jahrzehnten fordern wir Gleichstellung. Aber es ist immer noch so, dass wir nicht rausgehen können, ohne Gefahr zu laufen, Gewalt zu erleben“, klagt der Vorstandssprecher vom Queeren Netzwerk NRW.
Dass man immer wieder Schweigeminuten für Opfer queerfeindlicher Gewalt einlegen müsse, „das muss ein Ende haben“, sagt Argiropoulos bestimmt. Er fordert mehr Antidiskriminierungsarbeit, vor allem in Schulen und der Jugendarbeit, sowie Schutzwohnungen und Beratungsangebote für queere Menschen. „Wir dürfen nicht immer nur reagieren, sondern müssen die Gewalt vorher eindämmen.“
Ein bundesweiter Aktionsplan soll beschlossen werden
Dem schließt sich auch Kalle Hümpfner vom Bundesverband trans* an. „Der Tod von Malte hat uns erschüttert, aber nicht überrascht“, erklärt die Referent*in. „Die Gewalt gegen trans* Personen wurde lange weder genau erfasst, noch gesehen.“ Auch Hümpfner fordert mehr Schutz- und Präventionsmaßnahmen, vor allem im Internet, wo sich Hass gegen queere Menschen entlade und radikalisiere. Auch brauche es eine Strafverschärfung, wenn es zu queerfeindlichen Delikten kommt.
Der LSVD von René Mertens fordert schon seit Jahren einen bundesweiten Aktionsplan gegen Homophobie und Trans*feindlichkeit – mit zeitlich definierten Zielvereinbarungen und ausreichenden Geldern. Tatsächlich verschickte der Queerbeauftragte Sven Lehmann einen Entwurf solch eines Aktionsplans Ende August an die Verbände.
Damit sollen etwa ein Diskriminierungsverbot von queeren Menschen ins Grundgesetz aufgenommen, LSBTIQ+-Themen Teil der Ausbildungen von pädagogischen Fachkräften, die Förderung von Gewaltschutzprojekten und Opferbetreuungen ausgebaut oder die statistische Erfassung von Übergriffen verbessert werden. Noch dieses Jahr wolle er den Aktionsplan beschließen, versichert Lehmann.
René Mertens lobt den Aufschlag: „Der Entwurf lässt uns hoffen, dass der queerpolitische Aufbruch endlich ins Rollen kommt.“ Kalle Hümpfner schließt sich an: „Die Initiative der neuen Regierung freut uns. Aber noch sind das alles Absichtserklärungen, deren Umsetzung entscheidend wird.“ Klar sei auch: „Sven Lehmann kann nicht alles alleine machen. Das ist eine Aufgabe für die gesamte Regierung.“
Hier haben die Verbände vor allem das Innenministerium von Nancy Faeser im Blick, das einige als zu behäbig bei diesem Thema kritisieren. Nun aber macht auch Faeser einen Aufschlag: Am 20. September lädt sie zu einer Auftaktsitzung des Arbeitsgremiums „Bekämpfung homophober und transfeindlicher Gewalt“ – ein Format, das die Innenministerkonferenz schon Ende 2021 einforderte. Expert:innen aus Wissenschaft und Praxis sollen dort nun konkrete Handlungsempfehlungen erarbeiten.
In Bremen gibt es seit 2015 einen Aktionsplan
Wie weit der Weg in eine Gesellschaft, in der trans Menschen sicher sind, noch ist, zeigt das Beispiel Bremen. Der Stadtstaat gehört zu den ersten Bundesländern, die einen Aktionsplan zum Abbau von Homo-, Trans- und Interphobie verabschiedet haben. 2015 war dies. Im Februar vergangenen Jahres legte das Parlament nach und forderte den Senat auf, sich auf Landes- und Bundesebene dafür einzusetzen, dass das Ausmaß von Hasskriminalität gegen queere Menschen sichtbar wird und Betroffene und Zeug:innen ermutigt werden, solche Straftaten anzuzeigen. Nach Berliner Vorbild sollen queerfeindliche Angriffe veröffentlicht werden.
Trotz der Bemühungen kam es nun auch hier wieder zu transfeindlicher Gewalt. Am Samstag vor einer Woche war nach Angaben der Polizei eine 57-jährige trans Frau in Bremen in einer Straßenbahn von einer Gruppe von etwa 15 Jugendlichen zwischen 12 und 16 Jahren als „Scheiß Transe“ beleidigt worden. Einer von ihnen schlug laut Zeug:innen der trans Frau mehrfach mit beiden Fäusten ins Gesicht, sodass sie mit schweren Gesichtsverletzungen ins Krankenhaus gebracht werden musste. Als sich andere Fahrgäste einmischten, ließen die noch unbekannten Täter von ihr ab und flüchteten.
Geschockt äußerten sich Bremer Politiker:innen nach der Attacke. Das Selbstbild als weltoffene, liberale, tolerante Stadt hat einen Knacks bekommen. Für trans Menschen geht es um mehr. „Das hat mir die Illusion eines sicheren Orts genommen“, sagt Maike-Sophie Mittelstädt vom Vorstand des Bremer Vereins Trans Recht, der sich für die Rechte von trans Menschen einsetzt.
Klar habe sie auch vorher schon bestimmte Ecken in Bremen gemieden und sei auch selten nachts unterwegs. Aber der Angriff auf die Frau geschah am frühen Samstagabend in einer Straßenbahn zwischen Innenstadt und Buntentor, einem freundlichen Stadtteil an der Weser, auf halben Weg zum Szeneviertel. Die Linke hat hier ein Stadtteilbüro, in der Schwankhalle, einem freien Theater, gehören queere Performances zum Standardprogramm. Wie hoch auch in Bremen das Risiko ist, als trans Frau angegriffen zu werden, habe sie verdrängt, sagt die Trans-Aktivistin Mittelstädt. Dabei gehöre es zu ihrem Alltag, beleidigt und beschimpft zu werden. „Das kommt etwa einmal im Monat vor.“
Queerfeindlichkeit als Sachbeschädigung behandelt
Das sagt auch Bettina Tottleben, die eine Selbsthilfegruppe leitet. Die 39-Jährige ist 2009 aus Berlin nach Bremen gezogen. In der Hauptstadt hat sie eine ähnliche Erfahrung gemacht wie vor einer Woche die Frau in der Bremer Straßenbahn. Ein halbes Dutzend Jugendliche habe sie in der U-Bahn beleidigt und ihr dabei ebenfalls die Perücke vom Kopf gerissen. Bremen schien zwar auch ihr relativ sicher, aber auch sie wurde regelmäßig im Alltag verbal attackiert, mit dem Auto verfolgt. Vergangenes Jahr zeigte sie jemanden nach einer Morddrohung an. Von der Polizei habe sie nach der Anzeige nie wieder etwas gehört, sagt sie.
Wie Polizist:innen mit Anzeigen umgehen, die einen hasskriminellen Hintergrund haben könnten, sei abhängig von ihrem Wissensstand, sagt Reiner Neumann vom Vorstand des Rat und Tat Zentrums für queeres Leben.
Bei Anzeigen auf der Wache oder am Streifenwagen würden die Beamt:innen das Geschehen bagatellisieren. 19 Anzeigen hat er seit 2015 gestellt, weil der Altbau, in dem sich Verein und Beratungsstelle befinden, beschmiert wurden, auch mit vergammelten Fleisch oder Exkrementen. Immer wertete die Polizei dies als Sachbeschädigung, als wäre es ein gewöhnliches Haus. Hinzu kamen zwei Anzeigen wegen Beleidigung. Neumann habe jedoch auch die Erfahrung gemacht, dass geschulte Polizist:innen konkrete Bedrohungen sehr wohl ernst nehmen würden und schnell den Staatsschutz einschalteten, der Straftaten mit politischem Hintergrund verfolgt.
Der Hass bleibt. Am 14. September wird in Berlin der erste Todestag von Ella in Berlin begangen. Die trans Frau verbrannte sich im September 2021 selbst. Eine „Verzweiflungstat“ wegen Transfeindlichkeit, erklärte der LSVD. Ihr Grab wurde inzwischen drei Mal geschändet.
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