Nachhaltigkeit und Klimapolitik: Geplatzte Seifenblase
Technologie oder die CO2-Steuer lösen nicht das Klimaproblem. Der ökologische Ernstfall verlangt eine Neujustierung der persönlichen Freiheiten.
W as sich derzeit abspielt, entspricht jener lebensbedrohlichen Eskalation, die alle aufgeklärten Kräfte seit Jahrzehnten verhindern wollten: Der Klimawandel, die Flut an Plastik- und Elektroabfällen, das Insekten-, Singvogel- und sonstige Artensterben, die Natur- und Landschaftszerstörung, die chemische Verseuchung und Entwertung von Böden, die Strahlen- und Lärmbelastung, der Lichtsmog und so weiter. Es lässt sich kein ökologisch relevantes Handlungsfeld benennen, in dem die Summe der bekannten und neuen Schäden nicht permanent neue Rekorde erzielt hätte.
Das propagierte und bequemste aller problemlösenden Regulative, nämlich ein technischer Wandel der Versorgungssysteme, versprach ein auf ständiges Wachstum angewiesenes Wohlstandsmodell von ökologischer Zerstörung zu entkoppeln. Dieser Irrweg ist nun selbst dort gescheitert, wo akribisch versucht wird, wenigstens kleine Entlastungserfolge herauszurechnen, etwa bei der Energiewende. Technischer Umweltschutz war nie etwas anderes und kann nie etwas anderes sein als eine räumliche, stoffliche, zeitliche oder systemische Problemverlagerung. It’s the thermodynamics, stupid!
Auch der zweite Hebel, nämlich eine kollektive Verständigung auf Rahmenbedingungen mit Anreiz-, Lenkungs- oder nötigenfalls Sanktionswirkung – die aktuell durchs Dorf getriebene Sau heißt CO2-Steuer – versagt vollends. Deren Befürworter haben einen epochalen Wendepunkt übersehen: Wenn nämlich die technische Entkopplung des Wohlstandes systematisch misslingt, verändern sich nicht einfach nur Ziele und Mittel einer dann noch adäquaten Nachhaltigkeitskonzeption, sondern mehr noch die Möglichkeiten einer demokratischen Regulierung des ökologischen Problems. Genauer: Sie entfallen!
Was die Energiewende politisch attraktiv werden ließ, war das Versprechen, mittels technischer Innovationen lediglich die Umrandung, aber nicht das Innere des Wohlstandskorpus umzubauen. Liebgewonnener Konsum- und Mobilitätskomfort sollte weiter bestehen und wachsen dürfen, nur eben ersetzt durch grünere Substitute mit serienmäßig eingebauter Gewissensberuhigung. Kein Wunder, dass damit Wahlen zu gewinnen waren.
lehrt als außerplanmäßiger Professor an der Universität Siegen im Bereich Plurale Ökonomik. Er hat das Konzept der Postwachstumsökonomie geprägt.
Nun ist diese grüne Seifenblase geplatzt. Das bedeutet, die einzig wirksame politische Steuerung kann nur noch darin bestehen, den von der Bevölkerungsmehrheit zunehmend praktizierten ökologischen Vandalismus, sein Kosename lautet „individuelle Freiheit“, radikal einzuschränken. Dumm nur, dass dafür demokratische Mehrheiten nötig wären.
Unwahrscheinlicher als eine Begegnung mit dem Osterhasen
Im Klartext: Die Mehrheit müsste ihren eigenen Lebensstil abwählen, sich quasi um 180 Grad wenden, nämlich plötzlich befürworten, was seit dem Zweiten Weltkrieg jede gesellschaftliche Modernisierung auszumerzen versucht hat: Genügsamkeit, Selbstbegrenzung, Entsagung. Also Suffizienz. Ein solches politisches Wunder dürfte unwahrscheinlicher sein als eine Begegnung mit dem leibhaftigen Osterhasen.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk, im praktischen Wochenendabo und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Dieses Dilemma kulminiert in einer Doppelmoral, die längst zum Normalzustand geronnen ist. Einerseits dröhnt ein unüberhörbarer Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsfuror, andererseits wird mit Zähnen und Klauen eine digitale, kosmopolitische und konsumorientierte Lebensform verteidigt, die ökologisch suizidaler nicht sein könnte.
Um diese Widersprüchlichkeit zu verarbeiten, hat sich im Zusammenspiel zwischen gesellschaftlicher Mehrheit und Politikvertretern ein Zustand stabilisiert, der dem katholischen Ablasshandel ähnelt. Während sich die Lebens- und Wirtschaftsform immer nachhaltigkeitsdefizitärer entwickelt, werden zugleich – wohlgemerkt additiv – grüne Produkte (vegane, ökologische Speisen, faire Smartphones, erneuerbarer Strom etc.), Technologien (Elektromobilität, Power-to-Gas etc.) und simulierte Nachhaltigkeitsbemühungen (Verbot von Plastikstrohhalmen, Gebot von PV-Anlagen auf Neubauten etc.) befördert, die bestenfalls an der Problemoberfläche kratzen.
Oder sie ergießen sich in rituelle Forderungen, die abstrakt und unverbindlich genug sind, sodass sie einerseits nicht falsch sein können, aber andererseits ihre technische oder politische Realisierung in so unerreichbarer Ferne liegt (etwa eine CO2-neutrale Wirtschaft), dass keine absehbaren Konsequenzen für die eigene Lebensführung zu befürchten sind.
Damit erfolgt eine rein symbolische Kompensation, die das „Weiter so“ legitimiert, weil damit sowohl kognitive Dissonanzen therapiert werden können wie auch der Schein moralischer Korrektheit gewahrt bleiben kann. Dieser rasende Stillstand ebnet den Weg zum Abgrund. Er ließe sich nur mittels eines dritten Regulativs durchbrechen, das angesichts des kläglichen Scheiterns aller Technik- und Institutionenklempnerei auf einer anderen, nämlich zwischenmenschlichen Ebene verortet sein müsste. Gemeint ist eine Mischung aus reaktivierter, aber demokratischer Streitkultur und einem Aufstand der konkret Handelnden, die sich dem Steigerungswahn verweigern.
Unterschied zwischen Bedürfnissen und Dekadenz
Dieses soziale Regulativ gründet darauf, dass kein Menschenrecht auf ökologische Zerstörung bestehen kann – außer es lassen sich dafür akzeptable Gründe anführen. Aber genau das wäre dialogisch zu klären. Dies kann und darf nicht willkürlich erfolgen, sondern nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit. Hierzu bedarf es einer Unterscheidung zwischen essenziellen Bedürfnissen und spätrömischer Dekadenz. Nichts könnte sozialpolitisch plausibler sein, als dort die dringend nötigen Reduktionen einzufordern, wo Handlungen galaxienweit von einer Befriedigung basaler Grundbedürfnisse entfernt sind. Es entspricht überdies jeder ökonomischen Logik, die knappeste aller Ressourcen, nämlich die Nutzung der Ökosphäre, zuvörderst dort einzusetzen, wo sie die eklatanteste Not lindert.
Wer wollte ernsthaft eine würdige Unterkunft, Elektrizität, notwendigen Berufsverkehr, eine Konsumausstattung, die auch maßvoll über den reinen Grundbedarf hinausreichen kann, Zugang zu maximaler Gesundheitsversorgung und Bildung sowie einen ökologisch verantwortbaren Urlaub kritisieren? Aber umgekehrt ist noch niemand erfroren, verhungert oder erkrankt, wenn er/sie keine Kreuzfahrt, keine Flugreise, keinen SUV, keine maßlose Neuanschaffung an Elektronik und anderen Konsumgütern oder keine 100 Quadratmeter Wohnfläche pro Kopf etc. in Anspruch nehmen konnte.
Wenn nackte Gewalt gegen die menschliche Zivilisation gerichtet wird, und zwar ohne erkennbare Not, entspricht es aufgeklärtem und durchaus liberalem Bürgersinn, dies im Rahmen direkter Kommunikation zu thematisieren, um Rechtfertigungsdruck aufzubauen. Dafür bieten sich viele Orte an: Schulen, Universitäten, Familien/Lebensgemeinschaften, Freundeskreise, Nachbarschaften, Wirtshäuser, Sportvereine, Partys, Nachbarschaften, öffentliche Veranstaltungen und natürlich die Medien. Insoweit es absehbar um die Überlebensfähigkeit geht, sollte es unter aufgeklärten Verhältnissen nötig und möglich sein, menschliche Freiheiten mit der Frage zu konfrontieren, wie sie sich gemäß einer Verhältnismäßigkeit zwischen Notwendigkeit und zerstörerischem Potenzial rechtfertigen lassen.
Einen kritischen Dialog können glaubwürdig und wirksam nur Personen initiieren, die selbst eine verantwortbare Lebensführung praktizieren. Denn ein Analphabet kann einem anderen Analphabeten nicht lesen und schreiben beibringen, und jede Kritik oder Forderung entpuppt sich als Scharlatanerie und Anmaßung, wenn sie schon im Selbstversuch desjenigen scheitert, der sie erhebt.
Obergrenze für materielle Freiheit
Eine Neujustierung individueller Freiheit bedeutet weder Ökodiktatur noch Öko-Stasi. Wenn der Planet erstens physisch begrenzt ist, zweitens industrieller Wohlstand nicht von ökologischen Schäden entkoppelt werden kann, drittens die irdischen Lebensgrundlagen dauerhaft erhalten bleiben sollen und viertens globale Gerechtigkeit herrschen soll, muss eine Obergrenze der von einem einzelnen Individuum in Anspruch genommenen materiellen Freiheit existieren.
Diese kann sich nur an der Gesamtbilanz aller ökologischen Handlungsfolgen bemessen, die ein einzelnes Individuum verursacht. Längst bekannt ist, dass allein die Einhaltung des 2-Grad-Klimaschutzziels für Mitteleuropa bedeutet, dass die CO2-Emissionen pro Kopf und Jahr von ca. 12 auf ca. 2 Tonnen zu senken wären. Genau daran wäre das soziale Regulativ zu orientieren, damit es nicht auf Willkür beruht.
Wer weiter auf technologische oder politische Erlösung vertraut, steuert auf eine unvermeidliche Eskalation zu. Wenn Verteilungskonflikte entbrennen und für manche der Kampf um ein würdiges Dasein beginnt, wird sich niemand mehr für eine Demokratie einsetzen, die offenkundig am Minimum dessen gescheitert ist, was Humanität bedeutet: Überlebensfähigkeit. Wer also die Freiheit bewahren will, darf sie nicht im Übermaß beanspruchen, sondern muss sie vorsorglich und freiwillig begrenzen.
Die hierzu nötige Suffizienz erweitert aber auch Handlungsfreiheiten, weil sie sich behindernder materieller sowie institutioneller Vorbedingungen entledigt. Ballast abzuwerfen, sich dem Steigerungswahn zu entziehen, verführerische Komfortangebote auch dann einfach links liegen zu lassen, wenn sie finanzierbar und legal sind, das Vorhandene als auskömmlich zu betrachten und gegen aufdringlichen Fortschritt zu verteidigen, gemeinsam mit anderen den Mut zum Unzeitgemäßen entwickeln – dies alles kostet nichts, bedarf keiner innovativen Erfindung, ist nicht von Mehrheiten abhängig, verstößt gegen kein Gesetz und benötigt vor allem keines. Ein friedlicher und fröhlicher Aufstand der sich Verweigernden – besser noch: ein maßvoller Wohlstands- und Technologieboykott – verbleibt als letzter Ausweg. Die Zeit der Ausreden ist vorbei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW