Nach der Bundestagswahl: Die Zeit der Linken kommt erst noch
Warum die vergangene Woche eine gute für die Linke war – und was aus der Niederlage bei der Bundestagswahl nun folgen sollte.
D as war, manchen mag das überraschen, eine gute Woche für die Linke. Für wen? Vielleicht war der anmaßende Name schon immer ein Teil des Problems, dass man also eine kleine Verrenkung vollführen musste, um deutlich zu machen, wen man eigentlich meint: Die Partei? Oder das Größere, die gesellschaftliche Bewegung, die Idee?
Es war, für die Linke insgesamt, eine gute Woche. Und das ist erklärungsbedürftig. Denn die Partei hat gerade eine Niederlage erfahren, hat bei der Bundestagswahl fast die Hälfte der Stimmen verloren. Zwei Millionen Menschen haben sie nicht mehr gewählt, gingen zur SPD, zu den Grünen oder gar nicht mehr hin. Die Partei wäre fast aus dem Bundestag geflogen, wenn ein paar vermeintliche Lifestyle-Linke aus dem Leipziger Süden sie nicht gerettet hätten.
Wie kann man also davon sprechen, dass dies eine gute Woche war?
Nun, die Partei hat eine Punktlandung hingelegt: Sie hat genau 4,9 Prozent der Stimmen bekommen, zieht aber trotzdem wieder in den Bundestag ein, weil sie gleichzeitig drei Direktmandate gewinnen konnte. 4,9 Prozent, das ist einerseits der Schuss vor den Bug, der nun hoffentlich dafür sorgt, dass sich die Partei grundsätzlich verändert, programmatisch und personell. Bei einem Wahlergebnis von 6 oder 7 Prozent würde alles so trist bleiben, wie es ist. Verbunden mit den drei Direktmandaten sind diese 4,9 Prozent aber auch die Versicherung, dass exzellente Leute weiterhin gute Oppositionsarbeit machen können.
4,9 Prozent, dieses Ergebnis führt auch dazu, dass ein paar Abgeordnete den Bundestag verlassen müssen, die niemand vermissen wird: Alexander Neu, der Pressesprecher des Kreml, oder Dieter Dehm, der Schwurbelbarde.
Zwei große, linke Bewegungen
Das war auch eine gute Woche für die Linke, weil sie gleich zweimal gezeigt hat, welches Potenzial eine gut aufgestellte Partei hätte.
Vor einer Woche ging die Klimabewegung auf die Straße, mit mehreren hunderttausend Menschen in vielen deutschen Städten. Eine basisdemokratische Bewegung, organisiert in Ortsgruppen, mit radikalen und nur deshalb realistischen Forderungen. Auch wenn sie sich selbst nicht so bezeichnen würde, ist die Klimabewegung natürlich links, in ihrer Organisationsform, in ihren Forderungen nach Umverteilung und internationaler Solidarität. Man muss lange zurückgehen, um eine Bewegung zu finden, die über Jahre hinweg so viele Menschen zum Mitmachen animieren konnte.
Das war eine gute Woche, weil in Berlin über eine Million Menschen entschieden haben, dass große Immobilienunternehmen enteignet werden sollen. Der Volksentscheid erhielt mehr Stimmen als Linke, Grüne und SPD zusammen. Die Aktiven des Volksentscheids haben gezeigt, was für die Linke möglich ist: Sie haben sich in Dutzenden lokalen Initiativen organisiert, an Tausende Türen geklopft. Sie haben über Arme nicht nur in Talkshows geredet oder ihnen Flyer in die Hand gedrückt, sondern sie zum Mitmachen gewonnen. Und sie haben eine radikale, aber umsetzbare Forderung aufgestellt und bewiesen, dass linke Politik nicht nur Opposition bedeutet.
Zwei linke Bewegungen haben also gezeigt, wie stark sie sind. Warum hat nun die Partei, die denselben Namen trägt, nicht davon profitiert?
Mehr oder weniger Wagenknecht? Das ist zu schlicht
Aktuell dominieren zwei Erklärungsmuster: Zu viel oder zu wenig Wagenknecht. Und das ist für eine Weltanschauung, die sich etwas auf ihre materialistische Analyse und ihr Verständnis von Dialektik einbildet, ein bisschen dünn.
Die Partei hat im Wahlkampf versucht, ihre Widersprüche unter den roten Teppich zu kehren. Dass das nicht funktioniert hat, zeigt etwa das Wahlergebnis von Wagenknecht in NRW: Weniger als 4 Prozent holte die vermeintlich so populäre Politikerin als Spitzenkandidatin. Wenn man seine eigene Partei schlechtmacht, gewinnt man vielleicht einen guten Platz auf der Bestsellerliste, aber nicht bei Wahlen. Man kann aber auch andersherum keine Wahl gewinnen, wenn man seine bekannteste Vertreterin aus der Partei schmeißen will, aber nicht auf sie im Wahlkampf verzichten möchte. WählerInnen durchschauen das.
Die zweite schematische Erklärung für die Wahlniederlage lautet: Zu viel oder zu wenig Regierungswillen. Und auch hier gilt: Das schließt sich nicht aus.
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Es stimmt, dass es für die Linke keine Existenzberechtigung als zweite Sozialdemokratie gibt. Wir fordern das Gleiche wie die SPD, aber ein bisschen mehr, das reicht nicht. Offenbar haben viele WählerInnen der SPD ihr die Agenda-Reformen schneller verziehen (überhaupt sind ja wenig Menschen so nachtragend wie Linke). Gleichzeitig ist die Linke dort zweistellig geblieben, wo sie gezeigt hat, dass sie konkret etwas verbessern kann: in Thüringen und Berlin.
Die Ampel, das ist Kiffen im Elektroauto
Wer sich das Ergebnis auf lokaler Ebene genauer anschaut, sieht, dass die Partei nicht überall an Zustimmung verloren hat: Dort, wo sie sich so organisiert hat, dass sie zum Mitmachen einlädt, wo sie nicht nur wahlkämpft, sondern Politik im Stadtteil macht, ähnlich also wie die Initiative für den Volksentscheid, hat sie sogar gewonnen.
Was bedeutet das nun für die Partei? Sie muss sich von denen trennen, mit denen so eine zeitgemäße Politik nicht zu machen ist. Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht eignen sich nicht als Gesichter einer modernen linken Partei, die in Bewegungen und Stadtteilen verankert ist. Sahra Wagenknecht ist keine deutsche Bernie Sanders, dafür hat sie ein falsches Verständnis von Politik, sie ist gesellschaftspolitisch zu konservativ und macht Politik von oben, nicht von unten. Eine Grassroots-Kampagne lässt sich nicht aus dem Fernsehstudio heraus organisieren. Der gescheiterte Versuch von Aufstehen zeigt das. Wenn Wagenknecht ihren GenossInnen und den verbleibenden WählerInnen lieber Vorwürfe in der Welt macht, als die Partei zu retten, sollte man zukünftig getrennte Wege gehen. Dann bliebe auch mehr Zeit, um Bücher zu schreiben.
Es könnte sich jedoch herausstellen, dass die Partei so wenig reformierbar ist wie das wachstumsbasierte Wirtschaftssystem, das sie überwinden möchte. Dann müsste die Linke sterben, damit die Linke leben kann. Auch dann wäre die Niederlage in der vergangenen Woche eine gute Nachricht gewesen.
Es gibt aber gute Gründe, auf ein Comeback der Linken zu hoffen. Wenn es, wonach es aussieht, tatsächlich zu einer Ampelkoalition kommt, wird die Linke die Opposition im Bundestag stellen. Man muss sich nur ansehen, wie Grüne und FDP schon vor der Kameralinse zusammenrücken, wie sich die sprichwörtlichen Märkte schon über die mögliche Koalition freuen, um zu ahnen: Sozialpolitisch wird das eine Katastrophe. Die Ampel, das wird die Klimakrise als Wachstumsprojekt, garniert mit ein wenig gesellschaftlicher Modernisierung: Kiffen im Elektroauto, grüne Aktien als Altersvorsorge.
Linker Zeitgeist, soziale Konflikte: Die Stunde der Linken
Die sozialen Konflikte werden sich jedoch verschärfen. Die Teilhabe an der postfossilen Gesellschaft wird teurer, und es gibt in einer Ampelkoalition kein Interesse daran, Reichtum umzuverteilen und das Renten- und Gesundheitssystem so zu verändern, dass sich auch Wohlhabende angemessen an der Finanzierung beteiligen müssen. Wenn die Boomer-Jahrgänge krank werden und in Rente gehen, wird dieses System zusammenbrechen. Und die Krise auf dem Wohnungsmarkt wird sich verschärfen.
Diese Krisen treffen auf einen linken Zeitgeist. Viele Menschen teilen unabhängig von ihrer Wahlentscheidung fortschrittliche Überzeugungen: Nach der Pandemie ist die schwarze Null gefallen, Forderungen nach einem besseren Gesundheitssystem, nach besserer Bildung und Infrastruktur, kurz: nach Solidarität in allen Lebensbereichen sind wieder mehrheitsfähig.
Wenn sich die Klimabewegung bald von den regierenden Grünen abwendet, weil die ökologische Transformation zu langsam oder nur als Wachstumsmarkt vorangeht, wenn die SPD bis auf einen höheren Mindestlohn alle Forderungen über Bord wirft, dann schlägt die Stunde der Linken. Ganz bestimmt.
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