Nationale Corona-Besonderheiten: Wer wird Europas Pandemiemeister?
Jedes Land geht anders mit Corona um – in Dänemark etwa geht Gesundheit alle an, in Deutschland ist es eine Sache für den Einzelnen.
A chtung, gleich kommt eine Phrase, sie tut schon beim Lesen weh, aber nur kurz, dann ist es vorbei, wie bei der Impfung, Achtung, jetzt kommt sie:
Andere Länder, andere Sitten.
Hat gar nicht weh getan, oder? Weil es stimmt! Besonders schön beobachten kann man das in der Pandemie. Deshalb schlage ich vor, dass Reiseführer ein neues Kapitel bekommen: Coronakultur.
Gerade war ich im Urlaub in Dänemark. Genau, im November. Das Programm: Keine Menschen treffen. Das hat gut geklappt, bis zu dem Morgen, an dem auf meinem Corona-Schnelltest nicht ein, sondern zwei Striche auftauchten. Und auf dem hektisch aufgerissenen nächsten Test auch. Also Maske auf und ab zum PCR-Test.
Schwer erziehbare Kinder
In der Coronakrise wird deutlich, wie verschieden die BürgerInnen in Europa auf ihre Staaten schauen, und andersrum, was der Staat in seinen Untertanen sieht: schwer erziehbare Kinder oder Menschen, die gesund sein wollen.
In Dänemark etwa steht auf der Corona-Website der Regierung: „Alle Corona-Tests sind kostenlos.“ Gesundheit ist dort eine Angelegenheit aller. In Deutschland ist sie erst mal das Problem des Einzelnen. Wer einen PCR-Test machen will, landet beim Googeln bei teuren privaten Angeboten. Man muss wissen, dass man einen kostenlosen PCR-Test bekommt, wenn man einen positiven Schnelltest hatte. Der deutsche Staat denkt wie ein schlechter Erzieher: Wenn ich meinen BürgerInnen etwas kostenlos gebe, drehen die durch und machen jeden Tag eine PCR-Test-Party, weil es so viel Spaß macht, ein Wattestäbchen anzuwürgen.
Weitere Beispiele für Coronakultur: In Frankreich ordnet der Präsident in einer Rede alle Älteren ohne Booster-Impfung mal eben als ungeimpft ein. Und die Franzosen, die bei anderen Anlässen ein paar Autoreifen im Kreisverkehr anzünden würden, fluchen und krempeln die Ärmel hoch. In Ländern, die Deutsche für chaotisch und fiskalisch undiszipliniert halten, ist die Impfquote noch höher, etwa in Spanien und Portugal. Warum? Mit den Erinnerungen an gestapelte Särge vor den Krematorien in den ersten Wellen lässt sich das nicht erklären, sonst wäre die Impfquote auch im Erzgebirge hoch.
Nun sollte man aufpassen, soziale Unterschiede zu kulturalisieren: So sind sie halt, die Deutschen. In der ersten Welle hielt man sich hier noch für den Corona-Weltmeister, dabei hatte man nur Glück, dass die Welle erst später über uns hereinbrach. Trotzdem lohnt es, sich über die Unterschiede bei den Impfquoten Gedanken machen. Manches erklärt sich durch handwerkliche Fehler: Alle SpanierInnen etwa bekamen ungefragt einen Impftermin zugeschickt.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Es ist ja begrüßenswert, dass staatliches Handeln in Deutschland von vielen erst einmal skeptisch betrachtet wird. Die hohe dänische Impfquote geht einher mit einem Alltagspatriotismus, mit rot-weißen Flaggen auf jeder Salami im Supermarkt und einer strengen Vorstellung davon, wer zum Volkskörper gehört.
Doch in der Pandemie wäre ich froh, wenn die gesunde deutsche Staatsskepsis nicht in Impfskepsis mündete. Statt sich in Geimpfte und Ungeimpfte zu zerfleischen, gäbe es genug Gründe, gemeinsam und geimpft auf die Barrikaden zu gehen: Für ein besseres Gesundheitssystem zum Beispiel. Aber das mit den Barrikaden fällt den Deutschen ja traditionell schwer.
Ach so: Mein PCR-Test war übrigens negativ.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Neue israelische Angriffe auf Damaskus