Nach dem Krieg in Gaza: Sind zwei Staaten die Lösung?
Der Nahostkonflikt ist militärisch nicht zu lösen. Joe Biden drängt auf die Zweistaatenlösung. Für einen politischen Vorstoß braucht es neue Führungen.
L ange wurde sie herbeigesehnt, dann belächelt und schließlich für tot erklärt. Doch jetzt ist sie zurück: die Idee von der Zweistaatenlösung. Vor allem ein Mann bringt sie wiederholt und mit Vehemenz ins Spiel: US-Präsident Joe Biden. In Israel verhält es sich anders. Viele in der Zivilgesellschaft, die lange für eine Zweistaatenlösung gekämpft haben, stecken derzeit ihr Herzblut in andere Dinge.
Sie versuchen, Aufmerksamkeit auf die noch im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln zu lenken und die Regierung zu Verhandlungen zu bewegen. Sie arbeiten freiwillig auf den Feldern oder helfen denen, die aus dem Norden oder Süden evakuiert wurden. Einige von ihnen betrauern tote Familienangehörige und Freund*innen – und mitunter auch ihre früheren politischen Überzeugungen.
Besatzungskritische Nichtregierungsorganisationen sind nicht verstummt, sie fordern nach wie vor eine politische Lösung, jetzt mehr denn je, genauso wie kritische Analyst*innen. Doch vielen Menschen jenseits organisierter Strukturen hat es die Sprache verschlagen. Sie denken gerade nicht über Perspektiven und Lösungen nach. Auf beiden Seiten ist die Zustimmung zur Zweistaatenlösung nach dem 7. Oktober in Talfahrt.
Dass die ohnehin nicht große Beliebtheit der Zweistaatenlösung aktuell zusätzlich Schaden nimmt, verwundert nicht. Ein Grund dafür dürfte auch sein, dass ihre Umsetzung zu diesem Zeitpunkt als Sieg der Hamas missinterpretiert werden könnte. Sie könnte als Sieg all derer gedeutet werden, die die Gräueltaten der Hamas, das konzertierte Morden und Vergewaltigen, als legitimes Mittel im palästinensischen Befreiungskampf betrachten. Eine Vorstellung, die schwer zu ertragen ist.
Friedensvorstöße kamen von rechten Politikern
Der momentanen politischen Atmosphäre zum Trotz scheint eine Zweistaatenlösung in diesen Tagen wieder näher zu sein als in den vergangenen fast 30 Jahren seit der Ermordung von Regierungschef Jitzhak Rabin im November 1995. Vorsicht ist allerdings geboten bei dem Argument, es werde die israelische Rechte, nicht die israelische Linke sein, die den Frieden bringt. Eine These, die von einigen Analyst*innen und Politiker*innen vertreten wird.
Auch der Berater von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, Mohammed Odeh, erklärte noch kurz vor dem 7. Oktober, dass die linken, friedensbewegten Parteien gescheitert seien. Sie hätten „Angst, als Verräter betrachtet zu werden“. Für diese These spricht, dass der Frieden mit Ägypten erst unter der rechten israelischen Regierung von Menachem Begin erreicht werden konnte.
Und die Auflösung aller israelischen Siedlungen im Gazastreifen sowie den kompletten Truppenabzug 2005 aus der Küstenregion trieb ausgerechnet der Hardliner Ariel Scharon voran. Dass jedoch dieser Glaubenssatz vom „rechten Frieden“ für die jetzige extrem rechte Regierungskoalition gilt, ist kaum vorstellbar. Radikalideologischen Siedlern wie den Ministern Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich geht es vor allem um eines: Gott und dessen Auftrag, das Land vom Mittelmeer bis zum Jordan jüdisch zu besiedeln.
Frieden, inklusive die Gründung eines palästinensischen Staates, passt nicht in ihr Konzept. Klar ist aber auch: Der von der Rechten versprochene Weg, Israel Sicherheit zu bringen und den Konflikt militärisch lösen zu können, ist gescheitert. Es gibt nunmehr zwei Möglichkeiten. Ein „wir oder sie“ – oder eine politische Lösung. Und wenn irgendwann, langsam, die Wunden anfangen zu heilen, oder zumindest etwas Zeit vergangen ist, wird sich – so ist zu hoffen – die Erkenntnis durchsetzen, dass der zweite Weg der einzige gangbare ist.
Bidens Ungeduld wächst
Die Hoffnung liegt auf den USA. Mit jedem Tag wird deutlicher, dass Israels Abhängigkeit um vieles größer ist, als Israels Regierung wahrhaben will. Netanjahu versucht seinen Wähler*innen weiszumachen, er bestimme über den Fortgang des Krieges. Dabei sind die Zeichen aus den USA deutlich. Noch stehen die Amerikaner an der Seite Israels, mit Flugzeugträgern, Waffenlieferungen in Milliardenhöhe und breitem Rücken, mit dem sie Kritiker*innen fernhalten.
Doch die wachsende Ungeduld von US-Präsident Joe Biden ist deutlich spürbar und seine Forderung ist klar: Am Ende des Krieges muss der Weg für eine Zweistaatenlösung geebnet werden. Wenn Netanjahus Regierung diese Vorstellung nicht mitträgt, muss sie verändert werden. Die Regierung wohlgemerkt. Nicht die Vision. Ob Abbas mit seiner Palästinensischen Autonomiebehörde der Richtige ist, um Gaza zu kontrollieren, ist allerdings zweifelhaft. Auch im eigenen Volk mangelt es dem 88-Jährigen an Rückhalt.
Gerade in den vergangenen Wochen präsentiert sich Abbas erkennbar hilflos. Eins ist sicher: Eine politische Lösung braucht nach allem, was passiert ist, Mut. Aber alles andere führt in den Abgrund.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Krieg in der Ukraine
Russland droht mit „schärfsten Reaktionen“
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Israelis wandern nach Italien aus
Das Tal, wo Frieden wohnt