Linkspartei zur Russland-Ukraine-Krise: Im Schockzustand
Einhellig verurteilt die Linkspartei das Agieren Putins als völkerrechtswidrig. Bei der Frage, wie man darauf reagieren soll, herrscht Uneinigkeit.
In einer gemeinsamen Erklärung warfen die Partei- und Bundestagsfraktionsvorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow, Janine Wissler, Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch dem russischen Präsidenten vor, seine Anerkennung der „Volksrepubliken“ Lugansk und Donezk mit dem damit verbundenen Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine sei „völkerrechtswidrig, verletzt die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine und befördert die Gefahr eines großen Krieges in Europa“. Die Partei- und Fraktionsvorsitzenden fordern den Rückzug der russischen Truppen.
„Um einen großen Konflikt in Europa zu vermeiden, muss Putin die russischen Truppen sofort zurückziehen“, sagte die Parteivorsitzende Janine Wissler der taz. „Konfliktentschärfung und Deeskalation sind dringender denn je.“ Russland und die Ukraine müssten zum Minsker Abkommen zurückkehren und dessen Umsetzung einhalten.
„Putin eskaliert mit der Anerkennung der ‚Volksrepubliken‘ und dem Einmarsch russischer Truppen den Konflikt“, sagte Jan Korte, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion, der taz. Das sei „klar völkerrechtswidrig“. Auch er forderte, die russischen Truppen müssten „sofort aus der Ukraine abgezogen werden“. Die einzige Lösung bleibe eine Verhandlungslösung, so Korte.
Gegen oder für Sanktionen?
Auch die Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen, die bislang Kritik an der Politik Putins stets vermieden hatte, sagte der taz, sie verurteile die einseitige Anerkennung der „Volksrepubliken“ als völkerrechtswidrig. Die Entsendung russischer Truppen bedeute „einen Bruch der Minsker Vereinbarungen und ist nicht zu rechtfertigen, auch wenn deren Umsetzung etwa in Bezug auf den Sonderstatus für Donezk und Luhansk seitens der Ukraine immer wieder vereitelt wurde“.
Ziel müsse es jetzt sein, „dass alle Seiten zu Diplomatie und Völkerrecht zurückkehren, um den Konflikt zu entschärfen und den Frieden in Europa zu sichern“, sagte die Sprecherin für Internationale Politik und Abrüstung der Linksfraktion. Sanktionen gegen Russland lehnte sie ab. „Sanktionen werden erfahrungsgemäß zu keiner Änderung der russischen Politik führen, sondern auch uns in Deutschland wirtschaftlich schaden und der US-Frackingindustrie nutzen“, sagte Dağdelen. Auch Linksfraktionschef Bartsch äußerte sich skeptisch gegenüber Sanktionen.
In einer gemeinsamen Erklärung von Dağdelen mit Gregor Gysi, dem außenpolitischen Sprecher der Linksfraktion, fordern die beiden „alle Seiten auf, nicht weiter zu eskalieren“. Alles müsse jetzt darauf gerichtet sein, einen Krieg zwischen der Nato und Russland zu verhindern. „Es darf jetzt nicht weiteres Öl ins Feuer gegossen werden“, schreiben Dağdelen und Gysi.
Schon in der Nacht zum Dienstag hatten zahlreiche Linkspartei-Politiker:innen das Vorgehen Putins scharf kritisiert. „Die Rede Putins war blanker Nationalismus, der Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine bedeutet Krieg“, twitterte etwa die Bundestagsabgeordnete Martina Renner. „Nationalismus und Krieg erfährt unsere Gegnerschaft als Linke.“
Teils sogar Forderung nach Sanktionen
Parteivorstandsmitglied Wulf Gallert, Vizepräsident des Landtags von Sachsen-Anhalt, bezeichnete die Rede Putins als „Zäsur“. Es gebe „keine Legitimation für seine großrussischen Ansprüche“, unabhängig von Fehlern des Westens in der Vergangenheit und der Gegenwart. Die Anerkennung der „Volksrepubliken“ sei das „brennende Streichholz am Benzinfass“, so Gallert.
Auch der Vorsitzende der sächsischen Linksfraktion Rico Gebhardt warnte vor einer Relativierung des Handelns Putins. „Klar darf man als Linker die USA und die NATO kritisieren“, schrieb er. „Die Aggressionen Russlands eignen sich dafür heute nicht.“
Benjamin-Immanuel Hoff, Chef der Staatskanzlei und Europaminister in Thüringen, warf Putin vor, die europäische Friedensordnung zu unterminieren. Großmachtstreben, militärische Gewalt und die Infragestellung der Souveränität und des Existenzrechts von freien Ländern seien „in keinem Fall“ zu akzeptieren. „Die Sanktionen gegen Russland sind nötig“, konstatierte Hoff.
Auch der frühere Bundestagsabgeordnete Matthias Höhn sprach sich für Sanktionen aus. Außerdem forderte er, den EU-Beitritt der Ukraine jetzt konsequent anzugehen. „Die Ukraine braucht eine realistische europäische Perspektive“, schrieb er.
Aufruf zur Protestkundgebung vor russischer Botschaft
Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler rief zu einer für den späten Dienstagnachmittag geplanten Protestkundgebung vor der russischen Botschaft in Berlin auf. „Frieden, Sicherheit und Abrüstung heißt Völkerrecht achten“, schrieb er. „Und heißt: Keine russischen Soldaten in der Ukraine.“
Am Dienstagvormittag meldete sich auch Sahra Wagenknecht zu Wort – mit einer weniger entschiedenen Tonlage. „Einseitige Anerkennung der Separatistengebiete widerspricht Völkerrecht & erschwert Verhandlungslösung“, twitterte die Ex-Bundestagsfraktionsvorsitzende. Diplomatie, Deeskalation und die „Berücksichtigung aller Sicherheitsinteressen durch beide Seiten“ seien „dennoch ohne Alternative, um Frieden in Europa zu sichern“. Noch am Sonntag hatte Wagenknecht in der ARD-Sendung „Anne Will“ verkündet, Russland habe „faktisch kein Interesse daran, in die Ukraine einzumarschieren.“
Weitaus eindeutigere Worte als Wagenknecht fand die linksjugend ['solid], der Jugendverband der Linkspartei. „Wir fordern die russische Regierung auf, ihre Truppen sofort aus dem ukrainischen Staatsgebiet zurückzuziehen, die Anerkennung der ‚Volksrepubliken‘ Donezk und Lugansk zurückzunehmen und zu ziviler Konfliktlösung zurückzukehren“, sagte Bundessprecherin Isabella Wolbart.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen