Kritik an Polizeikategorie: Was heißt hier deutschfeindlich?
Das BKA erfasst „deutschfeindliche“ Straftaten, Tendenz steigend. Ein Großteil davon wurde in Cottbus notiert. Was ist da los?
Die Kategorie „Deutschlandfeindlichkeit“ ist seit ihrer Einführung in den Polizeistatistiken 2019, damals unter Innenminister Horst Seehofer (CSU), ein Politikum. Gezählt werden laut BKA Taten, „bei denen sich Vorurteile auf die deutsche Nationalität beziehen“. Zuvor hatten Landeskriminalämter die Einführung angeregt, um etwa Beleidigungen wie „Nazi“ durch „ausländische Bürger“ besser zu erfassen.
Wurden 2019 noch 132 „deutschfeindliche“ Delikte gezählt, sind es nun allein im ersten Halbjahr diesen Jahres 351 Taten. Im Verhältnis bleiben die Zahlen aber sehr überschaubar: Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 11.520 gruppenbezogene Hasstaten begangen.
Was aber wird erfasst? In einer Auflistung, welche die Linke im Bundestag beim Bundesinnenministerium von Nancy Faeser (SPD) erfragte, wird dies klarer. Demnach waren unter den 340 „deutschfeindlichen“ Delikten insgesamt 107 Gewalttaten. Von diesen ereignete sich die große Mehrheit in Brandenburg, 78 Fälle insgesamt, 62 davon in Cottbus. Dabei geht es um Körperverletzung, in 37 Fällen aber auch um Raubtaten oder räuberische Erpressung.
„Deutschfeindlich“ und „fremdenfeindlich“ zugleich?
Bemerkenswert: Die Taten wurden von der Polizei auch fast alle zugleich in die Kategorien „Rassismus“ und/oder „fremdenfeindlich“ eingeteilt. Bei der Einordnung, ob es sich um linke, rechte oder etwa religiöse Straftaten handelte, wurde wiederum „nicht zuzuordnen“ angegeben.
Die Zahlen sind umso beachtlicher, da Cottbus sonst eher mit rechtsextremen Vorfällen auffällt. Was also ist da los?
Auf taz-Nachfrage antwortet das Brandenburger Polizeipräsidium, dass es im Jahr 2022 in der Stadt zu einer Reihe an Straftaten von „Jugendlichen mit heterogenem Migrationshintergrund“ kam. Mit den Taten sollte „eine gewisse Vormachtstellung gegenüber deutschen Jugendlichen dargestellt werden“, so eine Sprecherin. So seien Aussagen gefallen, dass man gezielt deutsche Personen als Opfer ausgewählt habe. Deshalb die Einordnung als „deutschfeindliche“ Delikte.
Die Brandenburger Beratungsstelle Opferperspektive aber hat Zweifel. „Dass in Cottbus all diese Taten als politisch und deutschfeindlich eingestuft werden, ist völlig realitätsfern“, kritisiert Geschäftsführerin Judith Porath. Wenn es zu Übergriffen kam, seien diese zu verfolgen. Aber nur weil sie von migrantischen Jugendlichen begangen würden, seien sie noch nicht alle politisch.„Wir sind aber erstaunt, wie viele Raubstraftaten als politisch motiviert klassifiziert werden. Im umgekehrten Fall haben wir bei deutschen Täter*innen diese Erfahrung nicht gemacht.“
Gleichzeitig werde durch die parallele Einordnung der Taten als „deutschfeindlich“ sowie rassistisch das wahre Bild rassistischer Gewalt verzerrt, so Porath zur taz. „Die Polizeistatistik verfälscht das Bild über politisch motivierte Kriminalität.“
Linke fordert Abschaffung der Kategorie
Auch die Linken-Innenpolitikerin Martina Renner übt harsche Kritik: „Die Kategorie ‚deutschfeindlich‘ muss abgeschafft werden. Sie ist ein unwissenschaftlicher rechter Kampfbegriff, der tatsächlichen Rassismus verdeckt.“
Faesers Ministerium dagegen verteidigt die Kategorie. Ziel der Statistik sei es, „Hasskriminalität in ihren verschiedenen Ausprägungen möglichst detailliert darstellen zu können“, heißt es in der Antwort auf die Linken-Anfrage. Die Definition „Deutschfeindlich“ decke sich „inhaltlich mit der im Duden“ und sei „abschließend und trennscharf“.
Kritik kommt indes auch von den mitregierenden Grünen. Deren Innenexpertin, Lamya Kaddor, nennt die Kategorie ebenso „unscharf“. Der Begriff sei „politisch aufgeladen und es ist unklar, wie genau er überhaupt definiert wird“. Natürlich könnten auch Menschen angefeindet werden, die als „deutsch“ gelesen würden. Aber, so Kaddor: „Die mit Abstand meisten Fälle von klassischem Rassismus in Deutschland gehen von der Mehrheitsbevölkerung aus und betreffen Menschen, die nicht zu ihr dazuzählen und nicht umgekehrt.“
Die FDP dagegen verteidigt die Kategorie. „Ein zentraler Wesenszug unserer demokratischen Gesellschaft ist es, jeder Art von Diskriminierung entgegenzutreten und sich dabei keine blinden Flecken zu erlauben“, sagte FDP-Innenpolitiker Manuel Höferlin der taz.
Auch andere fragliche Kategorien
Die Linke kritisiert aber auch andere unklare Kategorien in der Polizeistatistik – wie etwa das Feld „männerfeindlich“. Hier zählte das BKA für 2022 insgesamt 15 Straftaten, zwei davon Gewaltdelikte, beide in Berlin. Im ersten Halbjahr 2023 kamen 17 weitere Taten hinzu. Die Kategorie wurde erst zu Jahresbeginn 2022 eingeführt und erfasst laut BKA Straftaten, „die gegen Männer bzw. das männliche Geschlecht gerichtet sind“. Zuvor fielen diese Taten in das Themenfeld „Geschlecht/Sexuelle Identität“, das 2022 dann in „frauenfeindlich“, „geschlechtsbezogene Diversität“ und „männerfeindlich“ ausdifferenziert wurde. Auch bei Letzterem verweist das Ministerium darauf, dass sich die Definition „weitgehend mit der im Duden deckt“.
Renner fordert dagegen auch hier eine Abschaffung: Die Kategorie „männerfeindlich“ sei ebenfalls „politisch-tendenziös“ und „verdeckt tatsächliche Misogynie und patriarchale Gewalt“.
Auf der anderen Seite erfasst die Polizei auch Taten in den Kategorien „rassistisch“, „fremdenfeindlich“ und „ausländerfeindlich“. Renner kritisiert, dass auch das kaum auseinanderzuhalten sei und die Frage bleibe, worin der Erkenntnisgewinn liege, sie nebeneinander zu nutzen. Auch insgesamt offenbarte die aktuelle BKA-Statistik ein Problem: Von den 58.916 politischen Straftaten im Jahr 2022 wurden 24.080 als „nicht zuzuordnen“ eingestuft – keine Kategorie hatte höhere Zahlen.
Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) übt deshalb grundsätzliche Kritik. „Das unseriöse Kategoriensystem verzerrt die PMK-Statistik in alle Richtungen und macht das Erfassungssystem nahezu unbrauchbar.“ Das komme wohl dabei raus, „wenn man den Duden als wissenschaftliche Grundlage für solch komplexen Zusammenhänge heranzieht“, so Pau zur taz. Es sei „bestürzend, wie unprofessionell und mit unzureichender Genauigkeit hier erfasst wird“. Dabei wären valide Zahlen für die Strategieentwicklung „extrem wichtig“.
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