Kommentar Szenario Grün-Rot-Rot: Bündnis 19/Die Grünen
Die Große Koalition droht zu scheitern. Für die Grünen wären Neuwahlen attraktiv – doch sie bekennen sich nicht zur Möglichkeit Grün-Rot-Rot.
Rot-Rot-Grün blieb ein schöner Traum, weil er die falschen Vorzeichen hatte. Der SPD fehlte schon vor Jahren auch inhaltlich die Stärke, um ein progressives Bündnis anzuführen. Für ein solches gibt es nun laut aktuellen Umfragen wieder eine knappe Mehrheit. Wer, wenn nicht die Grünen, sollte das jetzt übernehmen? Aber die gucken lieber in die Luft, anstatt sich endlich zu Grün-Rot-Rot zu bekennen.
Dabei ist die Lage günstig: Für die Grünen wären Neuwahlen viel attraktiver als für die beiden anderen Volksparteien – ja, so muss man es jetzt sagen, es sind drei geworden. Und natürlich wollen sich die Grünen in ihrem Umfragehoch nicht einfach in eine Regierung Merkel einwechseln lassen, die schon die SPD in einen Mahlstrom der Bedeutungslosigkeit zog.
Die Grünen sitzen am Hebel, und der trägt die Aufschrift „Alles neu“. Warum zögern sie, aus ihrem Kapital ein politisches Zukunftsprojekt zu machen? Warum drücken sie sich noch immer vor einem eindeutigen Bekenntnis zu einem Bündnis mit SPD und Linkspartei, warum weichen sie Fragen nach Ambitionen auf das Kanzleramt aus?
Bescheidenheit ist ja ganz nett, aber Bescheidenheit gewinnt keine Wahlen. Und auch das Warmhalten des Flirts vom vergangenen Frühling führt nie irgendwohin, das sollten auch die Grünen wissen – und der absoluten Mehrheit für Schwarz-Grün in den aktuellen Umfragen widerstehen, ebenso einer Jamaika-Koalition in Bremen. Denn: Wollen sie nach ihrem Erfolg bei der Klimawahl 2019 ernsthaft mit einer Union koalieren, für die noch immer Flugtaxis das höchste der Gefühle sind, wenn es um nachhaltige Zukunftspolitik geht?
Besser regieren, als nicht mehr zu existieren
Die Linkspartei dagegen hat mit Katja Kipping eine Vorsitzende, die nicht die ewige Wadenbeißer-Opposition, sondern progressives Regieren als Ziel ausgibt und dabei nicht länger von Sahra Wagenknecht torpediert wird. Sie könnte ergänzen, was den Grünen an sozialpolitischer Zielstrebigkeit fehlt. Und die SPD dürfte inzwischen verstanden haben, dass sie ihr Profil und dabei das Thema Klimawandel ernst zu nehmend integrieren muss.
Es liegt also nicht nur an den Grünen, den beiden anderen eindeutige Bereitschaft zu signalisieren, sondern auch an den Sozialdemokraten, darauf zu reagieren, ihre Angst vor Neuwahlen herunterzuschlucken – und die Koalition platzen zu lassen. Für sie könnte ein grün-rot-rotes Bündnis die Chance sein, gute Digital-, Außen- und Sicherheitspolitik zu machen, bis sie ihren sozialen Kern irgendwann wieder ausgebuddelt haben, anstatt in der Groko endgültig auszubrennen. Oder anders gesagt: Besser als Juniorpartner der Grünen regieren als gar nicht mehr existieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit