Klimabewegung und Grüne: Lützerath als Zerreißprobe
In Lützerath hat der Klimaprotest seine Entschlossenheit bewiesen. Doch der politische Druck auf die Grünen war nicht stark genug.
F ür einen kurzen Moment waren sie die Helden der Klimabewegung: Als letzte Besetzer Lützeraths verließen Pinky und Brain am Montag das von der Polizei doppelt umzäunte Gelände im rheinischen Braunkohlerevier. Fünf Tage lang hatten sie in einem Tunnel ausgeharrt, vier Meter unter der Erde.
Während sie dort saßen, machten über ihren Köpfen Polizist*innen aus dem ganzen Bundesgebiet in hoher Geschwindigkeit zunichte, was Aktivist*innen anderthalb Jahre lang aufgebaut hatten: Baumhäuser, Barrikaden und den Traum, das Dorf und das Klima vor dem Kohlehunger der fossilen Industrie zu retten. Nachdem 35.000 Demonstrant*innen die Zerstörung nicht aufhalten konnten, war der Tunnel das Ass im Ärmel. Er sollte die Räumung verzögern, bis der politische Druck auf die Grünen so hoch wäre, dass sie ein Moratorium für die Räumung durchsetzen würden.
„Pinky und Brain haben mehr fürs Klima getan und mehr Rückgrat bewiesen, als alle Bundestagsabgeordneten der Grünen zusammen“, twitterte die Hamburger Aktivistin Emily Laquer. Die Aussage trifft ins Schwarze: Obwohl sie das Dorf nicht retten konnten, hat Lützerath der Klimabewegung Auftrieb verschafft.
Den Spalt, der zwischen den Grünen und der Bewegung verläuft, hat es jedoch zu einem Graben gemacht. Und es hat die Bundesregierung, vor allem die grüne Beteiligung daran, international bloßgestellt. „Deutschland plant, dieses Dorf für eine Kohlemine zu zerstören“, titelte CNN. „Greta Thunberg von Spezialeinheit der Polizei abgeführt“, schrieb The Guardian. „Deutschland blamiert sich selbst“, fasste Thunberg zusammen.
Es geht um das 1,5-Grad-Ziel
Ist das Fiasko der einen gleich dem Erfolg der anderen? Der Klimabewegung geht es nicht darum, die Grünen als Heuchler*innen dastehen zu lassen. Trotzdem bemisst sich der Erfolg von Lützerath in erster Linie an der Wirkung in der Öffentlichkeit. Kein deutschsprachiges Medium erschien in der vergangenen Woche ohne Berichte über die Besetzer*innen, und viele übernahmen deren Framing: Es ging nicht um ein Dorf, sondern um die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels.
Wenn Anne Will am Sonntagabend vor 3,5 Millionen Zuschauer*innen die Frage stellt, ob es nicht klüger wäre, die Kohle unter Lützerath im Boden zu lassen, hat sich etwas bewegt. Für die Deutschen ist Klimaschutz wieder etwas, für das Junge und Alte zu kämpfen bereit sind, und nicht nur etwas, das auf dem Weg zur Arbeit die Kreuzung mit Sekundenkleber blockiert.
Dass es den Aktivist*innen dieses Mal gelungen ist, ein Stück weit die Deutungshoheit über die Geschehnisse zu behalten, liegt auch daran, dass sie nicht in eine Falle getappt sind: Sie haben sich nicht in „gute“ und „schlechte“ Demonstrant*innen spalten lassen. Flaschen, Steine und ein Molotowcocktail, die Vermummte zu Beginn der Räumung in Richtung der Polizist*innen warfen, brachten die Umweltverbänden und Bürgerinitiativen nicht dazu, sich von gewalttätigen Demonstrant*innen zu distanzieren.
Die nächsten Schritte entscheiden
Natürlich lehnen die Verbände und wohl auch die allermeisten Demonstrant*innen solche Gewalt ab. Doch Distanzierungen von Mitstreiter*innen, auch wenn diese daneben liegen, schwächen soziale Bewegungen. In Lützerath standen von der moderatesten NGO über die militantesten Aktivist*innen alle zusammen. Das gab es sehr lange nicht mehr.
Für eine Suchende, die die Klimabewegung derzeit ist, kam Lützerath gerade noch rechtzeitig. Sind die von Fridays for Future mobilisierten Massen bereit, einen Schritt weiterzugehen, angemeldete Demonstrationen zu verlassen und zivilen Ungehorsam zu leisten? Greta Thunberg ließ sich, Füße voran, von der Polizei aus einer Blockade tragen. Ebenso Luisa Neubauer. Greenpeace-Chef Martin Kaiser blockierte eine Zufahrtsstraße. Zwar waren die Bedingungen in Lützerath günstig: Der Widerstand gegen Kohle ist anschlussfähiger als der Widerstand gegen Autos, außerdem ist er im Rheinland tief in der Zivilgesellschaft verankert.
Gleichzeitig bleiben aber auch Bilder von Polizeigewalt und Narben von Knochenbrüchen. Und natürlich die Enttäuschung, dass Lützerath in Trümmern liegt. Versuche, aus der Großdemonstration heraus den Zaun zu stürmen und das geräumte Dorf wieder zu besetzen, sind gescheitert. Wohl auch, weil die Masse nicht bereit für diesen, den übernächsten Schritt ist.
Pinky und Brain haben sich kurz nachdem sie den Tunnel verließen, aus der Öffentlichkeit verabschiedet. Sie wollen keine Helden sein, stellen sie klar: „Der Tunnel an sich hat keine Bedeutung.“ Wichtiger sei die Notwendigkeit, aus der er besetzt wurde. Über die immerhin ist sich die Bewegung einig. Damit geht sie gestärkt in kommende Auseinandersetzungen. Vielleicht klappt es dann beim nächsten Mal auch mit dem Zaun.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?