Kampf gegen die Erderwärmung: Wer radikalisiert, verliert

Kommt Klimapolitik voran, wenn Fridays for Future auf die Grünen losgehen? Die Herausforderung besteht darin, den Mainstream zu überzeugen.

Eine Frau in gelbem Regenmantel hält ein Plakat mit der Aufschrift" Wo Sind Die Grünen Alternativen"

Protest gegen die Abholzung des Dannenröder Wald am 4. Oktober Foto: Tim Wagner/imago

Die Grünen sind auf dem Weg, mit der Bundestagswahl 2021 ­offiziell eine von zwei führenden politischen Kräften der liberaldemokratischen Mitte in Deutschland zu werden. Eine dritte starke Kraft könnte in den Jahren danach eine wiedervereinigte Sozialdemokratie als Mitte-unten-Partei werden – oder eben die rechtspopulistische AfD. Letzteres muss man immer mitdenken.

Das ist aus meiner Sicht die Großlage für die zwanziger Jahre. In denen wird sich das 21. Jahrhundert entscheiden und daher hat jede recht, die jetzt kritisiert, dass die Klimakrisenpolitik in Deutschland ungenügend ist. Die entscheidende Frage ist aber: Wie wird sie besser?

Einundreißig Kilometer Autobahn

Was uns zu den 31 Kilometern der Autobahn 49 im schwarz-grün regierten Hessen bringt, die eine Bundesregierung vor Jahren beschlossen hat. Es ist der Job von Aktivistinnen, symbolpolitisch zu dramatisieren. Es ist auch richtig, dass diese Transformation von wertvollem Mischwald in Straße symbolisch dafür steht, dass wir im Moment alles tun, um das Pariser Klimaabkommen auf keinen Fall einzuhalten. Es ist nicht richtig, dass sich hier die Mobilitätswende entscheidet oder gar die Zukunft.

Strategisch gesehen besteht die Idee von Fridays for Future und ihren Spindoktoren darin, die Grünen für den Straßenbau verantwortlich zu machen und dadurch zu „radikalerer“ Klimapolitik zu bringen. Das gipfelt häufig in dem 08/15-Ressentiment, es sei inhaltlich egal, ob die CDU oder die Grünen regierten. Siehe Hessen. Siehe Kretschmann.

Nun regieren aber in diesen Bundesländern beide Parteien und sind jeweils von einem sehr anders tickenden Teil der gesellschaftlichen Mitte gewählt. Beide haben den – notwendigen – Anspruch, mit ihrer Politik die „ganze“ Gesellschaft zu vertreten. Das ist das Neue der Baerbock-, Habeck-, Al-Wazir- und Kretschmann-Grünen und die Grundlage ihres Sprungs von der 8- zur 20- beziehungsweise 30-Prozent-Partei: Das Vertrauen, dass sie eben nicht mehr nur Bündnisse mit Aktivisten schließen, die in Bäumen hängen, sondern auch mit Großunternehmen und Gewerkschaften. Das ist das, was Robert Habeck den „Widerspruch“ nennt, den er auflösen wolle. Das ist einerseits ein Euphemismus, aber andererseits stimmt es auch.

Man muss den Grünen nicht vorwerfen, dass sie den Bau der Autobahn nicht „stoppen“, sondern dass manche trotz Kenntnis der rechtlichen Lage so getan haben, als könne oder würde das noch passieren. Die Chance, die diese symbolpolitische Erhitzung bietet, besteht darin, das ehrliche und verantwortliche Sprechen zu intensivieren – auch auf die Gefahr hin, dass sich einige Jungaktivisten und Altutopisten enttäuscht abwenden. Die Wahrheit ist, dass auch die nächste Bundesregierung Straßen bauen und Kompromisse machen wird.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Mir erschließt sich die Logik nicht, durch exklusiven Druck auf die klimapolitisch noch ambitionierteste Partei alle dazu zu bringen, 1,5 Grad-Politik anzubieten, wie es ja das Ziel von Fridays ist. Warum sollte das Vorführen der Grünen die CDU oder SPD läutern oder deren Wähler umdenken lassen? Wie sollten sich verlorene Stimmen für „Klimalisten“ nach der Wahl positiv auf einen ökologisch geprägten Koalitionsvertrag auswirken?

Was immer FFF gerade für interne Sensibilitäten haben, die Herausforderung besteht darin, eine heterogene Mehrheit für ernsthafte Klimapolitik zu repräsentieren, so wie das Luisa Neubauer bisher personifiziert hat. Dafür müssen auch FFF einen Widerspruch auflösen. Sie müssen die Notwendigkeit radikalen politischen Handelns mainstreamtauglich machen. Falls die Klimapolitikbewegung aber nur sich selbst radikalisiert, wird auch sie im elitären Nirvana routinierter Berufsbesserwisser enden. Dann verlieren alle.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.