Grüne und Investitionen: Wird Habeck Finanzminister?
Bei den Grünen gibt es Überlegungen, in einer Koalition 2021 das Finanzministerium zu beanspruchen. Anders sei die eigene Agenda nicht durchzusetzen.
Mehrere Überlegungen befördern diese Idee. Die Grünen wollen in den nächsten Jahren hunderte Milliarden Euro investieren – in eine bessere Infrastruktur, also Brücken, Schwimmbäder oder Schulen, in die Energiewende oder in den ökologischen Umbau der Wirtschaft. Der Plan ist ein 500-Milliarden-Euro-Programm für die nächsten zehn Jahre, er soll im Bundestagswahlkampf eine wichtige Rolle spielen.
Außerdem werben die Grünen für eine Reform der Schuldenbremse. Sie wollen das in der Verfassung festgeschriebene Instrument lockern, um mehr Investitionen zu ermöglichen. Idee: Die deutsche Schuldenbremse, die bisher nur ein Defizit von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erlaubt, solle an die Maastricht-Kriterien der EU angepasst werden. Jene ermöglichen ein jährliches Defizit von 1 Prozent des BIP.
Dadurch würden Investitionen von 30 Milliarden Euro pro Jahr möglich, argumentierte Grünen-Chef Robert Habeck neulich im Deutschlandfunk. Im Wahljahr 2021, fügte er hinzu, werde eine Debatte wiederkehren, die man seit zehn Jahren nicht mehr kenne: Entweder sparen oder Steuern erhöhen oder die Kreditaufnahme erhöhen, also Schulden machen. Habecks Fazit: „Die Fiskalpolitik wird wieder ins Zentrum der Politik rücken.“
Europa ist ein wichtiges Argument
Die von den Grünen vorgeschlagende Verschuldungspolitik ist durchaus sinnvoll. Wegen der Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank kostet es den Staat nichts, sich Geld zu leihen. Und für eine engagierte ökosoziale Wende wären gigantische öffentliche Investitionen nötig – neben viel privatem Geld. Eine solche Agenda, argumentierten die Gesprächspartner der taz, sei ohne das Finanzressort nicht durchzusetzen.
Auch die Europapolitik ist ein wichtiges Argument. Der oder die FinanzministerIn ist neben dem oder der KanzlerIn der wichtigste Player in Brüssel. Deshalb bestanden die Sozialdemokraten 2017 unter dem damaligen Parteichef Martin Schulz darauf, den Finanzminister in der Großen Koalition zu stellen. Die Grünen haben große Pläne für Europa. Sie schlagen etwa vor, den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt zu reformieren und die Fiskalregeln so zu überarbeiten, dass sie antizyklische Investitionen in einer Krise ermöglichen. Das wäre eine ideale Aufgabe für einen grünen Finanzminister.
Eigentlich reden die Grünen nicht gerne über Geld. Mit allzu detaillierten Steuerplänen machten sie im Bundestagswahlkampf 2013 schlechte Erfahrungen – und flüchten sich seitdem lieber in wolkige Ansagen. Doch die Coronapandemie ändert alles. Die Groko hat Unsummen für die Coronabekämpfung ausgegeben, Finanzminister Olaf Scholz (SPD) plant allein für das Jahr 2021 eine Neuverschuldung von 96,2 Milliarden Euro. Auch in seiner mittelfristigen Finanzplanung klaffen riesige Lücken.
Als Möchtegern-Regierungspartei stecken die Grünen in einem Dilemma. Setzen sie auf ein finanzpolitisches Wünsch-dir-was – oder versuchen sie, eine seriöse Gegenfinanzierung zu basteln? Neben dem 500-Milliarden-Euro-Plan haben die Grünen nämlich noch mehr Wünsche, die sehr teuer sind. Die sanktionsfreie Grundsicherung, mit der die Grünen Hartz IV ersetzen wollen, kostet 30 Milliarden Euro im Jahr. Ihre Kindergrundsicherung: 10 Milliarden im Jahr. Ihre Garantierente: gut 6 Milliarden.
„Im Haushalt nicht darstellbar“
So weit nur die großen Brocken aus dem Sozialbereich. Alle diese Schätzungen sind eher vorsichtig, es gibt auch teurere Szenarien. Und die Ausgaben für Klimaschutz, Digitalisierung, Verkehr und anderes kämen ja noch obendrauf.
Natürlich haben die Grünen auch ein paar Ideen, um dem Staat mehr Geld zu verschaffen. Sie möchten etwa eine Digitalsteuer einführen, Steuerschlupflöcher schließen oder klimaschädliche Subventionen abschaffen. Aber das reicht bei weitem nicht aus. Über eine Digitalsteuer für Facebook, Amazon und Co. wird seit einer gefühlten Ewigkeit gestritten – es gibt sie international bis heute nicht. Um Steuerspartricks wirksam zu beenden, sind oft langwierige, international auszuhandelnde Abkommen nötig.
Bleiben die umweltschädlichen Subventionen. Sie belaufen sich laut Umweltbundesamt auf über 57 Milliarden Euro pro Jahr. Aber die Grünen würden das Subventionswesen wohl nicht radikal und sofort beenden. In einem Antrag im Parlament taxierte die Fraktion die mittelfristigen Steuermehreinnahmen im November 2016 auf etwa 12 Milliarden Euro jährlich. Kurz: Die Erträge reichten hinten und vorne nicht, um all ihre kostspieligen Wünsche zu finanzieren.
In der Fraktion ist die Finanzlücke längst aufgefallen. „Wenn man unsere Ideen übereinanderlegt, ist das im Haushalt nicht darstellbar“, sagte ein Abgeordneter. Deshalb denken die Grünen darüber nach, wie man zumindest Einstiege in die genannten Themen schaffen kann. Grünen-Haushälter Sven-Christian Kindler sagte der taz: „Keine Partei im Bundestag hat ein komplett gegenfinanziertes Programm. Das geht auch schlichtweg gar nicht, weil die Haushaltslage sich immer wieder abhängig von der Konjunktur ändert.“ Aber die Grünen seien „ehrlicher und seriöser“ als die anderen, etwa die CDU mit ihren massiven Forderungen nach Steuersenkungen.
Nahtod-Erfahrung 2013
Verschärft wird das Problem durch die grüne Zaghaftigkeit in Sachen Steuererhöhungen. Eine fairere Erbschaftsteuer oder ein höherer Spitzensteuersatz könnten dem Staat neue Einnahmen verschaffen. SPD-Chefin Saskia Esken und die Linkspartei fordern eine Vermögensabgabe, um sehr reiche Menschen an den Coronakosten zu beteiligen. Die Grünen-Spitze schwieg zu solchen Vorstößen bisher lieber, um sich nicht angreifbar zu machen.
Ein Grund dafür ist die Nahtod-Erfahrung im Bundestagswahlkampf 2013. Damals legten die Grünen unter ihren SpitzenkandidatInnen Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt ein komplett gegenfinanziertes Wahlprogramm mit einem detaillierten Steuerkonzept vor. Wirtschaftsverbände und liberalkonservative Medien deuteten die moderaten Erhöhungen für Wohlhabende in eine Attacke auf die gesamte Mittelschicht um. Eine Wiederholung dieses Debakels wollen sich die Grünen lieber ersparen, zumindest vorerst.
Wobei eine Konkretion der Steuerpläne im Wahljahr folgen soll. Parteichef Habeck erarbeite gerade mit einer Arbeitsgruppe Vorschläge zu Staatsschulden, Fiskalpolitik und einem Lastenausgleich, heißt es in der Fraktion. Jene müssten spätestens bis zum Wahlprogrammparteitag im Juni 2021 fertig sein.
„Für uns ist klar: Die Lasten der Krise müssen gerecht verteilt werden“, sagte Lisa Paus, die Finanzexpertin der Grünen-Fraktion, der taz. „Sonst droht sich die Spaltung des Landes zu verschärfen.“ Persönlich halte sie eine Vermögensabgabe für „sehr zielgerichtet und effizient zur Beteiligung der Krisenprofiteure an einem fairen Lastenausgleich“.
Keine Leidenschaft für Finanzpolitik
Falls es zu einer schwarz-grünen Koalition kommt, droht ein harter Kampf um die Fiskalpolitik. Für die Union ist die Schuldenbremse sakrosankt – auch der durch die Coronapandemie nötige Abschied von der schwarzen Null fiel ihr extrem schwer. Selbst SPD-Kanzlerkandidat Scholz hat sich bereits festgelegt, dass die Bremse ab 2022 wieder gelten müsse. Bliebe es dabei, wären die grünen Milliardenpläne perdu.
Und noch ein Problem tut sich auf: Wer soll den Job des Finanzministers eigentlich machen? Von den für Ministerposten gehandelten Spitzengrünen fiel bisher keiner durch besondere Leidenschaft für Finanzpolitik auf. Aber dass Ämter nicht nach Interesse besetzt werden, ist eher die Regel denn die Ausnahme. Robert Habecks Name fällt jedenfalls, wenn es ums Finanzressort geht. Der Parteichef habe schließlich federführend das grüne Konzept für die gelockerte Schuldenbremse erarbeitet, heißt es – zusammen mit FinanzpolitikerInnen und LandesministerInnen.
Wenn es Robert Habeck wird, wäre die Gegenpropaganda der Konkurrenz naheliegend: Der Grüne wäre der erste Finanzminister, der daran scheiterte, die Pendlerpauschale korrekt zu erklären.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt