Judith Butler und ihr Werk: Intellektuell nackt
Die Philosophin Judith Butler hat jüngst mit Relativierungen der Massaker vom 7. Oktober auf sich aufmerksam gemacht. War das überraschend?
Die Aussagen, die diese US-amerikanische Philosophin in Paris tätigte, waren ja nicht neu, sie hätten nicht schockieren müssen, weil ihre Aversion gegen den aus zionistischen Motiven gegründeten Staat Israel notorisch ist: Dass Judith Butler die Hamas (und die Hisbollah an der Nordgrenze Israels mit ihren iranisch abgesegneten Bomben) für akzeptable Alliierte im globalen Kampf der Linken hält, war schon 2014/15 bei Tagungen und in Statements in Berkeley wie in Mexiko-Stadt bekannt geworden.
Akut neu für Butlers Blick war lediglich, wie sehr sie nachgerade verschwörungsbewusst das Maß der sexuellen Gewalt gegen israelische Frauen (und Männer) und ihre Kinder bagatellisierte. Weiß man’s?, fragte sie in der Runde, die per Snippet auch auf Youtube nachhörbar ist, sie jedenfalls, führte sie aus, würde gern die Dokumente sehen. Um nachzusetzen, dass, selbst wenn es so wäre, dass israelische Frauen massakriert wurden, das Leid von Palästinenserinnen unbenannt bliebe.
Als ob das der Fall wäre! Alle propalästinensische Propaganda (ob wahr oder nicht) setzt seit Mitte Oktober auf Empörung ob der militärischen Folgen der Verfolgung der Hamas in Gaza: Frauen und Kinder seien getötet worden. Der Unterschied war und ist, dass die palästinensischen Täter des 7. Oktober ihre weiblichen Opfer nicht wie Soldatinnen töteten, sondern als Frauen, die in jeder Hinsicht entehrt, entwertet, entmenschlicht wurden – schlachtend.
Die Frage stellen viele: Steht das, was Butler in verstörender Kälte sagte und was rhetorisch an rechte Leugner von Gewalt gegen Frauen erinnerte, für ihre antiisraelische Macke, für ihren vor falschem (weil nichtjüdischem) Publikum ausformulierten innerjüdischen Dialog um die Missratenheit des zionistischen Projekts? Für ihre Vorstellung vom Jüdischen, das nur in der Diaspora, also chronisch in der Minderheitenposition, ein Anrecht auf moralische Entfaltung hat?
Das denkerisch fadenscheinige System Butler
Was ist denn von ihren sonstigen intellektuellen und akademischen Interventionen zu halten, jenseits dessen „Palästina“ und „Global South“, neuerdings auch modisch „Klimawandel“ zu bedeuten haben könnten? Es spricht, eingeschlossen eine schon ein Vierteljahrhundert alte Kritik der renommierten (linksliberalen) Philosophin Martha Nussbaum am denkerisch fadenscheinigen System Butlers, viel dafür, einfach dies zu formulieren: Die Kaiserin der Diskursstände – sie steht nackt da.
Ihr Ruhm fußt auf einem 1990 erschienenen Buch, „Gender Trouble“, zu deutsch: „Das Unbehagen der Geschlechter“. Eine Streitschrift wider einen naturalisierenden Feminismus, der mit den Mitteln philosophischer Zeichenlehre nahelegt, die im Frau-Mann-Schema angelegte Binarität der Wahrnehmungen zu erweitern, überhaupt zu unterscheiden zwischen „Sex“ (das biologische Geschlecht) und „Gender“ (das zur Praxis gebrachte Geschlecht).
Butler zeichnet in dieser Schrift ein Bild, dem zufolge Realitäten von Zuschreibungen leben, erst zum Leben kommen. Dass Frauen konstruiert seien, in manchen späteren Äußerungen behauptet sie gar, die Biologie sei gesellschaftlich – durch Mächte, durch Herrschaft – quasi gebastelt.
Geschlecht sei, alles in allem, eine Performance, eine Vorstellung: im Auge des/der Betrachterin entstehe durch die Darbietung einer Person, textil, gestisch und sprachlich, erst das Geschlechtliche – eine im Übrigen strikte Naturalisierung dessen, was als weiblich und männlich zu verstehen sein könnte, und damit eine Gegenposition zu dem, was einer ihrer angeblichen Hausheiligen, Sigmund Freud, konstituiert hat: Frauen und Männer haben je gleiche Anteile an Männlichem und Weiblichem, nur mit unterschiedlichen biologischen Prägungen. Die einen vermögen Leben zu zeugen, die anderen es zur Welt zu bringen.
Kritikerin einer romantischen Vorstellung von Feminismus
Damit ist bereits die wesentliche Matrix des Butler’schen Lehrgebäudes umrissen, alles, was in den Jahren folgte, waren Variationen. Was aber immer gleich blieb: dass sie sich, als Kritikerin einer romantischen Vorstellung von Feminismus, nie aber um weibliche Wirklichkeiten analytisch kümmerte.
Nicht allein Martha Nussbaum monierte, dass Butlers philosophischer Entwurf um diese Agenda eines politischen Feminismus sich nicht schert: proletarische Frauen und gewerkschaftliche Kämpfe; der Streit zur Vereinbarung von Arbeitszeiten und Kindergartenplätzen; Schwarze oder hispanische Frauen, die bildungspolitisch unernster genommen werden als weiße in den USA; der Kampf um Möglichkeiten des Schwangerschaftsabbruchs (nicht nur) in den USA; die Kämpfe iranischer Frauen gegen den Kopftuchzwang; die Bewegung von Lesben und Schwulen gegen das heterosexuelle Heiratsprivileg? All diese Issues haben in Butlers Kosmos kein Gewicht.
Was sie stattdessen liefert, ist ein Kampf um Symboliken. Für das Recht auf die Identität als Nonbinäre des Geschlechtlichen, für Transfluidität, damit im Übrigen in Allianz mit dem medizinisch-pharmakologischen Komplex, der seine chirurgischen und chemischen Manipulationsmöglichkeiten begründet sehen wollte, für Sternchen, Unterstriche und allerlei Sprachinnovationen – als ob das irgendeinem feministischen Anliegen der materiellen Sorte irgendwie aufhelfen könnte.
Es ist insofern kein Wunder, dass Judith Butlers (und mit ihr die vieler anderer Theoretikerinnen*) wachsende Popularität in Academia mit dem Niedergang des Sozialismus, besser: mit der Abwicklung marxistischer Denkweisen an den westlichen Universitäten zu tun hat. In linken Denkschulen ging es um Interessen, um Kämpfe – nicht um Identitäten, es ging schlicht um Klassenkämpfe, nicht jedoch ums Ringen günstigerer Performanzchancen für Mittelschichtskinder.
Adorno-Preis für Subversion und Kritik?
Eigentlich könnte Butler eine Philosophin aus Berkeley sein, die ihre poststrukturalistische Perspektive auf die Dinge der geschlechtlichen und binaritären Welt wirft. Eine unter vielen anderen … aber sie ist die populärste Weltdeuterin im Beruf der Weltdeutenden: Und das hat viel mit der Nachfrage nach ihrem Stoff zu tun, nach dem Ungefähren, das Judith Butler verbreitet, am nachgerade antiweltlichen und antiempirischen Gehalt dessen, was sie kritisierte – zumal als antiisraelische Aktivistin und Stichwortgeberin für terrorsympathisierende Strömungen in der globalen Linken.
Butler bekommt überall Preise, auch eben vor zwölf Jahren den Adorno-Preis der Stadt Frankfurt am Main, deren Jury (bis auf FAZ-Redakteur Jürgen Kaube) für ein Werk, das als auf ernsthaft Profundes nachgelesen kaum betrachtet werden darf, eine Philosophin auszeichnete, die angeblich auf Subversion und Kritik hält – als ob das schon einer Adorno-Fellowerschaft würdig wäre.
Schon gar nicht deshalb, weil Adorno Tränen und Leid und Schmerz als philosophischen Denkfaden für tauglich gehalten hätte, zumal diese drei inzwischen zentralen Vokabeln aus Butlers Denkfundus nicht als politische Kategorien taugen – sondern nur fürs Mitreden um politisch nur schwer Änderbares.
Kein Impuls ging von Butler aus, der die Welt auch nur einen Deut besser gemacht hätte. Wie Nussbaum, sinngemäß, formulierte: Ihre Ideen führen ins Nichts. Was sie so attraktiv macht, ist eben ihre Weltenferne, ihr exklusives, faktisch antisemitisches, weil Israel dämonisierendes Sprechen über den Nahen Osten, den Imperialismus und das gewisse Dies & Das mit Suhrkamp-Appeal.
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