Impfungen für 12- bis 17-Jährige: Eine Anmaßung der Politik

Die Gesundheitsminister setzen sich mit der Impfempfehlung für Jüngere über das zuständige Experten-Gremium hinweg. Das ist ein Skandal.

Eine Spritze wird mit Impfstoff befüllt

Problematische Entscheidung: Die Gesundheitsministerkonferenz legt Impfen für Jüngere nahe Foto: dpa

Für manche Eltern und wohl auch Schüler wird der Montagabend eine Erleichterung gewesen sein. Mit der Entscheidung der Gesundheitsminister der Länder, allen Kindern ab 12 Jahren ein Impfangebot zu machen, gibt es zum ersten Mal die berechtigte Hoffnung auf einen regulären Schulbetrieb nach den Sommerferien.

Und klar, wer würde diese Hoffnung nicht jubelnd begrüßen nach eineinhalb Jahren Pandemie, in der die Kinder zugunsten der Gesundheit Erwachsener auf so viel mehr als nur den Präsenzunterricht im Klassenzimmer verzichtet haben. Wer wollte die Jüngsten nicht endlich wirksam vor dem Virus schützen – und vor der Fortsetzung der Misere in den Schulen, oder besser: zu Hause, im so genannten Homeschooling.

Doch bei genauer Betrachtung ist der Beschluss der Minister nicht erleichternd, er ist nicht einmal sinnvoll – sondern ein Skandal, und zwar in doppelter Hinsicht. Erstens hat die Politik hier binnen weniger Stunden eine Kompetenz an sich gerissen, die sie faktisch nicht hat. Sie entscheidet, welche pharmazeutischen Interventionen, zumal bei Kindern, wissenschaftlich vertretbar sind – und welche nicht. Für Impfungen liegt diese Kompetenz in Deutschland bei der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut, einem unabhängigen Gremium von Fachleuten.

Diese Experten bewerten die verfügbaren Daten und Erkenntnisse zu Wirkung, Nebenwirkungen und Nutzen von Vakzinen. Sie sind schon vor Wochen zu dem Schluss gekommen, dass es bisher keine ausreichenden Gründe dafür gibt, das Immunsystem aller Heranwachsenden ab 12 Jahren mit einem Impfstoff gegen Sars-2 zu konfrontieren. Lediglich für vorerkrankte oder anderweitig besonders gefährdete Kinder überwiegt demnach der Nutzen.

Die Stiko weiß, was sie tut

Und bei aller berechtigten Kritik an dem Hin und Her von Empfehlungen, die es zur Impfung von Erwachsenen mit AstraZeneca gegeben hatte: Die Stiko weiß, was sie tut. Sie weiß vor allem ungleich besser über Impfungen Bescheid als der durchschnittliche Politiker.

Die Politik aber hat ein Problem, und das ist der zweite Teil des Skandals: In ihrem eigenen Kompetenzbereich hat sie versagt. Keine einzige Landesregierung hat ihren Schulen flächendeckend die nötige Ausstattung verschafft, um einen sicheren Betrieb auch ohne Impfungen der Kinder zu gewährleisten. In Berlin hat nicht einmal jede dritte Einrichtung eine neue Luftfilteranlage erhalten, um das Übertragungsrisiko wirkungsvoll zu minimieren. Und von den Voraussetzungen für einen womöglich doch wiederkehrenden digitalen Unterricht in der schon rollenden vierten Welle träumen Eltern, Schüler und Lehrer weiterhin.

Zugleich ist keine Landesregierung bereit, zum Schutz der Ungeschützten in anderen Bereichen Abstriche zu machen. Diese Bereiche – Sportveranstaltungen, Freizeiteinrichtungen, der Einzelhandel – betreffen schließlich die Wahlberechtigten der nahenden Bundestagswahl. Da geht man lieber nicht noch mal ran, auch wenn es nachweislich sinnvoll wäre und helfen würde, die Schulen offen zu halten.

Aber so sollen eben die Kinder den Arm herhalten. Dürfen tun sie das ohnehin, viele machen von der Möglichkeit auf eigene Initiative hin bereits Gebrauch. Ob sie es in ausreichender Zahl tun werden, bleibt abzuwarten, die mangelnde Impfbereitschaft der Erwachsenen spricht kaum dafür. Und was mit den Kindern ist, die noch keine 12 Jahre alt und in Kitas und den unteren Schulklassen zu betreuen sind, ist auch nicht die geringste der offenen Fragen. Aber dazu fällt den Gesundheitsministern vielleicht ein weiterer Handstreich ein.

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