Habecks Klimapläne: Das ganz große grüne Rad
Habecks Vorhaben für den Klimaschutz klingen radikal. Doch zur Energiewende geht es nicht im Schlafwagen: Wir müssen unsere Komfortzone verlassen.
E in Slogan von Bündnis 90/die Grünen lautet: „Radikal ist das neue Realistisch“. Zwischen Wahlkampf, Koalitionsverhandlungen und Regierungsbildung ist das ein wenig untergegangen. Aber was Wirtschaftsminister Robert Habeck jetzt als Klima-Sofortprogramm vorlegt, erfüllt diese Doppelfunktion: Es ist radikal. Und hoffentlich auch realistisch.
Allen, die ein bisschen etwas von Energiepolitik verstehen, sträuben sich bei den Ansagen die Nackenhaare: Den Ausbau von Wind- und Sonnenstrom mal eben zu verdreifachen, Verfahren zu entrümpeln, Behörden zu digitalisieren, Energieeffizienz endlich umzusetzen, doppelt so viel Wasserstoff herzustellen wie geplant, Millionen von Elektroautos und Wärmepumpen auf die Straßen und in die Keller zu bekommen … An jedem einzelnen dieser Vorhaben kann sich die Ampelkoalition verschlucken, und Habeck will alles gleichzeitig. Dazu noch: Wachstum, Jobs, Wohlstand schaffen, die Menschen mitnehmen und überzeugen. Und ein „Wir machen das alle zusammen“-Gefühl im Land und in der Koalition erzeugen. Sonst noch was?
Die Komfortzone verlassen
Aber all das muss Realität werden, will die Regierung ihre Ziele und das Gesetz erfüllen. Ohne eine große Kraftanstrengung von allen Seiten wird es nicht gehen. Ein Deutschland, das mit der Klimaneutralität Ernst macht, wird anders aussehen, als wir es gewohnt sind, wir werden unsere Komfortzone verlassen müssen. Das Programm des Vizekanzlers ist die grüne Version einer Ruck-Rede, nur industriepolitisch unterlegt und ökonomisch wie ökologisch bitter nötig. Es tut gut, von der Regierung endlich mal eine ehrliche Bilanz des deutschen Klimaversagens zu hören – auch wenn es so zutreffend wie einfach ist, der Vorgängerregierung die Schuld zu geben.
Habeck weiß aber auch: Ab sofort ist jede Tonne CO2 zu viel sein persönliches Versagen. Ihn erwarten jede Menge Gegenwind, Debatten und Ärger, aber hoffentlich auch endlich Bewegung. Denn zur Energiewende, die eine Transformation der gesamten Gesellschaft bedeutet, geht es nicht im Schlafwagen.
Da hilft es, dass die schlimmsten Klimaversager unter den Ministerien zuletzt von der Union geführt wurden: Wirtschaft, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft, Kanzleramt. Sonst müsste Habeck des Koalitionsfriedens halber vorsichtiger sein. Aber genau diese Verwaltungen braucht er jetzt für seine Pläne. Und da zeigt sich, wie groß das Rad wirklich ist, das Habeck drehen muss: Ohne die aktive Mitarbeit der anderen Ressorts, des Parlaments, der Bundesländer, von Industrie, Verbänden und Lobbygruppen wird es nichts mit diesem radikalen Plan. So realistisch muss man bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht