Fackelaufmarsch in Sachsen: Neuordnung der Fronten
Immer gefährlicher wird der Protest radikaler ImpfgegnerInnen. Die ungeimpften demokratischen Kräfte sollten sich distanzieren.
D er Fackelaufmarsch vor dem Haus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping stieß völlig zu Recht auf parteiübergreifende Entrüstung. Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann sprach von SA-Methoden und auch Innenminister Horst Seehofer fühlte sich an die dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte erinnert. Die Reaktionen waren so richtig, wie die Aktion selbst absehbar war.
Immer radikalere Ausmaße nimmt der Protest von CoronaleugnerInnen an. Was fehlt, ist die klare Distanzierung derer, die zwar ebenfalls keine Impfung wollen, die Methoden und die zunehmende Gewalt der Fanatiker jedoch ablehnen. Viel zu lange schon überlassen die Impfscheuen, die Ängstlichen und die, die sich mit den verschärften Maßnahmen zunehmend an die Wand gedrängt fühlen, ihre Stimme den ExtremistInnen.
Schon die steigenden Zahlen bei den Impfungen zeigen, dass es sich bei den Menschen, die sich dem Piks bislang verweigerten, keinesfalls um eine homogene Gruppe handelt. Sehr vielen reichen die verschärften Maßnahmen schon aus, um den lange gemiedenen Weg zur Impfung endlich zu gehen.
Warum ist öffentlich, etwa in den sozialen Medien, nichts von denen zu hören, die Impfen nur blöd oder umständlich finden und die diffuse Ängste haben, die aber den von einem Einzeltäter begangenen Mord in Idar-Oberstein und eben auch den Fackelzug genauso verabscheuungswürdig empfinden, wie jeder moralisch denkende Mensch es tun sollte – ob geimpft oder nicht.
Es waren 30 FanatikerInnen, die mit Fackeln vor Köppings Haus aufmarschiert sind – und die in einer Atmosphäre agierten, die es ihnen ermöglicht, sich selbst zu Pionieren und HeldInnen zu stilisieren, zu VerteidigerInnen der Rechte der Unterdrückten. Diese Irren eines Besseren zu belehren und ihnen klarzumachen, dass sie nicht für alle Ungeimpften sprechen, ist überfällig.
Jetzt gilt es, die Frontlinien da zu ziehen, wo sie tatsächlich verlaufen, nämlich zwischen DemokratInnen und denen, die skrupellos Nazi-Methoden anwenden.
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