Die Verständnisfrage: Radfahren, nein danke
Warum steigen Autofahrer*innen in der Stadt nicht längst aufs Rad um, fragt unsere Leserin. Weil es Stress bedeutet, antwortet eine Autofahrerin.
In der Verständnisfrage geht es jede Woche um eine Gruppe, für deren Verhalten der Fragesteller_in das Verständnis fehlt. Wir suchen eine Person, die antwortet.
Janna Göldi, 27, Studentin aus Chur in der Schweiz fragt:
Liebe Autofahrer:innen in der Stadt, warum steigt ihr nicht aufs Rad um?
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Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Barbara Schnell, 58, Fotografin aus Krefeld antwortet:
Anfang des Jahres habe ich nach 20 Jahren wieder mit dem Gedanken gespielt, mir ein Fahrrad zu kaufen – und es gelassen. So wie ich es hinter dem Lenkrad meines Autos wahrnehme, ist Radfahren zu gefährlich. Ich würde entweder nicht lebend oder zumindest mit Bluthochdruck am Ziel ankommen. Meine Stadt priorisiert das Auto, und ich habe nur dieses eine Leben.
Ich bin Fotografin, mein Kameraequipment wiegt über zehn Kilo und ich muss oft beruflich morgens um sechs an entlegenen Orten sein. Das geht nur mit dem Auto. Aber ich plane meine Strecken so, dass ich Stauzeiten meide und nie mehr als 100 Stundenkilometer auf der Autobahn fahren muss. Hier in der Stadt lege ich meine Wege so zusammen, dass ich das Auto höchstens ein Mal am Tag bewege. Trotzdem würde ich Teilstrecken gerne radeln, weil sie zum Beispiel durch den Wald führen. Aber wie soll das gehen – für den Bedarfsfall ein Rad an einen Baum ketten? Den Rest durch die Stadt zu radeln, ist mir zu gefährlich.
Klar, Autofahren ist auch bequem, das kann ich nicht leugnen, aber mich hält die Stadtgestaltung vom Radfahren ab. Einen Auslöser wie einen Unfall für die Abschaffung meines Rads gab es nicht. Der Verkehr wurde einfach immer fahrraduntauglicher. Früher war meine Straße zum Beispiel nur einseitig zugeparkt. So konnte man auf der freien Seite sicher fahren, ohne davor Angst zu haben, dass ein Autofahrer die Tür aufreißt und man im nächsten Moment über den Lenker fliegt. Heute parken die Autos auf beiden Seiten.
Das Wahnsinnige ist, ich wohne sogar in einer Fahrradstraße. Hier sollten Fahrräder die Geschwindigkeit vorgeben, maximal Tempo 30 darf gefahren werden. Trotzdem brettern Autos durch unsere Straße, an der es zwei Grundschulen und einen Spielplatz gibt. Sie überholen Radfahrer, ohne auf die geltenden 1,50 Meter Mindestabstand zu achten.
Kennen die Menschen die Straßenverkehrsordnung nicht, oder ist sie ihnen egal? Wir brauchen keine neuen Gesetze; es würde reichen, wenn die geltenden Regeln durchgesetzt würden. Aber die Polizei fährt wie mit Scheuklappen an wild parkenden Autos vorbei, und es gibt viel zu wenig Geschwindigkeitskontrollen. Dabei müsste das doch eine Goldgrube sein.
Für mein Auto miete ich eine Garage, was mich weniger kostet als ein lokales Monatsticket für den ÖPNV. Ich finde, privates parkendes Blech hat nichts im öffentlichen Raum verloren, erst recht nicht kostenlos. Aber Krefeld hat vor dem Parkdruck kapituliert. Parkmarkierungen reichen bis in Kreuzungsbereiche, sodass ich auch als Fußgängerin den Verkehr nur dann überblicken kann, wenn ich schon halb auf der Straße stehe. Weniger parkende Autos in der Stadt würden mehr Sicherheit für alle bedeuten.
Um aus mir eine Radfahrerin zu machen, müssten die Fahrradwege vernetzt sein, es müsste separate Ampelphasen für Autos und Räder geben und viel mehr Platz für Menschen. Der Verkehr müsste sich nach den Schwächsten, den Fußgängern, richten. Ich glaube fest, dass ich das Ende der autogerechten Innenstadt noch erleben werde. Bis dahin fahre ich Auto. Ich weiß, das klingt paradox.
Haben Sie manchmal auch diese Momente, wo Sie sich fragen: Warum, um alles in der Welt, sind andere Leute so? Wir helfen bei der Antwort. Wenn Sie eine Gruppe Menschen besser verstehen wollen, dann schicken Sie Ihre Frage an verstaendnis@taz.de.
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