Deutsche-Knigge-Gesellschaft: Die große Angst vor der Jogginghose

Jogginghosen in Schulen: Das geht gar nicht. Sagt zumindest die Deutsche-Knigge-Gesellschaft und fordert deswegen nun ein Verbot.

Eine graue Jogginghose hängt an der Wäscheleine

Von Beyoncé bis Lars Eidinger tragen doch alle schon Jogginghosen als Arbeitskleidung Foto: Martin Wagner/imago

Waren Sie jemals overdressed oder underdressed? Oder hinterfragen Sie solche Konzepte und tragen einen Jutebeutel mit der Aufschrift: „Ist mir egal, ich lasse das so“. Und dürfen Ihre Kinder anziehen, was sie wollen?

Wir wissen, Kleider allein machen keine Leute, und diskutieren trotzdem über die alterslose Jogginghose. Dem Modedesigner Karl Lagerfeld wird das Zitat zugeschrieben: „Wer Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“

Ich weiß nicht, wie es ihnen ging, aber ich sehe seit Jahren überall Jogginghosen: im Restaurant, beim Theaterbesuch oder am Flughafen. Also an all den Orten, die mit einem gewissen sozio-ökonomischen Status verbunden sind und wo Be­su­che­r*in­nen Lagerfeld scheinbar den Mittelfinger zeigen. Natürlich haben sie keine Angst davor, dass es als Kontrollverlust gedeutet werden könnte. Schließlich haben sie genug Kohle in der Hosentasche ihrer Jogginganzüge. Tragen Beyoncé oder Lars Eidinger die Jogginghose, dann sind sie uneitel. Tragen Aisha, Murat und Kevin vom „Brennpunkt“ die Jogginghose, dann sieht es mit der Wertung anders aus. Die Jogginghose ruft dann ähnlich wie die Shisha Assoziationen hervor, die für das Beängstigende, weniger intellektuelle stehen. Für die Russenhocke, für Hände in der Hosentasche.

Lehrkräfte mit Wanderschuhen oder in Regenschutzhosen

Nun fühlte sich auch die Deutsche-Knigge-Gesellschaft bemüßigt, sich zur Jogginghose zu äußern. Sie unterstützt die Forderung, Jogginghosen auf Schulhöfen zu verbieten. Die Jogginghose sei ein Funktionskleidungsstück für den Sport oder danach. Schulzeit sei Arbeitszeit, daher wäre sie ein No-Go. Nicht die Schule, die Jogginghose!

Ich habe Bilder aus meiner Schulzeit vor Augen. Ich sehe Lehrkräfte mit Wanderschuhen, in Sport-T-Shirts oder Regenschutzhosen. Dabei ist es ihre Arbeitszeit, denn sie werden dafür bezahlt, nicht die Schülerschaft. Gleichzeitig sind die Jugendlichen in der Pubertät. Sie sind dabei, sich von ihren Familien zu distanzieren, hinterfragen die Normen der Gesellschaft und versuchen sich zurechtzufinden. Dafür benötigt es die Freiheit zum Ausprobieren. Wir wissen auch, dass ein solches Verbot vor allem bei Jugendlichen getreu dem Motto „Ohne meine Jogginghose? Ohne mich!“ schnell zur Schuldistanz führen kann. Und das wollen wir doch alle nicht, oder?

Schule ist auch ein Spiegel der Gesellschaft. Wir stehen vor der Frage, ob die Schule die gesellschaftlichen Vorgaben reproduzieren soll oder ob sie der Raum für demokratische Experimente ist und somit ein Vorbild für die Gesellschaft sein kann. Von einem Jogginghosen-Verbot zu einer Uniform ist es nicht weit. Genau genommen ist das Verbot Teil des subtilen Uniformierungsfetischs des kleinen Mannes. Wenn die Knigge-Gesellschaft wirklich voller Overthin­ke­r*in­nen ist, dann sollte sie auch streng sein, wenn es um die Funktion von Kleidung geht. Kleidung ist nicht nur atmungsaktiv oder wind- und wetterfest, Kleidung fungiert auch als Ausdruck der Persönlichkeit. Kleidung ist Mode. Mode ist politisch. Mode ist Statement, Zugehörigkeit und Abgrenzung. Mode ist Zeitgeist. Arbeitskleidung gibt es in dem Sinne nicht, außer vielleicht den Blaumann oder den weißen Kittel. Heutzutage kann man mit Birkenstocks ins Büro und mit Jeans in einer Bankfiliale arbeiten. Das liegt natürlich nicht nur am Freigeist der Arbeitgeber. Sie wissen aber, dass sie nur mit der Freiheit zur Differenz zukünftige Arbeitnehmer locken können.

Knigge war bereit für den Umsturz

Ich höre das Raunen aus der ersten Reihe der Kniggerianer, wo jene vermeintlich Angepassten sitzen, die die Regeln allein nach ihren Vorstellungen gestalten wollen: Es gäbe universale Grundsätze und dazu gehöre, Jogginghose nur in der Freizeit zu tragen. Die Kniggerianer sind Menschen, die Knigge nur so gut kannten wie ein Volk seinen König. Denn der adlige Knigge erbte Schulden, die er abbezahlen musste, indem er arbeitete. Er war genervt vom arbeitslosen Adel. Knigge hatte das Selbstbewusstsein eines Adligen transgenerational geerbt. In Verbindung mit dem Trauma des Abstiegs solidarisierte er sich mit dem Rand der Gesellschaft und war bereit für einen Umsturz. Knigge war best of both worlds. Dementsprechend forderte er vor allem Flexibilität im Umgang miteinander. Gehört dazu nicht, dass wir andere Menschen nicht aufgrund ihres Äußeren abwerten?

Ich sehe Zukunftsbilder aus der Schule. Lehrkräfte, die aus Solidarität in Jogginghose zur Schule kommen.

In diesem Sinne wünsche ich uns eine Welt, in der man anziehen kann, was man mag. Wem der Anblick der Jogginghose den Verstand raubt, dem empfehle ich Augenkontakt und sich nach Feierabend in Gedankendehnung zu üben. Denn dies ist notwendig, wenn wir pluralistisch in Frieden leben wollen und uns auf das Wesentliche konzentrieren möchten. Das Wesentliche ist innerhalb und außerhalb der Schule immer noch: lernen.

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