Verfassungsgericht zu Kinderehen: Nachbessern nötig

Kinderehen automatisch für nichtig zu erklären, ist nicht unproblematisch. Sinnvoller wäre eine Rückkehr zur Einzelfallprüfung.

Ein verschleiertes Mädchen wartet auf ihre Verlobungszeremonie in Indien Foto: Amit Dave/reuters

Kinderehen bleiben in Deutschland bis auf weiteres nichtig, auch wenn sie im Ausland wirksam geschlossen wurden. Das entschied jetzt das Bundesverfassungsgericht. Allerdings muss der Gesetzgeber bis Mitte 2024 Details nachbessern.

Das Urteil kommt überraschend. Immerhin hielt der Bundesgerichtshof, der das Verfahren ausgelöst hat, den 2017 eingeführten Automatismus für unverhältnismäßig und forderte unter Berufung auf Fachverbände eine Rückkehr zur Einzelfallprüfung. Auch das Bundesverfassungsgericht galt bisher als Freund von Einzelfallprüfungen.

Natürlich ist eine Ehe, bei der eine Part­ne­r:in beim Eheschluss jünger als 16 war, hochproblematisch. Es besteht typischerweise ein enormes Machtgefälle, das zu den Rollenbildern im Herkunftsland passt. Statt zu heiraten sollten Kinder und Jugendliche doch eher spielen, lernen und sich entwickeln.

Doch der deutsche Staat greift hier auch in bestehende Ehen ein, die im Ausland gültig waren und auf die sich die Beteiligten eingerichtet haben. So wurden bei der Flüchtlingswelle 2015 viele Mädchen, die mit ihrem Ehemann ankamen, von ihm getrennt und erhielten einen staatlichen Vormund. Die Betroffenen empfanden das in der Regel nicht als Schutz, sondern als Schock. Sie sahen hier meist keine Hilfe zur Selbstbestimmung, sondern eher staatliche Fremdbestimmung.

In weiten Teilen der Öffentlichkeit war der proklamierte Schutz der Mädchen nur ein Vehikel, um den Flüchtlingen zu zeigen, dass in Deutschland „unsere Werte“ gelten. Als 2017 die automatische Nichtigkeit von Kinderehen eingeführt wurde, war das ein eher unsympathisches Beispiel für symbolische Gesetzgebung.

Doch wenn der Gesetzgeber das bestehende Gesetz nicht nachbessert, gilt ab Mitte 2024 wieder die alte differenzierte Rechtslage. Hier ist Untätigkeit eine Chance. Noch besser wäre es, die Ampel schafft die automatische Nichtigkeit ausdrücklich wieder ab und kehrt bewusst zur alten Einzelfallprüfung zurück.

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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