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Blockade der Hilfslieferungen in GazaIsrael hat jede rote Linie überschritten – und jetzt?

Pauline Jäckels
Kommentar von Pauline Jäckels

Die Unterstützung der israelischen Kriegsführung ist längst nicht mehr zu rechtfertigen. Merz wird es dennoch tun – und stellt damit eine Sache klar.

Kämpfen ums Überleben: Palästinenser inmitten der Trümmer der durch israelische Angriffe zerstörten Gebäude, 14.2.2025 Foto: Omar Ashtawy/apa/dpa

E s wird immer schwerer, Kommentare zu Gaza zu schreiben. Nicht etwa, weil das, was dort passiert, an Bedeutung verloren hätte oder weniger Grund zur Empörung böte. Jedes verlorene Menschenleben bleibt wichtig; jedes Kind, das mit Angst, Hunger und Durst einschläft; jede Frau, die ohne die nötige medizinische Versorgung entbinden muss; jeder Mann, der mit bloßen Händen Leichen aus den Trümmern eines bombardierten Hauses zieht; jede Geisel, die in Hamas-Gefangenschaft um ihr Leben bangt.

Und dennoch ist das Schreiben darüber mühsamer geworden: Denn alles Relevante wurde längst gesagt. Die Fakten sind bekannt. Die Situation hat sich trotzdem verschlimmert, und die nächste Bundesregierung wird daran nichts ändern. Nicht weil sie nicht kann, sondern weil sie nicht will.

Man könnte trotzdem noch einmal über die mehr als 52.000 getöteten Menschen in Gaza sprechen, von denen laut den Vereinten Nationen (UN) rund 70 Prozent Frauen und Kinder sind. Man könnte noch einmal sagen, dass Israels seit 60 Tagen andauernde Totalblockade von Hilfslieferungen, um die Bevölkerung auszuhungern, ein eindeutiges Kriegsverbrechen ist; dass jedes einzelne Krankenhaus in Gaza bombardiert wurden und Israel bis heute keine unabhänig verifizierbaren Beweise dafür geliefert hat, dass sich dort tatsächlich Hamas-Zentralen befanden. Man könnte daran erinnern, dass zahlreiche internationale Me­di­zi­ne­r*in­nen übereinstimmend von Schusswunden in Kinderköpfen berichten.

Man könnte noch einmal sagen: Nichts rechtfertigt dieses Vorgehen oder dessen Unterstützung. Nicht die Kriegsverbrechen der Hamas vom und seit dem 7. Oktober und nicht unsere eigene genozidale Geschichte.

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Israels Regierung will Gaza-Streifen entvölkern

Die israelische Regierung macht sich nicht einmal mehr die Mühe, ihre Absichten in Gaza zu verschleiern. So betonte der israelische Premier Benjamin Netanjahu, Israel werde „in jedem Fall den Gaza­strei­fen militärisch kontrollieren“. Finanzminister Bezalel Smotrich fantasiert nicht nur darüber, Gazas Bevölkerung zu vertreiben: „Wenn wir jeden Tag 5.000 rausholen, dauert es ein Jahr.“ Er kündigte auch eine neue Behörde an, die diesen Plan umsetzen soll.

Laut Smotrichs Berechnungen würden 1,8 von 2,1 Millionen Menschen den Gazastreifen verlassen, wenn man es ihnen ermöglichte. Wenn der gesamte Gazastreifen nach Fortsetzung der Offensive wie das Flüchtlingslager Dschabaliya aussähe, würden die Menschen keinen Grund mehr haben, in Gaza zu bleiben, befand der ultrarechte Minister.

Der Plan ist also, den Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen ihre Lebensgrundlage zu nehmen, damit sie kapitulieren und gehen. Hier von „freiwilliger Migration“ zu sprechen, ist vollkommen grotesk. Wenn eine Regierung gezielt Bedingungen schafft, die das Überleben einer ethnischen Gruppe in einem Gebiet unmöglich machen, erfüllt das den Tatbestand einer ethnischen Säuberung.

Sowohl moralisch als auch völkerrechtlich ist längst klar, wie Deutschland handeln muss. Da der Internationale Gerichtshof (IGH) einen Völkermord für plausibel hält, dürfen keine Waffen geliefert werden: um einen Genozid zu verhindern und so die Staatenverpflichtung aus der UN-Völkermordkonvention zu erfüllen. Und laut Gutachten des IGH muss jegliche Unterstützung für Israel ausgesetzt werden, die die illegale Besatzung der palästinensischen Gebiete aufrechterhält.

Doch Recht und Moral werden für die kommende Bundesregierung eine noch kleinere Rolle spielen als für die Ampel. Auch wenn es viel zu spät und zu wenig war: Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock entfernte sich immerhin im Laufe der Zeit etwas von der starren Kanzlerlinie.

Zusammen mit ihrem Parteikollegen und Wirtschaftsminister Robert Habeck soll sie sogar für das zeitweise andauernde Aussetzen von Kriegswaffenexporten nach Israel verantwortlich gewesen sein. Sie bestreiten das zwar, fest steht aber: Eine Zeit lang wurden fast keine Kriegswaffen geliefert. Mit Friedrich Merz als Kanzler und Johann Wadephul als Außenminister (beide CDU) wird es das nicht geben.

Zwar gibt sich Wadephul in seiner Rhetorik etwas gemäßigter als Merz. Er will weiter Waffen an Israel liefern, betont jedoch die Bedeutung des internatio­nalen Rechts, von dem sich Merz mit seiner Netanjahu-Einladung trotz des Haftbefehls des Interna­tio­nalen Strafgerichtshofs längst verabschiedet hat. Auch das sind nur leere Worte. Das einzige Druckmittel, das Deutschland hat, um Israel zu einem Ende der Kriegsverbrechen in Gaza und der Einhaltung des internationalen Rechts zu bewegen, wäre ein Waffenembargo.

Das ließe sich sogar umsetzen, ohne den so oft beschworenen Grundsatz der Staatsräson – die deutsche Verantwortung für Israels Sicherheit – aufzugeben. Man müsste nur unmissverständlich klarstellen: Die Sicherheit Israels unterstützen wir mit allen Mitteln – sobald sich dessen Regierung an das Völkerrecht hält.

Doch stattdessen lautet die Botschaft: „Mach einfach weiter so, Bibi!“ Genau hier zeigt sich, was sich seit 18 Monaten immer deutlicher abzeichnet: Die Rhetorik der Staatsräson hatte nie etwas mit Recht oder Moral zu tun. Sie diente vor allem einem Zweck – zu rechtfertigen, was sich nicht rechtfertigen lässt.

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Pauline Jäckels
Meinungsredakteurin
Redakteurin im Meinungsressort seit April 2025. Zuvor zuständig für die parlamentarische Berichterstattung und die Linkspartei beim nd. Legt sich in der Bundespressekonferenz gerne mit Regierungssprecher:innen an – und stellt manchmal auch nette Fragen. Studierte Politikwissenschaft im Bachelor und Internationale Beziehungen im Master in Berlin und London.
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3 Kommentare

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  • Ja leider ist es so. Und das was wirklich verkannt wird und sich zu den meinsten krigerischen dargewesenen Handlungen unterscheidet. Die Palestinenser haben noch nicht ein mal die Möglichkeit zu fliehen - sie können dem ganzen nicht entkomme und müssen es einfach ertragen und werden in die Haftung für die Handlungen der Hamas genommen ...

  • Es ist aber schon klar, daß, wer so einen Artikel schreibt und wer darunter kommentiert, in diesem Leben nicht mehr in die Staaten reisen oder mit einer ihrer hiesigen Behörden in Kontakt treten muß. Beispielsweise in Landstuhl Pizza ausliefern oder so. Und wenn wir anstelle Kanadas der 51. Bundesstaat würden, was dann?

    Nein, es ist nicht lustig. Und es geht auch nicht an, zu behaupten, es ließe sich irgendwas trennen. Das israelische Volk hat diese Regierung gewählt. Und niemand hat behauptet, die Wahlen seien nicht frei und fair vonstatten gegangen. Die Waffen wurden, wenn schon, dann ja auch nicht an das israelische Volk, sondern an dessen Regierung geliefert. Wobei die sich am Schluß nicht mal mehr von den Amerikaner etwas hat sagen lassen. Also?

    Vielleicht nimmt es der eine oder andere ja mal zum Anlaß, sich mit der Geschichte der Gegend zu befassen. Also gerne das letzte Jahrhundert hindurch, angefangen zumindest mit dem Völkerbundsmandat der Briten vom 24. Juli 1922, die Art, wie es ausgeübt wurde, den verschiedenen Plänen und Karten, die entworfen, abgestimmt und beschlossen wurden, von wem und wie, wer sich dann an die Beschlüsse gehalten hat (oder auch nicht), ...

  • Solche Methoden sollten im 21. Jahrhundert nicht mehr vorkommen, wo auch immer auf der Welt.



    Ziehen wir beim Blick auf Palästina kurz die Vergangenheitsbewältigungsbrille aus - wir brauchen die nämlich hier in Deutschland dringend (Heimat, AfD, Ausländerfeindlichkeit), nicht ersatzweise auf dem Rücken Dritter.



    Dann sehen wir unsere Verpflichtung deutlicher, universal Menschenrecht und Völkerrecht zu stützen, nicht einen egomanen Möchtegern-Autokraten, der nach Den Haag gehört.