Autoexperte über Ende der Verbrenner: „Wir sehen eine enorme Dynamik“
Das E-Auto wird sich aus ökonomischen Gründen schneller durchsetzen, als viele denken. Das sagt der Gewerkschafter und Autoexperte Hans Lawitzke.
taz: Herr Lawitzke, Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer hat 2021 zum Jahr der Elektromobilität erklärt. Liegt der Mann da richtig?
Hans Lawitzke: Wenn das nicht nur Blabla wäre und er tatsächlich endlich die Bedeutung der Elektromobilität wirklich erkannt hätte, wäre das erfreulich. Wir sehen hier eine enorme Dynamik, die allerdings in der Bundesrepublik in der Vergangenheit verpennt und kleingeredet wurde. Unterstützt von der Politik hat die deutsche Automobilindustrie zu lange an ihrem alten Geschäftsmodell festgehalten und muss nun aufpassen, nicht den Anschluss zu verlieren.
Können Sie das etwas konkreter machen?
Schon deutlich vor der Coronakrise gab es fette Überkapazitäten. Denn alle traditionellen Autobauer haben dem scheinbar unaufhaltsamen Wachstum des Automarktes hinterher investiert. Aber seit dem Jahr 2018 schrumpft dieser Markt. Das Einzige, was wächst, ist der Anteil der Batterie- und Hybridfahrzeuge. Da sind die klassischen Autohersteller jedoch eher schlecht aufgestellt. Gleichzeitig sehen sie sich neuen Wettbewerbern wie Tesla oder der Konkurrenz aus China ausgesetzt. Das verschärft den Technologiewandel zu einem Wettbewerb Alte gegen Neue, auch wenn sich das gegenwärtig mengenmäßig so noch nicht zeigt. Aber die Tendenz ist eindeutig.
Hans Lawitzke, Jahrgang 1963, ist ein ausgewiesener Kenner des Automarktes. Der Diplom-Informatiker ist Sekretär des Europäischen Betriebsrats bei Ford und Mitglied der IG Metall.
Sie gehen davon aus, dass sich das E-Auto in absehbarer Zeit durchsetzen wird, und zwar nicht primär aus ökologischen, sondern aus ökonomischen Gründen. Warum?
Elektroautos sind die besseren Autos gegenüber Verbrennern. Der Neuwagenpreis ist ja nur ein Teil von dem, was Mobilitätskosten angeht. Das andere sind der Betrieb und die Wartung. So ein klassischer Motor ist qua Design ein einziges Verschleißteil und der lebensdauerbegrenzende Faktor in einem Auto. Das ist heute in der Regel dafür ausgelegt, dass es so rund 250.000 Kilometer halten soll. Bei einem E-Auto sieht das ganz anders aus. Wenn der Preis konkurrenzfähig ist, ist es das attraktivere Angebot.
Was ist der entscheidende Vorteil?
Bei einem Verbrennermotor ist es so, dass wir praktisch kleine Explosionen zähmen. Die dabei entstehende Wärme und Bewegungsenergie nutzen wir dafür, das Ganze in Bewegung umzusetzen. Dabei wird viel Reibung und damit Verschleiß erzeugt. Das kann man haltbarer bauen, dadurch wird es aber schwerer und teurer. Also wird das nicht gemacht. Bis auf die Reifen und die Scheibenwischer gibt es alles das, was typischerweise an einem Auto kaputt geht oder regelmäßig ausgetauscht werden muss, beim Elektroauto nicht. Also keinen Luftfilter, keine Zündkerzen, keine Einspritzpumpe, keine Keilriemen, keine Steuerkette. Ein Elektromotor hat im Wesentlichen ein paar Kugellager, die den Rotor halten. Tesla, General Motors oder auch VW versichern allesamt, der Antriebsstrang ihrer Elektroautos sei so ausgelegt, dass der eine Million oder mehr Kilometer hält. Das ist auch plausibel.
Mit Interviewpartner Hans Lawitzke haben die taz-Redakteur:innen Pascal Beucker und Anja Krüger einen ausführlicheren taz Talk zum Thema Elektromobilität geführt. Das knapp einstündige Gespräch kann angeschaut und nachgehört werden unter https://taz.de/talk
Mittlerweile hat jeder vierte in Deutschland neu zugelassene Neuwagen einen alternativen Antrieb, aber viele werden nur als Zweitwagen eingesetzt. Sind angesichts der hohen Preise E-Autos nicht vor allem ein Spielzeug für Leute mit viel Geld?
Das ist sicher am Anfang richtig gewesen. Aber was völlig unterschätzt wird: wie schnell die Batteriepreise fallen, einfach weil sich zum einen die Technik weiterentwickelt, zum anderen aufgrund des Masseneffekts, der die Produktionskosten massiv nach unten bringt. Der Punkt, an dem E-Autos vom Kaufpreis mit klassischen Verbrennern gleichziehen, kommt immer näher.
In Norwegen ist schon jetzt jeder zweite Neuwagen elektrisch. Was hat das skandinavische Land anders gemacht?
Die Förderung hat in Norwegen schon viel früher und fundamentaler eingesetzt: bei der Steuer, bei der Nutzung von Parkplätzen, bei der Unterstützung von Ladeinfrastruktur. E-Autos dürfen in Norwegen zum Beispiel Busspuren nutzen und sind von der Kraftfahrzeugsteuer freigestellt. Die dortige Regierung hat sehr früh deutlich gemacht, dass sie das politisch will und unterstützt. Das hängt allerdings damit zusammen, dass die Stromproduktion in Norwegen fast ausschließlich auf erneuerbaren Energiequellen basiert, vor allem Wasserkraft. Das heißt, aus ökologischer Sicht macht ein früher Umstieg sehr viel Sinn. In Deutschland, wo ja noch über 40 Prozent des Stroms aus der Kohle kommt, ist das natürlich umweltpolitisch nicht unproblematisch, weil man faktisch nur die alten Kohlekraftwerke auslastet.
Die meisten Leute halten weniger moralische Skrupel, sondern praktische Dinge wie fehlende Lademöglichkeiten von der Anschaffung eines E-Autos ab. Wie steht es damit?
Auch hier sollte die ökonomische Dynamik nicht unterschätzt werden. Die großen Discounter fangen an, Ladesäulen auf ihre Kundenparkplätze zu stellen. Bei den Marktanteilen, die wir mittlerweile bei E-Autos haben, muss man die gar nicht dazu zwingen. Denn die Besitzer von Ladesäuleninfrastruktur beginnen schon, damit Geld zu verdienen. Der schlichte Grund: Sie dürfen zu Marktpreisen Strom kaufen und ihn dann wesentlich teurer verkaufen. Der Marktpreis liegt bei 4 Cent für eine Kilowattstunde – und sie verkaufen das für mindestens 25 Cent, wenn nicht für deutlich mehr. An den Autobahnen sind das auch schon mal 70 Cent. Das ist lukrativ.
Was halten Sie von Autos mit Elektro- und Verbrennermotor, den sogenannten Hybridfahrzeugen?
Ich glaube, dass die Hybridautos ein sehr kurzes Intermezzo bleiben werden. Denn sie haben das Problem, dass sie beide Technologien an Bord haben, sie sind Verbrenner und Elektrofahrzeug. Der technische Mehraufwand macht das Auto unnötig kompliziert und anfällig für zusätzliche Wartung, Fehler und Defekte. Der Materialaufwand wird in die Höhe getrieben und das Fahrzeug schwer. Das macht ökonomisch keinen Sinn.
Und was ist mit dem Wasserstoffantrieb?
Wasserstoff wächst nicht grün auf Bäumen. Den muss man mit Strom teuer durch Elektrolyse herstellen, und dann liegt der in Gasform vor. Damit man ihn transportieren kann, muss man ihn verdichten. Das heißt, wir haben von dem, was wir an Strom reinstecken, bestenfalls noch ein Drittel der ursprünglichen Energie, wenn es beim Auto ankommt. Und dann ist die Brennstoffzelle in der Effizienz schlechter als ein E-Motor. Dadurch verlieren wir da noch mal mindestens ein gutes Drittel.
Trotzdem gibt es große Wasserstofffans. Liegen die alle völlig falsch?
Wovon die träumen, ist noch ein Schritt weiter, nämlich nicht Wasserstoff zu verteilen, sondern aus Wasserstoff einen normalen flüssigen Kraftstoff zu machen, um damit Verbrenner zu betanken. Aber dann geht noch mal die Hälfte der Energie verloren. Das ist aberwitzig.
Was ist Ihre Prognose für das Jahr 2030? Gibt es dann noch Verbrennerautos?
Bestimmt wird es sie dann noch geben – aber zumindest in Europa und China nur noch als Randerscheinung. So wie es heute auch noch Leute gibt, die am Wochenende mit einem Lanz Bulldog aus den 50ern übern Acker fahren, weil sie es lustig finden. Bestimmt werden wir in 50 Jahren noch Leute finden, die mit einem Verbrenner über den Nürburgring brettern wollen. Aber die Frage ist doch, welche ökonomische Relevanz das dann noch hat.
Eine kühne Vorhersage.
Wir werden sehr viel schneller, als die meisten glauben, diesen Wandel feststellen. Ich bin überzeugt davon, dass wir zumindest in Europa und China keine Verbrenner mehr haben werden – allein schon, weil die Batteriefahrzeuge einfach so viel billiger und besser sind. Hinzu kommt der politische Druck. Die Dynamik für Batteriefahrzeuge ist so hoch, dass wir eine Todesspirale für Verbrenner sehen werden.
Was lässt Sie da so sicher sein?
Die meisten Autos gehen über Leasingprogramme raus. Es gibt die ersten Anzeichen dafür, dass Leasingfirmen damit beginnen, für Verbrenner einen höheren Risikoaufschlag für die Wiedervermarktung in die Preiskalkulation einzubeziehen. Perspektivisch droht allen Verbrennern dasselbe, was wir gesehen haben, als die ersten Fahrverbote für Diesel in den Innenstädten diskutiert wurden.
Wieso ist das so?
Weil die meisten Autos in Deutschland geleast werden. Auch Privatleute leasen häufig ihre Fahrzeuge und tauschen sie dann nach drei Jahren aus. Logischerweise schauen sie also beim Neukauf, ob sie ihren Wagen auch wieder gut losbekommen können. Spätestens wenn Deutschland in den kommenden Jahren dem Beispiel Großbritanniens folgen sollte und auch ab 2030 keine neuen Verbrenner mehr zuließe, wäre das für den Verbrenner deshalb der Todesstoß. Denn das erzeugt eine Marktdynamik, die dazu führt, dass sich Leute entscheiden, Batteriefahrzeuge zu kaufen, weil es die sicherere Wette auf den Gebrauchtwagenwert ist.
Die Aufwärtsspirale bedingt die Abwärtsspirale?
Das bedingt sich gegenseitig. Am Ende gibt es nur noch ein paar Nischenanwendungen, die einen Verbrenner rechtfertigen. Vielleicht gibt es noch einen einzigen Verbrenner von Maserati oder Jaguar mit drei Stück im Jahr. Von einem Automodell muss aber ungefähr eine Million verkauft werden, damit man eine technologische Entwicklung rechtfertigen kann. Wir sehen schon jetzt, dass mit dem Anstieg des E-Automarktes die Zahl der Modelle, die angeboten werden, in die Höhe geht. Umgekehrt sieht es bei den Verbrennern aus: Das Angebot wird dünner. Am Ende ist es nicht mehr in einem relevanten Maße existent, weil es sich nicht lohnt, den Aufwand zu treiben.
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