Aufruf von Linken-Politiker:innen: Gegen den Linkskonservatismus

Die Linke steckt in einer tiefen Krise. Zahlreiche Po­li­ti­ke­r:in­nen der Partei plädieren nun für einen Bruch mit dem Wagenknecht-Flügel.

Bühne des Erfurter Parteitags der Linken im Juni 2022

Von einer Krise in die nächste: Viel Zeit, um die Linkspartei zu verändern, bleibt wohl nicht mehr Foto: Pascal Beucker

BERLIN taz | Bei allen vier Landtagswahlen in diesem Jahr unter drei Prozent: Keine Frage, die Linkspartei befindet sich in einem desaströsen Zustand. Ob sie überhaupt noch eine Zukunft hat, ist mehr als offen. „Die Linke ist in einer existenziellen Krise“, sagt der frühere Bundestagsabgeordnete Thomas Nord der taz. „Wenn sie in absehbarer Zeit nicht eindeutig klärt, wofür sie steht, fällt sie im Verlauf des kommenden Jahres in die Bedeutungslosigkeit.“

Das will der 64-jährige Ex-Linken-Bundesschatzmeister und langjährige brandenburgische Landesvorsitzende verhindern. Doch die Zeit drängt. Auf ihrem Höhepunkt 2009 verzeichnete die Linke noch mehr als 78.000 Mitglieder, inzwischen zählt sie gerademal etwas über 56.000 Mitglieder, wobei seit dem Frühling die Zahl der Austritte stark zugenommen hat. Mit einer ganzen Reihe von Mit­strei­te­r:in­nen hat Nord nun einen Rettungsversuch gestartet. Es ist das Plädoyer für einen Bruch.

In ihrem der taz vorliegenden Aufruf zu einer Sammlung der progressiven Kräfte in der Linkspartei fordern sie als Ausweg aus der Krise nicht weniger als einen klaren Trennungsstrich zu Sahra Wagenknecht und ihrem Anhang: „Die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit der Linken erfordert, die Koexistenz mit dem Linkskonservatismus in der Partei zu beenden.“ Das ist eine klare Ansage.

Unterzeichnet haben den Aufruf etliche Bundes-, Landes-, Europa- und Kom­mu­nal­po­li­ti­ke­r:in­nen der Linkspartei. Das Spektrum reicht von den Bundestagsabgeordneten Gökay Akbulut, Cornelia Möhring und Martina Renner über die Berliner Ex-Senatorinnen Elke Breitenbach und Katrin Lompscher bis zu der Europaabgeordneten Cornelia Ernst, der Leipziger Landtagsabgeordneten Jule Nagel und dem Pankower Bezirksbürgermeister Sören Benn.

Bemerkenswert ist, dass sich die Auf­ru­fe­r:in­nen unterschiedlichen Parteiströmungen zuordnen. „Bewegungslinke“ wie der stellvertretende Parteivorsitzende Lorenz Gösta Beutin oder die Bremer Bürgerschaftsabgeordnete Sofia Leonidakis sind ebenso dabei wie die sächsische Landtagsvizepräsidentin Luise Neuhaus-Wartenberg, Bundessprecherin des reformerischen Forums Demokratischer Sozialismus (FDS). Es sei „an der Zeit, den Kampf um den progressiven Charakter der Partei auf allen Ebenen und über die Grenzen bisheriger Konflikte hinweg gemeinsam zu führen“, heißt es in dem Aufruf.

„Jede Glaubwürdigkeit der Partei zerstört“

Nach der Auffassung der Auf­ruf­ver­fas­se­r:in­nen hat Wagenknecht mit der Veröffentlichung ihres Buches „Die Selbstgerechten“ im April 2021 und der darin enthaltenen Konzeption eines „Linkskonservatismus“ eine Art Gegenprogramm vorgelegt. Dieser von Wagenknecht und ihrem Anhang vertretene Linkskonservatismus sei „radikal gegen das Programm der Partei gerichtet, bekämpft es aggressiv mit gesellschaftspolitisch regressiven, reaktionären Positionen und entsprechenden öffentlichen Aktivitäten“. Dadurch werde jede Glaubwürdigkeit der Partei zerstört und sie politikunfähig gemacht, konstatieren die Verfasser:innen.

Egal ob es um Flucht und Migration, um Klimaschutz, um die Covid-19-Pandemie oder den Ukraine-Krieg geht: Tatsächlich vertraten und vertreten Wagenknecht und ihre geradezu religiös-fanatische An­hän­ge­r:in­nen­schaft immer wieder Positionen, die in einem krassen Widerspruch zur offiziellen Parteilinie stehen. Ihr Kurs lässt sich als sozialpopulistisch, nationalistisch, antiökologisch und gesellschaftspolitisch konservativ beschreiben.

So attackiert die Ex-Bundestagsfraktionsvorsitzende in ihrem am Mittwoch nun auch als Taschenbuch erschienenen Bestseller mit scharfen Worten jegliche emanzipatorischen Bewegungen, denen sich die Linkspartei eigentlich verbunden fühlt: von Fridays for Future über Black Lives Matter bis zum Seebrücke-Bündnis – für Wagenknecht alles unerquickliche Veranstaltungen einer degenerierten „Lifestyle-Linken“, die den Bezug zu den wahren gesellschaftlichen Problemen verloren habe.

„Antagonistische Positionen“

Im Anti-Wagenknecht-Aufruf heißt es jetzt, der von führenden Par­tei­funk­tio­nä­r:in­nen immer wieder unternommene Versuch, antagonistische Positionen in zentralen gesellschaftspolitischen Fragen einfach auszublenden, sei „nachhaltig gescheitert“. Sich konträr gegenüberstehende Ausrichtungen ließen sich nicht vereinen, indem die Linke auf eine „Sozialstaatspartei“ und Protest reduziert werde.

Unübersehbar sei, dass die jeweils angesprochenen Milieus sich bei Wahlen und auch in ihren alltäglichen Überzeugungen ablehnend gegenüberstehen und sich gegenseitig demobilisieren. Die „politisch zerstörerische Koexistenz mit linkskonservativen Bestrebungen in der Partei“ dürfe nicht fortgesetzt werden. Dazu gehöre, dass eine direkte oder auch indirekte Unterstützung von Autokraten und Diktatoren unvereinbar mit linker Politik sei.

Am 3. Dezember soll in Berlin ein erstes bundesweites Vernetzungstreffen der „progressiven Linken“ stattfinden. „Eine Partei, die den Kampf für soziale Gerechtigkeit und für die Verteidigung der Demokratie unteilbar verbindet, wird gerade jetzt dringend gebraucht“, sagt Thomas Nord. Noch gebe es für ihn die Hoffnung, dass die Linke das sein könnte. „Aber sie zerbröselt, wenn sie keine Richtungsentscheidung trifft.“

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