Rücktritt der Grünen-Parteispitze: Alles für Habeck

Dass die Grünen Ricarda Lang und Omid Nouripour zurücktreten mussten, war absehbar. Sie standen der Habeck-Strategie im Weg.

Omid Nouripour un Ricarda Lang

Omid Nouripour und Ricarda Lang verkünden ihren Rücktritt am Mittwoch in der Bundesgeschäftsstelle der Grünen in Berlin Foto: Fabian Sommer/dpa

Anfang der Woche saß Robert Habeck auf einer Theaterbühne, um mit dem FAZ-Kollegen Eckart Lohse über dessen frisch erschienenes Merkel-Buch zu sprechen. Im Renaissance-Theater (laut Wikipedia „das einzige vollständig erhaltene Art-déco-Theater Europas“) saß ganz genau das Publikum, das der Grünen-Kanzlerkandidat in spe jetzt vordringlich erreichen möchte: ein Merkel-geprägtes CDU-Bürgertum, dem Friedrich Merz zu unberechenbar und zu 80er ist.

Habeck selbst hat in diesem Zusammenhang von der „Merkel-Lücke“ bei der Union gesprochen; wie er sie nutzen möchte, schrieb jüngst der Spiegel auf. Für den Montagabend in einem Westberliner Theater lässt sich sagen, dass diese Strategie wunderbar funktionierte – das Publikum nutzte auch die nicht offensichtlichen Gelegenheiten, zu lachen und zu klatschen.

Von den sauerstoffärmeren oberen Rängen (immer dasselbe in diesen alten Theatern!) wirkte es, als häkele Habeck eine Schutzhaube für politisch empfindsame Gemüter: Er schien den Leuten Trost zu spenden, eine beruhigende Tonspur anzubieten als Gegenmittel für das verzerrt kreischende, durch all die illiberalen Rückkopplungseffekte schier nicht mehr anzuhörende Politikspektakel da draußen. Habecks Leitmotiv: Natürlich hat Merkel große Fehler gemacht, aber sie war – und hier muss man mitdenken: anders als Merz – anständig, anti-populistisch, humanitär angetrieben. So hatte Habeck es auch schon zu Merkels 70. Geburtstag für den Rolling Stone aufgeschrieben.

Die Party zu eben diesem runden Geburtstag nutzte Merkel diese Woche dann allerdings für eine Quasi-Versöhnungs-Show mit Merz, was sich im Lichte von Habecks Lücken-Strategie wie eine spezielle Ausformung ihres „feinen Spotts“ (Habeck über Merkel) lesen lässt. Vermutlich aber sind Grünen-Strategien der Ex-Kanzlerin einfach kackegal.

Habeck macht Lang verantwortlich für die Wahlergebnisse

Ricarda Lang und Omid Nouripour standen der Habeck-Strategie offenbar im Wege. Das lässt sich schreiben, ohne abschließend klären zu müssen, ob die beiden ParteichefInnen nun weggemobbt wurden, oder ob sie sich ganz freiwillig geopfert haben.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Von „Verantwortungsbereitschaft“ im „unbarmherzigen Geschäft“ der Politik sprach Robert Habeck am Mittwochabend im Fernsehen jedenfalls, ohne zu dementieren, dass er mindestens Ricarda Lang für die schlechten Wahlergebnisse dieses Jahres verantwortlich gemacht hat.

Wobei „unbarmherzig“ noch untertrieben ist dafür, wie die 30-Jährige sich in der Öffentlichkeit dafür anhassen lassen muss, dass sie übergewichtig ist. Ich habe schon erstaunlich viele Gespräche darüber führen müssen, ob eine übergewichtige Frau eine prominente politische Rolle spielen darf – mit eigentlich zurechnungsfähigen Menschen, die sich noch gut an Helmut Kohl erinnern können und ansonsten auch für Gleichberechtigung sind. Aber eine Grünenchefin darf offenbar nicht dick sein, und zwar schon gar nicht, wenn sie jung und klug und ihr schon deshalb das Etikett „belehrend“ anzuhängen ist.

Mag sein, dass dies nicht der Grund ist, sie samt Nouripour nun abtreten zu lassen. Offen sprechen wird darüber sowieso nie jemand, schon klar. Höchstens unter den grünen Realo-Truppen aus rot-grünen Zeiten (für die Jüngeren: das war von 1998 bis 2005), wo man das Wechselspiel zwischen moralischem Parteiprogramm und machiavellistischem Miteinander ja geradezu genüsslich betrieben hat.

Aber mit einer offensiv herausgestellten, anständigen, anti-populistischen, humanitär angetriebenen Grundhaltung, sprich dem Anti-Zynismus eines Robert Habeck, damit verträgt sich all dies natürlich gar nicht.

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Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.

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