Anhebung des Mindestlohns: Respekt! Welcher Respekt?

Die winzige Anhebung des Mindestlohns ist falsch. Sie widerspricht der ökonomischen, sozialen und politischen Vernunft.

Wenige Centstücke und eine Blechdose

Wer Mindestlohn verdient, gibt den sofort aus – und legt nichts auf die hohe Kante Foto: H. Richter/McPHOTO/blickwinkel/imago

Der Mindestlohn wird sehr vorsichtig um 41 Cent angehoben. Es gibt zwei Gründe, die eine bedächtige Anhebung nahelegen können. Der Niedriglohnsektor, der mit der Agenda 2010 explodiert war, ist ein wenig geschrumpft. Als Niedriglohnempfänger gilt, wer weniger als 12,50 Euro in der Stunde bekommt. Das waren 2018 rund 21 Prozent der Arbeitnehmer*innen, 2022 waren es 19 Prozent. Die Tendenz ist zwar erfreulich. Allerdings ist es nicht hinnehmbar, dass fast ein Fünftel von der Arbeit kaum leben kann – geschweige denn je eine brauchbare Rente beziehen wird.

Als zweiter Grund für eine vorsichtige Erhöhung mag gelten, dass die Auswirkungen der Erhöhung auf 12 Euro noch nicht erforscht sind. Es ist möglich, dass in einzelnen Branchen Jobs verloren gingen. Wahrscheinlich ist das nach den bisherigen Erfahrungen nicht.

Es gibt hingegen eine Menge Gründe, warum diese geringe Anhebung falsch ist – soziale, politische, ökonomische. Ge­ringver­die­ne­r*in­nen sind besonders hart von der Inflation betroffen. Steigende Preise für Lebensmittel, Energie und Wohnen treffen – trotz der Hilfen der Bundesregierung – das untere Viertel heftiger als Mittel- und Oberschicht. Die verfügen über Erspartes für Notfälle – zudem geben die Ärmeren gezwungenermaßen einen viel größeren Anteil ihres Einkommens für jene Basissachen aus, die besonders teuer geworden sind. Deshalb ist es ein Gebot sozialer Vernunft, dies in Rechnung zu stellen und sich nicht, wie es Arbeitgeber und Chefin der Mindestlohnkommission getan haben, auf den buchstäblichen Auftrag zurückzuziehen und die (bescheidenen) Lohn­erhöhungen der Vergangenheit hochzurechnen. Ökonomisch sind die 41 Cent falsch, weil die Nachfrage derzeit Impulse gebrauchen kann. Wer Mindestlohn verdient, gibt den sofort aus – und legt nichts auf die hohe Kante.

Und auch politisch sind diese 41 Cent falsch. Sie sagen: Auf euch da unten kommt es nicht an. Kanzler Scholz hatte mit den 12 Euro Mindestlohn Respekt versprochen. War dieses Versprechen nur eine einmalige Geste? Auch das ist: viel zu wenig.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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