Nationalitäten-Nennung bei Straftaten: Statistische Hetze
Hamburgs CDU fordert, bei Straftaten alle Nationalitäten aller Beteiligten zu nennen. Das normalisiert Rassismus unterm Deckmantel der Objektivität.

D ie Hamburger CDU fordert die Erfassung aller Staatsangehörigkeiten bei Straftaten – für Verdächtige und Opfer. Vorbild ist das Modell von Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (ebenfalls CDU), nach dem die rückwirkende Erfassung ab dem 1. Juli 2024 gilt. Hamburg solle beim Bundeskriminalamt (BKA) zudem für eine bundeseinheitliche Änderung der Richtlinien werben.
Bisher werden Mehrfachstaatsangehörige als Deutsche gezählt. Das „verzerrt“ die Realität, behauptet CDU-Innenexperte Dennis Gladiator. Eine aktuelle Auswertung aus Nordrhein-Westfalen hatte herausgefunden, dass jeder sechste „deutsche“ Tatverdächtige eine weitere Nationalität hat. „Wer Vertrauen in staatliches Handeln will, muss für echte Transparenz sorgen – auch in der Kriminalitätsstatistik“, fordert Gladiator. Das vermeide Fehlinterpretationen.
Diese Forderung ist ein klassischer Fall von selektiver Statistik, die Rassismus schürt und soziale Ungleichheiten kaschiert. Denn Kriminalstatistiken sind keine neutralen Fakten, sondern soziale Konstruktionen. Sie spiegeln wider, was Polizei und Justiz als kriminell definieren und verfolgen – oft mit Bias gegen marginalisierte Gruppen.
In Deutschland, wo die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) nur Taten erfasst, die der Polizei bekannt geworden sind und die diese nach Abschluss der Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft oder Gerichte übergeben hat, sind Ausländer:innen überrepräsentiert. Aber Migration steigert die Kriminalitätsrate nicht, das belegen Studien. So hatte etwa das Ifo-Institut PKS-Daten von 2018 bis 2023 analysiert und gezeigt: Mehr Ausländer:innen in einem Landkreis führen nicht zu höherer Kriminalität.
Vermeintlich „falsche Deutsche“
Die Überrepräsentation in der PKS resultiert vielmehr aus Armut, Jugendalter, Geschlecht oder diskriminierender Polizeipraxis. Aktuelle Befunde zu Migration und Kriminalität zeigen keine kausalen Zusammenhänge, sondern sozioökonomische Muster.
Mit ihrer Forderung, Mehrfachstaatsangehörige zu „enttarnen“, ignoriert die CDU das und schafft stattdessen eine neue Kategorie: den „falschen Deutschen“. Das verstärkt das Narrativ von der „Ausländerkriminalität“, das seit den 1990er-Jahren rechtspopulistische Agenden antreibt. Schon unter Helmut Kohl wurde die Asylpolitik mit Kriminalitätsängsten verknüpft, um Wahlen zu gewinnen. Heute bedient die CDU dasselbe Muster. Das ist hochgefährlich.
Gladiator spricht von „Vertrauen in staatliches Handeln“. Aber wer würde von der Nennung aller Nationalitäten profitieren? Bloß Politiker:innen, die Ängste schüren wollen, um von tatsächlichen Problemen abzulenken: von unterfinanzierter Sozialarbeit zum Beispiel, von Wohnungsnot und Diskriminierung.
Machtstrukturen enthüllen statt Minderheiten markieren
Was die CDU da fordert, normalisiert Rassismus unter dem Deckmantel der Objektivität. Aber Transparenz bedeutet, Machtstrukturen zu enthüllen, nicht Minderheiten zu markieren. Man müsste Verzerrungen in der Polizeiarbeit aufdecken, etwa durch unabhängige Audits von Racial Profiling, das in Deutschland nachweislich existiert und zu höheren Kontrollraten bei BIPoC führt.
Statt rückwirkender Erfassung, die den Datenschutz verletzt und die Stigmatisierung fortsetzt, bräuchte es Investitionen in Prävention: soziale Programme gegen Armut, Antidiskriminierungsschulungen in Behörden und eine Kriminalstatistik, die Faktoren wie Geschlecht, Alter und soziale Lage priorisiert. Nur so würde Transparenz emanzipatorisch wirken, statt rassistische Hierarchien zu reproduzieren.
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