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CDU-Länderchefs gegen BundestagsfraktionSexuelle Identität entzweit Union

Die Union brachte queere Menschen gegen sich auf. Nun stellen sich die CDU-Länderchefs beim Schutz der sexuellen Identität gegen die Bundestagsfraktion.

Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, beim der 45. Berlin Pride im Juli 2023 Foto: Bernd Elmenthaler/imago

Berlin taz | Kommt der Schutz der „sexuellen Identität“ ins Grundgesetz? Seit Anfang Juli fordert das ein Gesetzesantrag im Bundesrat. Das Ziel: Die Erweiterung des Diskriminierungsschutzes in Artikel 3 um ein Merkmal, das queere Menschen angesichts einer steigenden Zahl queerfeindlicher Angriffe besser absichern soll.

Brisant: Dass das Thema auf die Tagesordnung geraten ist, liegt an Berlins Regierungschef Kai Wegner (CDU) und seinem schwarz-roten Senat. Dessen Antrag haben sich Mecklenburg-Vorpommern unter Manuela Schwesig (SPD) sowie Schleswig-Holstein und Nordrhein-West­falen angeschlossen, die von den CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther und Hendrik Wüst geführt werden.

Die Union hatte im Bund zuletzt ein anderes Bild vermittelt: Bundestagspräsidentin ­Julia Klöckner empörte die queere Community mit dem Verbot, anlässlich des Berliner CSDs die Pride-Flagge auf dem Reichstagsgebäude zu hissen. Kanzler Friedrich Merz irritierte mit der Aussage, der Bundestag sei „kein Zirkuszelt“.

Die CDU ist traditionell nicht die queerpolitische Partei

Sönke Siegmann, LSU-Vorstand

Was die drei CDU-Länderchefs nun durchsetzen möchten, wird von den Par­tei­freun­d*in­nen im Bundestag mehrheitlich abgelehnt. Für eine Grundgesetzänderung sehe ihre Fraktion „keine Notwendigkeit“, so die rechtspolitische Sprecherin Susanne Hierl (CSU) – „denn der allgemeine Gleichheitssatz garantiert schon heute in seiner bewährten Formulierung einen wirksamen Schutz gegen Diskriminierung.“ Sexuelle Identität sei „ein viel zu diffuser Begriff“, die Aufnahme würde „keine substanzielle Schutzverbesserung“ bewirken.

Akzeptanz sinkt

Zwietracht in CDU/CSU? Sönke Siegmann winkt ab. Er ist Bundesvorsitzender der Lesben und Schwulen in der Union (LSU) und sagt: „Es gibt in der Union juristische und politische Auslegungen, die in Bezug auf Artikel 3 andere Ansichten vertreten. Das ist legitim, wir sind eine Volkspartei.“ Die LSU tritt seit Jahren für die Änderung ein. „Es ist doch so: Die CDU ist traditionell nicht die queerpolitische Partei“, sagt Siegmann, der in Gesprächen mit Abgeordneten um Zustimmung wirbt: „Wir müssen also intern vermitteln, dass die Erweiterung vielen Menschen einen Extraschutz bietet.“

In Artikel 3 des Grundgesetzes heißt es: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Der Antrag möchte nach „Geschlechtes“ nun „der sexuellen Identität“ einfügen. Der Begriff besagt, „dass es sich bei der Sexualität um einen Bestandteil des Selbstverständnisses einer Person handelt, der nicht nur durch die sexuelle Beziehung zu einer anderen Person bestimmt ist.“ So definiert es die Antidiskriminierungsstelle.

In der Begründung verweist Berlin auch auf die zuletzt ­geringer gewordene Akzeptanz gegenüber nicht-hetero­normativen Lebensweisen und plädiert dafür, die „Schutzwirkung der verfassungsmäßigen Grundrechte dem Wechselspiel der verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Kräfte“ zu entziehen. Wer dies als „Symbolpolitik“ bezeichne, verkenne „Bedeutsamkeit und Auswirkungen der Verfassung“.

„Am Ende des Tages ist die Verfassung mit dem Diskriminierungsschutz das Instrument, das uns wirklich schützt“, meint Siegmann. „Andere Gesetze kann man leicht ändern, das Grundgesetz nur mit Zweidrittelmehrheit.“ Queere Menschen seien zudem „bis heute die einzige von den Nationalsozialisten verfolgte Gruppe, die nicht auf diese Weise geschützt ist“.

Unklar ist, ob der Antrag Erfolg haben wird. Er liegt in den Ausschüssen der Länderkammer und wird voraussichtlich im September abgestimmt. Wegner geht davon aus, „dass wir im Bundesrat für diese Initiative wahrscheinlich eine Mehrheit bekommen“. Zunächst reicht die absolute Mehrheit, um das Vorhaben in den Bundestag zu bringen. Die übrigen Länder halten sich auf taz-Anfrage bedeckt: Es laufe die interne Abstimmung, man wolle den Beratungen nicht vorgreifen. Einzig das Sozialministerium des SPD-regierten Saarlandes lässt sich zur Sache ein: Das Vorhaben sei „ausdrücklich zu begrüßen“, erklärt eine Sprecherin.

Auch die Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sophie Koch (SPD), signalisiert gegenüber der taz Zustimmung: Die Initiative ermögliche, „in den nächsten Wochen und Monaten viele Gespräche in Bundestag und Bundesrat zu führen, um für die notwendige Zweidrittelmehrheit zu werben“, sagt Koch. Sie sei den „unionsgeführten Ländern außerordentlich dankbar.“

Nach der Abstimmung müsse „man weitersehen“, so Wegner. „Denn für eine Verfassungsänderung im Bundestag ist dann eine Zweidrittelmehrheit erforderlich“. Ob er sein Vorgehen im Vorfeld mit der Unionsfraktion oder anderen Fraktionen abgestimmt hat, will die Senatskanzlei nicht beantworten. Sollten SPD, Grüne, Linke und SSW dafür votieren, bräuchte es 150 der 208 Unionsabgeordneten – eine fragliche Aussicht. LSU-Chef Siegmann hofft dennoch, dass er mit seinen Argumenten durchdringt: „Ich bleibe vorsichtig optimistisch.“

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9 Kommentare

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  • Hallo taz,



    bitte achtet auf eure Sprache. Zunehmend wird das Wort "heteronormativ" verwendet, womit heterosexuell orientierten Menschen unterstellt wird, sie würden queeren Menschen ihre Norm aufzwingen. Aus der zitierten Ipsos-Umfrage lässt sich das für Deutschland nicht ableiten.



    Umgekehrt versuchen Queere, ihre Normen durchzusetzen. Wehe dem, der nicht (richtig) gendert. Das große Binnen-I wird nur noch von TERFs benutzt, und ob * oder : sollte mensch vorher beim queeren Zentralkomitee fragen.

  • Ganz trivial wäre die GG-Änderung natürlich nicht. Gewissermaßen erhielte dadurch ein solipsistisches Argument eine rechtliche Qualität.



    Ich bin nur immer erstaunt, dass jeder Politiker (ob weiblich oder männlich), welcher der queeren Kommunität nicht jeden Wunsch von den Augen abliest und nicht jede ihrer Forderungen umgehend 1:1 umsetzt, reflexartig als "Feind der Demokratie" gebranntmarkt wird. Es darf und muss auch hier noch einen kleinen Meinungsspielraum geben.

  • Und dann macht sich ein Nazi mal ebend einen Spass daraus und wird kurz vor Haftantritt zur Frau!

  • Anfang Juli hat Merz die LSU besucht und kurz darauf im Bundestag gesagt, dass die Bundesregierung alles tun wolle, um queeren Menschen "ein gutes und auch ein sicheres Leben in unserer Gesellschaft zu ermöglichen".



    Er wird sich an seinen Taten messen lassen müssen.

  • Der Inhalt der geforderten Begrifflichkeit der sexuellen Identität wird vom Grundgesetz speziell vom Absatz 3 des Artikel 3 erfaßt. Bzgl. der bloßen geschlechtlichen Identität wird diese nach den Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes einschließlich insbesondere dem Urteil zur dritten Geschlechtsoption mit dem Begriff des Geschlechts dort erfaßt. Das Eingehen von Beziehungen einschließlich sexueller gehört mit dem Begriff des Geschlechtes in der Formulierung des dortigen Satzes genauso dazu, wie es für das Eingehen von Beziehungen einschließlich sexueller Art vor dem Hintergrund von Abstammung, Herkunft, Glauben, "Meinung" etc. gilt. Es ist z.B. eine Diskriminierung aufgrund des Glaubens, wenn Beziehungen einschließlich sexueller nicht eingegangen werden dürfen, wenn der Glaube ein unterschiedlicher ist. Genauso ist es von der Logik des Satzaufbaus dort her denn Diskriminierung, wenn im umgekehrten Sinn Beziehungen des gleichen Geschlechtes einschließlich eben auch sexueller nicht eingegangen werden dürfen. Das Bundesverfassungsgericht ist speziell in der Auslegung des Satzes noch nicht so weit, aber in der allgemeinen. - Außer bzgl. Behinderung benennt das GG keine Nazi-Opfer.

  • Wer dies als „Symbolpolitik“ bezeichne, verkenne „Bedeutsamkeit und Auswirkungen der Verfassung“.

    Selbst wenn es reine Symbolpolitik wäre: Symbole sind wichtig! Deshalb kämpft die BundesCDU dagegen.

    Merz und Klöckner sind nicht gegen queere Menschen. Sie setzen nur durch das nicht-Hissen der Regenbogenfahne ein Symbol ihrer fehlenden Solidarität.

  • Grundsätzlich ist mir das recht. Ich glaube zwar nicht, dass das viel bringt bzw. dass das erforderlich, einfach weil ich auch der Meinung bin, dass das Grundgesetz in § 3 Abs. 3 Diskriminierungsverbote bereits ausreichend umfasst, aber gut, es schadet aber auch niemanden. Mir als nicht betroffene Person ist das gleich, für mich ändert sich ja nichts.

    Was aber endlich aufhören sollte ist die Skandalisierung der auch hier wieder dargestellten Aussagen von Merz und Klöckner. Das war nichts skandalträchtiges dran, als dass man sich über Wochen und Monate darüber ereifern müsste oder gar waghalsige Behauptungen aufstellen sollte, durch diese Aussagen würde sich jemand ermutigt fühlen, queere Personen anzugreifen.



    Kirche und Dorf sag ich dazu nur.

    ich denke, dieses Herumreiten auf recht banale Aussagen, aus denen man einiges interpretieren kann, schadet dem politischen Diskurs erheblich.

  • Weswegen wird nicht gefordert, den Schutz konkreter und eindeutig definierter sexueller Orientierungen (z. B. Homo-, Bi- und Asexualität) ins Grundgesetz aufzunehmen? Der Begriff der sexuellen Identität ist zu weit gefasst und umfasst z. B. auch Pädosexualität, Zoophilie und Nekrophilie. Es gibt keinen Grund, diese sexuellen Phänomene verfassungsrechtlich zu schützen.

    • @Budzylein:

      Ja, genau dieser Punkt war mir beim Lesen des Artikels auch in den Kopf gekommen. Diese Gefahr sollte dringend vermieden werden!