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Merz im ARD-SommerinterviewHohe Mieten? Nur ein Problem für den Staat, sagt Merz

Gereon Asmuth
Kommentar von Gereon Asmuth

Der Kanzler kritisiert die zu hohen Mieten: Ja, das sei ein Problem. Die Mieter scheinen ihm aber egal zu sein.

Sieht nicht aus wie ein Mietenaktivist, ist auch keiner: Merz beim Sommerinterview am Sonntag Foto: Michael Kappeler/dpa

D as muss man dem Kanzler lassen. Manchmal hat er richtig gute Erkenntnisse. Beim ARD-Sommerinterview am Sonntagabend zum Beispiel hatte er gleich zwei überraschende Einsichten. Zum einen, dass das ganze Chaos um die Richterwahl am Freitag, das die Koalition gehörig ins Wanken gebracht hat, kein Drama sei. Das hat er wohl sehr exklusiv. Zum anderen aber – und das ist wirklich überraschend – hat er erkannt und klar benannt, dass es in Deutschland ein extremes Problem für Mie­te­r:in­nen gibt.

In Großstädten, wusste Merz ganz bürgernah zu beklagen, würden bis zu 20 Euro pro Quadratmeter Miete verlangt. Wenn sie das mal hochrechnen, rechnete der Kanzler hoch, komme man für eine 100-Quadratmeter-Wohnung auf 2.000 Euro im Monat. Und das könne sich eine normale Arbeitnehmerfamilie nicht leisten. Noch überraschender: Merz hielt in diesem Zusammenhang sogar eine Deckelung für denkbar. Ist er unter der heißen Sommersonne zum linksradikalen Mietenaktivisten konvertiert?

Natürlich nicht. Denn als Konsequenz aus dem Mietendesaster will der Kanzler nicht etwa den Spekulanten auf die Finger klopfen. Er verspricht auch keine wirklich wirksame Mietenbremse, die staatlich kontrolliert werden müsste. Nein, Merz will stattdessen bei den Ärmsten kürzen, die auf Bürgergeld und Wohnkostenzuschuss angewiesen sind. Damit er dort – wie von ihm erträumt – einen zweistelligen Milliardenbetrag kürzen kann, will er Mieten deckeln – aber nur, wenn der Staat für die Mieten aufkommen muss.

Typisches Vorgehen der konservativen Rechten

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Kurz gesagt: bedürftige Familien kriegen ihre Unterkunft nicht mehr vom Amt finanziert, wenn Wuchermieten verlangt werden. Wo sie dann die kleinere, angeblich günstigere Wohnung herbekommen sollen, in der sie dann zusammenrücken müssten, scheint Merz natürlich egal. Und wie er damit der normalen Arbeitnehmerfamilie hilft, die sich weiterhin keine Wohnung leisten kann, bleibt auch schleierhaft.

Es ist das typische Vorgehen der konservativen Rechten. Statt die eigentlichen Probleme anzugehen, schürt man den Neid auf die angeblich überproportional vom Staat gepamperten Armen. Auf der sicheren Seite bleiben mal wieder nur die Habenden. In diesem Fall die Immobilienkonzerne.

Bundesweit werden rund 160 Milliarden Euro Miete im Jahr bezahlt. Mindestens 10 Prozent, davon darf mal locker ausgehen, dürften dazu durch illegal zu hohe Mietforderungen anfallen. Würde man diesen Wucher durch konsequente Kontrolle stoppen, würde zum Großteil auch der Staat davon profitieren, weil er deutlich weniger für die Kosten der Unterkunft zuschießen müsste. Da kommt man schnell auf den zweistelligen Milliardenbetrag, den Merz gern sparen würde. Aber dafür müsste er etwas von sozialer Marktwirtschaft verstehen. Und nicht nur von Renditen.

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Gereon Asmuth
Ressortleiter taz-Regie
Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz. 2000 bis 2005 stellvertretender Leiter der Berlin-Redaktion. 2005 bis 2011 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Bluesky:@gereonas.bsky.social Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de ex-Twitter: @gereonas Foto: Anke Phoebe Peters
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11 Kommentare

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  • Schon skurril, wie treffend die Analyse zu Wuchermieten ist und welche Konsequenzen ein konservativ konditioniertes Gehirn daraus macht. Da muss man erst mal darauf kommen. Die Mieten sind zu hoch, also kürzen wir den Zuschuss. Die AfD wird es freuen.

  • ähhmm, angenommen, die Zahl 10% für illegale hohe Mieten sei korrekt. Also, 16 Mrd. Wie kann der Staat das Geld erhalten? Das ist doch sicher nicht der Betrag, der durch überhöhtes Wohngeld / Mietenzuschuss zustande kommt. Also bekäme der Staat nur einen Teil. Aber richtig, der Staat sollte darauf achten, keine überhöhten Mieten zu zahlen.



    Eine weitere staatliche Kontrollbehörde wird nicht benötigt. Jede Mieterin /Mieter, die Wuchermieten bezahlt, sollte aus Eigeninitiative dagegen klagen. Die Beweisführung und die Gerichtsverfahren sollten einfacher und schneller werden.

    • @fly:

      Die 10% sind völlig aus der Luft gegriffen, es könnten auch 7 oder 23% sein. Da wo es wirklich Wucher ist könnten die Mieter klagen, bei einfach nir teurem Mieten gilt angebot und Nachfrage, wenn viele Leute in meine Wohnung wollen kann ich mehr Geld dafür verlangen.

    • @fly:

      Ja klar, mal eben den Vermieter verklagen. Den Anwalt kann sich die Arbeiterfamilie ja neben der Wuchermiete super leisten. Und dann hat man sich am Ende so oder so mit dem Vermieter überworfen und der findet dann schon einen Grund, einen auf die Straße zu setzen.

      Es gibt zwischen Mieter und Vermieter ein gewaltiges Machtgefälle. Das macht die Wuchermieten erst möglich. Und daher MUSS der Staat tätig werden. Wozu haben wir denn sonst einen Staat.

    • @fly:

      Also, da Mieteinahmen versteuert werden müssen, verdient der Staat ja eigendlich ordentlich mit, aber nur, wenn Vermieter alles falsch machen und nicht genug durch die Möglichkeit der Abschreibung geltend machen...

  • Dem sein Gehalt als Bundeskanzler, kann man mittlerweile als leistungsloses Einkommen ansehen.

  • Ja genau, das ist mir an dem Interview auch aufgefallen.



    Für einen Moment dachte man, wow, eine Deckelung von Seiten der CDU, das wäre ja mal ein Fortschritt, aber nö, dann wurde natürlich wieder ein absurdes Beispiel genommen, das zeigt, wie leicht es angeblich Bürgergeldempfänger es haben.



    Die Tragik von Merz ist, dass er trotz seiner Tiraden, die ja das rechte Spektrum seiner Partei befrieden soll, dort eben nicht befriedet, weil er Versprechen gegeben hat, die er nicht einlösen kann, weil sie von vornherein zum Scheitern verurteilt waren. Außerdem hat Merz einfach eine Menge extrem schlechter und unloyaler Mitarbeiter. Namen muss ich, glaube ich, keine nennen.

  • Der Staat partizipiert über diverse Steuern und Abgaben an den hohen Mieten. Die Zuschüsse für die Unterbringungskosten werden dagegen von den Kommunen getragen. Ob ein echter Mietendeckel und damit einhergehend eine Wertkorrektur vieler innerstädtischer Immobilien wirklich ein Gewinn für den Bundeshaushalt wäre, wage ich vorsichtig zu bezweifeln.

  • Gelungener Artikel Gereon Asmuth - Dankeschön dafür, dem ist nichts hinzuzufügen außer Merz hat nicht nur keine Ahnung von sozialer Marktwirtschaft...😉

  • Hier sind sich Angela Merkel und Friedrich Merz einmal komplett einig: die Verachtung und Ignoranz gegenüber den Schwachen in der Gesellschaft haben sie beide gemein. Interessant, dass sie trotzdem immer wieder gewählt wurden und werden, vielleicht ein Ausdruck des Masochismus der Massen. Oder der Hoffnung, nie zu denen zu gehören, die in den Staub getreten werden, sondern zu denen, die treten.

    • @FtznFrtz:

      Und Hoffnungen können enttäuscht werden und man rutscht dennoch ab. Daher verstehe ich nicht, warum manche aus der Mittelschicht gegen Bürgergeld & Co sind, denn es könnte sie auch treffen.



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      Die würden ja auch nicht auf die Idee kommen, ihre Versicherung anzurufen und zu sagen: im Versicherungsfall möchte ich aber möglichst wenig Leistung bekommen.